Raimund Lauber - Das Geheimnis von Valmy

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Zwei historische Ereignisse, der Raub des französischen Kronschatzes in Paris und der überraschende Verlauf der Schlacht von Valmy, sind hier zu einem geschichtlichen Roman verwoben.
Der Leser nimmt auf spannende und ansprechende Weise teil an den Abenteuern des Wendelin Francois Vogelsang, eines revolutionsbewegten und etwas naiven Mainzer Studenten, der sich, an seiner Liebe zur Tochter eines Konditors verzweifelnd, mitten in die Französische Revolution stürzt.
Aus einer harmlos scheinenden Gefälligkeit, um die ihn der geheimnisumwitterte Signore Francesco Poggibonsi bittet, wird ein fassettenreicher Kampf für die, in ihrer Existenz bedrohten Französischen Revolution. Wendelin bekommt es mit falschen Freunden und ebensolchen Feinden zu tun, mit Illuminaten und Freimaurern, Intriganten und Agenten, Demagogen und Verbrechern, Bürgern und Adeligen.
Seinem harmlosen Gemüt zum Trotz bewältigt er, so gut er eben kann, manchmal nur mit Ach und Krach, die körperlichen und seelischen Herausforderungen, denen er sich auf seinem unüberschaubaren, überraschungsreichen Weg zum Schicksalsort Valmy stellen muss.
Am Ende siegen Revolution und Liebe.

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Für meine Söhne

Florian und Felix

Die Liebe ist ein Stoff, den die Natur gewebt, und die Phantasie bestickt hat.

Voltaire(1694 - 1778)

Raimund Lauber

Das Geheimnis von Valmy

oder

Wie Wendelin Francois Vogelsang,

Wirtssohn und Student zu Mainz,

die Große Revolution rettete.

Roman

1. Kapitel

In dem Wendelin den geheimnisvollen

Signore Francesco Poggibonsi trifft

und Erstaunliches von ihm erfährt.

Wenn ich jetzt, da unsere Sache verloren scheint, die Zeit zurückdrehen könnte, zu jenen Märztagen des Jahres 1792, als alles begann, keine Sekunde würde ich zögern mich wieder so zu entscheiden wie damals. Zu selten schenken die Götter, die launischen, dem Menschen die Gnade, einer Idee dienen zu dürfen, die ihn hoch über den flüchtigen Alltag erhebt.

Ich war damals noch keine 19 Jahre alt und das Studium der Kameralwissenschaften 1, zu dem mich mein Vater halbherzig nach Mainz geschickt hatte, lag gerade hinter mir. Wäre es nach seinem Willen gegangen, ich hätte als sein einziger Sohn stante pede nach Straßburg zurückkehren und dort das Erlernte in klingende Münze umsetzen müssen. Aber, gleichsam als Ausgleich für die Überwindung, die mich das aufgezwungene Brotstudium gekostet hatte, beschloss ich, mich nun endlich meiner großen Liebe, der Geschichte, zu widmen. Es war eine fordernde Liebe, die in mir hauste. Die Erwartung, die ich in sie setzte, war nicht geringer, als dass ich, wenn ich mich ganz in die Vergangenheit versenke und dort die Erkenntnis gewinne, was sie bewegte, ich auch das Warum der Gegenwart verstehen, ja sogar über sie hinaus sehen würde. Durch diese Illusion blieb ich der Hochschule noch ein Weilchen erhalten. Die Sache hatte nur einen Haken. Mein Vater, gewichtiger Eigentümer des Gasthofes „Zur blauen Traube“ in Straßburg, nebst einem Weinberg in guter Lage, zeigte trotz dieser soliden Basis seines Einkommens, nur wenig Lust mich länger zu finanzieren als unbedingt nötig. Dass ich studiere hatte er nie gewollt. Was ich fürs Leben brauche, so argumentierte er mit Nachdruck, könne ich bei ihm in der Wirtsstube lernen. Das sei die beste Schule die es gäbe auf der Welt. Meine gute Mutter rang ihm ab, mich wenigstens die Kameralwissenschaften studieren zu lassen, weil es, wie sie ihn glauben machte, seinen diversen Geschäften noch am nächsten stehe. Sie ist es auch, die treu dafür sorgte, dass die Zuwendungen aus Straßburg nicht ganz versiegten.

An einem dieser überraschend milden Vorfrühlingstage, die uns glauben machen, nun sei die Kälte überstanden und der Lenz habe seinen Einzug gehalten, entschied ich, dass es eine Sünde sei, an einem solchen Tag in der dunklen Bude zu hocken, klappte meine Bücher zu und sprang die drei Treppen zum Korbgässchen hinunter. Beinahe hätte ich Martin Kruttschnitt, meinen wohlbeleibten Zimmergenossen, über den Haufen gerannt, der mir, mit zwei Scheiten Holz unter jedem Arm, entgegen keuchte. Ich weiß nicht, wo er den Schatz ergattert hatte, aber, um ehrlich zu sein, mir war es genug zu wissen, dass ich an diesem Abend nicht frieren würde. Oben unter dem Dach konnte es so früh im Jahr noch empfindlich kalt werden und dann war jedes einzelne Scheit im Böllerofen ein Segen, ganz gleich wo es her kam,. „Wohin so eilig, Wendelin?“, fragte er, als ich mich an ihm vorbei drückte. „An die Luft, in die Sonne!“ „Das fühlt sich doch nur an wie Frühling, er ist es aber nicht wirklich“, rief er mir den ungeschmälerten Wert seiner Beute ins Bewusstsein. Ich winkte ihm noch zum Abschied und schlenderte pfeifend zum Marktplatz hinunter. Da ging es so unbeschwert zu, wie schon lange nicht mehr, seit die Folgen der Revolution jenseits der nahen Grenze auch bei uns zu spüren waren. Kurfürst von Erthal 2bot den, vor der Wut ihrer Landsleute geflüchteten französischen Adeligen bereitwillig Gastrecht und sorgte empörend großzügig dafür, dass es ihnen in seiner Haupt- und Residenzstadt an nichts fehle. Die Mainzer Bürger teilten die Sympathie ihres Fürsten nicht und je länger die hochnäsigen, aufgeblasenen Fremden samt ihrem vielköpfigen, nicht minder anmaßenden Anhang ihnen ihr angestammtes Leben vergällten, um so mehr wuchs ihr Verständnis für das, was sich in Frankreich blutig Bahn brach.

