Obwohl es für mich keine Frage war, auf wen sie da warteten, denn zu solch später Stunde befand sich außer uns niemand mehr auf diesem Pfad, so erstaunte mich doch dieser Umstand an sich. Denn was versprachen wir schon an Beute? Ein unbewaffneter, ärmlich gekleideter Mann und zwei verfrorene Kinder auf einem gebrechlichen Gaul... Mag sein, dass es schlicht die Not und der Glaube war, mit uns leichtes Spiel zu haben und schon irgendetwas von Wert bei uns finden zu können. Sei es das Mädchen, das sie verkaufen konnten oder der Gaul, der ihnen noch als zähe Mahlzeit dienen konnte. Vielleicht war es auch bloßer Zufall gewesen, der sich unsere Wege hatte kreuzen lassen, wobei sich die Gauner die Gelegenheit nicht entgehen lassen wollten. Mir jedenfalls war das einerlei, denn was sie natürlich nicht ahnen konnten, war die Tatsache, dass sie in diesem Moment genau das waren, was ich brauchte.
Mein Herz machte einen Freudensprung und hämmerte wild gegen meine Rippen, wie ein eigenständiges Lebewesen, das hungrig nach dem kurz bevorstehenden Leckerbissen lechzte; genauer gesagt: vier davon. Ich konnte mein Glück kaum fassen!
So als hätte ich die Wegelagerer nach wie vor nicht bemerkt, näherte ich mich raschen Schrittes ihrem Versteck. Sie sollten sich ruhig noch in Sicherheit wiegen, während sich hingegen jeder Muskel meines Körpers ungeduldig anspannte und meine Gedanken mehr und mehr einem raubtierhaften Instinkt wichen, mit dem ich meine Beute abschätzte, jeden Moment bereit zu dem entscheidenden Sprung.
Und dann endlich war es soweit.
Mit lautem Gebrüll stürmten die Männer hervor und verstellten uns den Weg. Doch als sie uns schließlich vor sich sahen, verstummten sie von dem einen Moment auf den anderen. Fast enttäuscht musterten sie uns und brachen dann in grölendes Gelächter aus. Einer von ihnen, womöglich ihr Anführer, schritt gemächlich und siegessicher auf mich zu, während ein breites Grinsen eine lückenhafte Reihe verfaulter Zähne in seinem vernarbten, von einem krausen Bart wild überwucherten Gesicht freilegte und bei diesem Anblick nur eine Bezeichnung zuließ: abstoßend.
Einerseits.
Für mich aber war er wunderbar! Er war schlecht, bösartig, hässlich; kurz: sein Tod wäre kein Verlust für irgendjemanden, sein Blut dagegen aber ein Segen für mich!
Inzwischen war mein darbendes Verlangen nach Blut zu einem bedrohlich großen, ständig saugenden Loch in meinem Magen herangewachsen, zusätzlich noch angeheizt von der Vorfreude auf diese vier netten Herren, die geradezu dafür geschaffen waren, diese Loch bald wieder zu stopfen, und ich wollte nun auf keinen Fall mehr länger warten! Der Wegelagerer war jetzt nah genug.
Gerade wollte er zum Sprechen ansetzen, doch kein Laut sollte mehr über seine Lippen kommen. Denn blitzschnell sprang ich auf ihn zu, riss ihn dabei zu Boden und setzte mich auf seinen Brustkorb. Völlig überrascht von meinem unerwarteten Angriff, versuchte der Bärtige, mich mit wild umherschlagenden Armen und unermüdlich windenden Bewegungen wieder abzuschütteln. Aber es nutzte ihm nichts. Zielstrebig umfasste ich mit einer Hand seinen Unterkiefer und drehte seinen überstreckten Kopf entgegen seinem Widerstand mit einem Ruck zur Seite. Wie ein halb verhungertes Tier verbiss ich mich in seiner Halsschlagader, entschlossen, verlangend, unnachgiebig, und trank sein Blut in tiefen Zügen, ungeachtet seiner langsam nachlassenden Schläge gegen meinen Kopf.
Oh, sein Blut war so unglaublich wohltuend! Mit jedem Schluck, den ich tat, entspannte sich mein von Hunger und Durst gepeinigter Körper mehr und mehr. Ich hätte vor Glückseligkeit laut seufzen und einfach dahin fließen mögen. Doch dieser berauschende Zustand sollte leider nicht lange anhalten. Denn plötzlich fühlte ich etwas Spitzes, Schneidendes, das sich tief in meinen Rücken bohrte und mich vor Schmerz jäh zusammenzucken ließ. Sofort hielt ich inne, unfähig noch eine Bewegung zu tun. Sogar das Schlucken war mir auf einmal unmöglich, weswegen mir das Blut einfach wieder aus meinem Mund heraus lief. Ich wollte unwillkürlich Luft holen, doch auch der Atem versagte mir, und zuletzt wurde mir schwindelig. Der Ohnmacht nah, riss ich mich zusammen und wollte mich aufrichten, was mir mit größter Mühe sogar noch gelang. Doch kaum, dass ich auf meinen Beinen stand, wurde mir auf einmal schwarz vor Augen und ich geriet ins Straucheln. Verzweifelt suchte ich Halt, ohne ihn jedoch zu finden, auf dass ich schließlich bewusstlos zu Boden stürzte.
