Er war ein schmutziger, hagerer Mann mit faulen, stinkenden Zähnen und vergilbter Haut. Sein ungeschnittenes Haar war verfilzt und es klebte allerlei Dreck darin. Eigentlich war es widerlich, sich seinem Hals zu nähern, um davon zu trinken, dachte ich, und derweil schien der Wegelagerer diesen kurzen Moment meines Zögerns als Hoffnungsschimmer zu deuten. Denn auf einmal begann er, mich mit einem Schwall von dummen Versprechungen überreden zu wollen, sein Leben zu verschonen. Es war alles so absurd, und plötzlich musste ich darüber schmunzeln.
Irritiert hielt der Mann inne.
Noch immer hielt ich seinen Oberarm fest in meinem Griff und nun näherte ich mich langsam seinem Gesicht bis ich nah genug war, dass er meinen kalten Atem spüren musste. Ich merkte, wie sich seine Muskeln verspannten und sein Widerstand gegen mich wuchs.
`Lügen! Nichts als Lügen´, flüsterte ich. `Das einzig Wahre, was du noch zu geben hast, liegt hier unter deiner Haut...´ Dabei fuhr ich ihm mit meinen Fingerspitzen über den Hals, auf dass sich die Härchen seiner Haut senkrecht aufstellten. Dann schlug ich zu. Flink wie eine Schlange verbiss ich mich in seine Kehle, bis das Blut herausströmte. Dreck hin, Gestank her. Das Blut des Mannes entlohnte mich jedenfalls reichlich für all diese Unannehmlichkeiten.
Danach wandte ich mich dem letzten Überlebenden zu. Er lag noch bewusstlos am Boden und so hatte ich mit ihm besonders leichtes Spiel. Ohne Eile ging ich zu ihm und kniete mich neben ihn nieder. Nicht ohne eine gewisse Vorfreude, beugte ich mich über seinen Hals, biss zu und saugte ihn in aller Ruhe aus, bis sein Herz den Dienst verweigerte und der Tod meiner Mahlzeit ein Ende setzte.
Danach war mein Hunger gestillt. Endlich!
Langsam hob ich meinen Kopf, wobei ich meine Augen geschlossen hielt, um den süßlichen Nachgeschmack, das belebende Prickeln, das Kraft spendende Pulsieren in meinem, von dem Blut der Männer erhitzten Körper noch etwas zu genießen. Es fühlte sich diesmal alles so richtig an, als hätte es für mich nie etwas Richtigeres gegeben. Endlich war ich frei von diesem bedrückenden Gefühl der Schuld, denn diese Opfer waren selbst nicht besser gewesen als ich. Ja, wahrscheinlich hatten sie sogar schon mehr Leben auf dem Gewissen, als man mir bis dahin nachsagen konnte...
Obwohl dieser köstliche Moment zwar bald wieder verebbt war, blieb meine Stimmung dennoch euphorisch. Ich hätte am liebsten laut gelacht und gesungen, als ich mir den Weg durch das Gestrüpp zurück zu dem Pfad bahnte, wo die Kinder noch immer auf dem alten Gaul saßen und warteten. Aber ihretwegen beherrschte ich mich. Was sie gesehen hatten, genügte bereits, um sie in Schrecken zu versetzen und das kleine Häuflein Vertrauen in mich zu verlieren, das sie möglicherweise trotz allem hatten fassen können. Ich wollte sie nicht noch zusätzlich mit meiner vollkommen unpassenden Ausgelassenheit konfrontieren.
So ergriff ich, als ich bei ihnen angekommen war, wortlos und ohne sie dabei anzusehen die Zügel des Pferdes, um unseren Weg endlich fortzusetzen. Ich wollte nicht wissen, was sie über mich dachten, und ich wollte schon gar nicht die Erkenntnis in ihren Augen lesen, was ich war. Wenigstens hielt ich mich an meinen Vorsatz, ihnen nichts zu Leide zu tun und ihnen ein Leben zugänglich zu machen, das ihnen auf andere Weise vielleicht versagt geblieben wäre. Dafür nahm ich hin, dass sie die Geschehnisse dieser Nacht jemandem berichten und mich damit verraten könnten. Ich hoffte einfach darauf, dass ihnen niemand Glauben schenken und es schlichtweg als kindliche Phantasterei abgetan würde. Der Gedanke, dass diese Kinder mit ihrer Erinnerung auch erwachsen werden würden, kam mir damals unbedachter Weise gar nicht in den Sinn. Und dennoch, ich glaube, selbst wenn ich gewusst hätte, in was ich mich dadurch viele Jahre später verwickeln würde, ich hätte nicht anders gehandelt.