Fest entschlossen mir durch nichts und niemanden diesen geschenkten Tag vermiesen zu lassen, bog ich in den Liebfrauenplatz ein und ganz sicher wäre ich, wie so oft, bei den Schiffen am Rhein gelandet, hätte es da nicht die Sache mit der Kutsche gegeben. In rasantem Tempo lärmte sie an mir vorüber und hielt auf den Gasthof „Zum Schwanen“ zu. Der Kutscher hatte sein Gefährt noch nicht ganz zum Stehen gebracht, da wurde auch schon der Wagenschlag aufgestoßen und traf einen gerade vorübergehenden älteren Herrn so unglücklich, dass er zu Boden stürzte. Eine Hand voll höchst animiert parlierender Franzosen drängte aus der Kutsche dem Eingang des Gasthofes zu, ohne den am Boden liegenden Mann eines Blickes zu würdigen. Da war es vorbei mit meinem goldenen Vorsatz, mir den Tag nicht verderben zu lassen. Empört rief ich den Franzosen in ihrer Sprache ein paar gepfefferte Worte nach, wie ich sie ab und an bei meiner Mutter gehört hatte, wenn etwas nicht nach ihrem Kopf ging. Ich war verstanden worden. Bevor der letzte der Franzosen, hinter der Wirtshaustüre verschwand, drehte er sich zu mir um, blitzte mich schmallippig aus schwarzen Marmorkugeln an und quittierte meine „Freundlichkeiten“ mit einer obszönen Handbewegung. Der Fremde hatte sich aufgesetzt und beobachtete gespannt was zwischen mir und dem Franzosen vor sich ging und fragte, während ich ihm auf die Beine half, „Ihr beherrscht das französische Idiom perfekt?“ „Ja, so wie man es eben in Straßburg lernt“, antwortete ich. Die Auskunft bewirkte Erstaunliches. Rasch machte er sich von mir frei und lehnte es auch energisch ab, sich von mir zu seinem Quartier begleiten zu lassen. Er klopfte sich die Kleidung ab und schlug vor, dem Beispiel der Franzosen zu folgen und zu einem guten Schluck Wein einzukehren. „Das wird uns gut tun. Wenn Sie erlauben, seid Ihr mein Gast“, lud er mich ein. Für eine Gratismahlzeit immer zu haben, nahm ich an. „Aber doch wohl nicht hier. Gleich um die Ecke in der Roterkopf Gasse ist der „Specht“, da werden wir auch bestens bedient.“ „Aber warum denn nicht gleich hier? Stören Sie etwa die Franzosen?“, packte er mich bei der Ehre. „Was für ein Gedanke“, tat ich lässig die Stichelei ab und ging als erster in das respektable Bürgerlokal. Die Franzosen hatten den größten Tisch in der Mitte der Wirtsstube belegt und waren viel zu sehr damit beschäftigt, ein offenbar höchst erfreuliches Ereignis mit ganzer Hingabe zu diskutieren, als dass sie unserem Eintritt Beachtung geschenkt hätten. Der Fremde dirigierte mich an einen kleinen Ecktisch, von dem aus das Lokal gut zu überblicken war. Bevor wir uns setzten wurde er förmlich. „Ich glaube es ist nicht zu früh sich bekannt zu machen. Mein Name ist Poggibonsi, Francesco Poggibonsi, Petrarca zur Ehre“, stellte er sich vor. „Und ich bin der Wendelin Francois Vogelsang, Francois meinem lieben Großvater zur Ehre“, erwiderte ich mit einer leichten Verbeugung und, in der Hoffnung ihn animieren zu können, auch von sich selbst mehr preis zu geben, fügte ich an, „ich studiere Geschichtswissenschaften bei Professor Vogt, die römische Republik ist meine Leidenschaft.“ Die Kameralwissenschaften unterschlug ich. Poggibonsi hob anerkennend die linke Augenbraue, beschränkte sich aber darauf zu bemerken, dass wir einen Vornamen gemeinsam haben, was ein gutes Omen sei, sagte aber nicht wofür und ich versäumte danach zu fragen.

Wir hatten kaum unsere Bestellungen aufgegeben, da forschte er auch schon, „könnt Ihr verstehen was sie sagen?“ „Die Franzosen? Warum wollt Ihr das wissen?“, fragte ich zurück und er antwortete, „weil es interessant sein könnte, was den Franzosen so überschwängliche Freude bereitet.

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