Aber schon während ich aufschlug, spürte ich, wie meine Sinne zurückkehrten und mein Herz plötzlich wütend in meiner Brust zu schlagen begann, fast als wollte es sich von etwas Lästigem befreien. Endlich war ich in der Lage, einen tiefen Atemzug zu tun, und als ich meine Augen wieder öffnete und den Kopf hob, erblickte ich unmittelbar über mir einen der übrigen Männer, nicht weniger ungepflegt und abstoßend als der Erste. Er stand mit hängenden Schultern vor mir und starrte entgeistert auf mich herab, als begreife er nicht, wessen Zeuge er da gerade wurde.
Stöhnend setzte ich mich auf. Und weil ich in meinem Rücken immer noch diesen stechenden Schmerz verspürte, tastete ich umständlich mit meiner rechten Hand danach. Zu meinem eigenen Entsetzen fand ich dort tatsächlich den Griff eines Dolches, der bis zum Heft in meiner Haut steckte. Hastig umschloss ich ihn mit zittrigen Fingern und zog ihn mit zusammengebissenen Zähnen und einer raschen Bewegung heraus, um ihn dann fassungslos in meinen Händen zu halten und ungläubig seine blutverschmierte, lange Schneide zu betrachten.
Wie konnte es sein, dass diese Waffe mich nicht auf der Stelle getötet hatte? Sie musste ohne Zweifel meine Lunge und wahrscheinlich sogar mein Herz durchstoßen haben... Verwundert tastete ich nochmals nach der Wunde, die der Dolch hinterlassen hatte, und musste zu meinem erneuten Erstaunen feststellen, dass sie sich noch unter meinen tastenden Fingern schloss, bis meine Haut zuletzt wieder unversehrt war, als habe der Dolch sie nie auch nur berührt. Und mit der Wunde verschwand auch der Schmerz.
Es herrschte bestürztes Schweigen. Jeder der Anwesenden hatte mit meinem sicheren Tod gerechnet, das konnte ich an ihren Gesichtern ablesen, und nun starrten sie mich an, als sei ich der leibhaftige Teufel, völlig unschlüssig, was sie jetzt tun sollten. Ich hingegen nutzte diesen günstigen Moment, sprang auf und stürzte mich auf den Mann, der noch immer verwirrt vor mir stand. Dabei verfuhr ich mit ihm wie mit dem ersten, bloß dass ich jetzt keine Zeit hatte, es bis zuletzt auszukosten, denn inzwischen hatten die anderen Beiden ihre Fassung wiedererlangt und die Flucht ergriffen. Hektisch bahnten sie sich einen Weg durch das Dickicht in den Wald hinein.
Sofort ließ ich von meinem Opfer ab und verfolgte die Flüchtenden, denn es durfte niemand entkommen, der Zeugnis über diese sonderbaren Ereignisse hätte ablegen können. Und dank meiner enormen Schnelligkeit hatte ich im Nu einen von ihnen eingeholt. Durch einen kräftigen Hieb mit der Handkante in den Nacken, schlug ich ihn noch im Vorbeilaufen bewusstlos, sodass er schlaff zu Boden sank. Dort ließ ich ihn zunächst einfach liegen, um dem Letzten nachzusetzen.
Nur wenige Augenblicke später hatte ich dann auch diesen erreicht und mich ihm in den Weg gestellt. Wie vom Blitz getroffen blieb er stehen und starrte mich mit irren Augen an. Dann drehte er sich abrupt um und wollte erneut davon rennen, doch mit einer schnellen Handbewegung kam ich ihm zuvor und packte ihn so fest am Oberarm, dass er sich, gleich wie er sich in seiner Panik wand und dagegenstemmte, nicht mehr befreien konnte. Dabei war ich selbst überrascht, welche Kraft ich auf einmal besaß. Als der Kerl sich schließlich der Aussichtslosigkeit seiner Lage bewusst wurde, hörte er endlich auf, sich zu wehren und begann, mich um Gnade anzuflehen. Doch ich betrachtete ihn bloß ungerührt.
Читать дальше