Nach einigen Stunden erreichten wir endlich das Ziel. Es war ein Kloster, das recht abgelegen auf dem Gipfel eines kleinen Hügels lag, umgeben von Obstbäumen und Weinstöcken, die von den Mönchen bewirtschaftet wurden. Zu seinen Füßen wand sich, gleich einer im Mondschein silbrig glitzernden Schlange, ein schmaler Fluss durch das verschlungene Tal.
Es war inzwischen tiefe Nacht geworden und die Kinder fielen vor Müdigkeit fast von dem Pferd herunter, mit dem ich mich nun auf den letzten Schritten den Pforten des Klosters näherte. Endlich davor angekommen, trat ich an die dicke, schwere Eichentür heran, ergriff den riesigen Eisenring, der sie auf Augenhöhe zierte, und klopfte mehrmals kräftig dagegen.
Stille.
Noch einmal schlug ich mit dem Ring gegen die Tür, diesmal allerdings noch fester, und wartete dann abermals eine Weile, ohne dass sich etwas zu rühren schien.
Gerade aber, als ich die Hand erneut an das Eisen gelegt hatte, um ein weiteres Mal zu klopfen, vernahm ich ein leises Rascheln innerhalb der Klostermauern, so leise, dass ein menschliches Gehör es noch nicht wahrgenommen hätte. Es folgten verschlafene Schritte und das Knarren einer Tür. Dann jedoch wurde es wieder ruhig, als habe jemand Zweifel, ob er das Klopfen wirklich gehört oder doch nur geträumt hatte. Schnell pochte ich abermals gegen die Tür, um sofort jegliche Bedenken zu vertreiben, und es zeigte seine Wirkung. Die Person setzte sich wieder in Bewegung. Ihre Schritte näherten sich eilig dem Tor und schließlich wurde ein schwerer Riegel geräuschvoll zurückgeschoben. Quietschend öffnete sich die Tür einen Spalt breit und das schmale Gesicht eines hageren Mannes tauchte dahinter auf. Aus seinen grau-blauen Augen schaute er mich neugierig an.
`Wir pflegen zwar, früh aufzustehen, aber zu solcher Stunde, erwarten wir doch äußerst selten Gäste... Was ist Euer Begehr?´ Die Stimme des Mönchs klang warm und geduldig. Doch die Art, wie er mich musterte, war mir unangenehm. Nicht, weil sie feindselig gewesen wäre, oder verärgert. Nein, das war sie ganz und gar nicht. Vielmehr strahlte das gesamte Wesen dieses Mannes Güte und Wissen aus. Sein Blick drang so tief in meine zerteilte Seele, dass mein Innerstes zu zittern begann und ich es kaum vermochte, ihm noch länger stand zu halten. Rasch überspielte ich meine Unsicherheit, in dem ich über die Schulter zu den Kindern hinüber sah, die hinter mir noch immer auf dem Gaul saßen. Das Mädchen hatte die Arme um ihren Bruder geschlungen und den Kopf an dessen Rücken angelehnt, die Augen bereits halb geschlossen, während der Junge mich lauernd beobachtete.
`Ich...´, begann ich stockend und wandte mich wieder dem Mönch zu, der nun selbst die Kinder über meine Schulter hinweg betrachtete. `Ich habe diese zwei Kinder auf einem Bauernhof gefunden, als ich dort um ein Nachtquartier bitten wollte... Sie saßen vor ihren toten Eltern.´ Ich konnte spüren, wie sich der zornige Blick des Jungen in meinen Rücken bohrte und hoffte inständig, der Mönch würde ihn nicht bemerken. Schnell sprach ich weiter. `Nun, was hätte ich mit ihnen tun sollen, mitten in der Nacht? Ich konnte sie doch nicht einfach dort hocken lassen. Mir fiel nur Euer Kloster ein und ich bitte Euch, sie in Euren Mauern aufzunehmen. Zumindest solange, bis die Frage nach Verwandten, die sich ihrer annehmen könnten, geklärt ist...´
Der Mönch reagierte nicht sofort, sondern nahm sich noch einen Augenblick Zeit, um seine Antwort zu überdenken. Schließlich aber nickte er und öffnete das Tor für uns.
`Gut, ich will Ihnen Ihre Bitte nicht abschlagen. Wir werden diese Waisen vorerst bei uns beherbergen und alles Weitere in ihrem Interesse in die Wege leiten.´
Ein Stein fiel mir vom Herzen. Ich lächelte dankbar, ging zu dem Pferd und führte es an ihm vorbei in den Hof. Gerade wollte ich den Kindern helfen, abzusteigen, da trat der Mönch neben mich und sprach scheinbar beiläufig, aber mit eindringlichem Blick: `Ach, würden Sie mir vielleicht noch eine Frage erlauben?´
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