Wolfgang winkte schwach ab. „Das brauche ich nicht. Ich kündige.“
„Sag das nicht, Wolfi“, meinte ich und fügte eine Notlüge hinzu: „Du hast dich hervorragend geschlagen. Du wirst einen prima Security-Mann abgeben.“ Das allerdings meinte ich ehrlich. Mit der entsprechenden Ausbildung würde er auch in solchen Situationen entsprechend reagieren können.
Inzwischen hatte die Angestellte auch Claire Rouyer verständigt, die kopfschüttelnd und zitternd gegen den Schalter gelehnt dastand. „Verdammt Jonathan Lärpers“, empfing sie mich und es war das erste Mal, dass sie nicht überlegen musste, wie ich heiße. „Sie sind nicht einmal eine Stunde hier und schon so etwas ...“
„Zufall“, grinste ich und blickte auf die Uhr. Es blieb noch ein wenig Zeit, um die unausbleiblichen Fragen der Polizisten zu beantworten, doch dann wurde es auch schon wieder Zeit für die Mittagspause. „Bleibt es bei unserem Mittagessen? Ich hätte da einige Vorschläge zu machen ...“
In den Koffern befanden sich tatsächlich größere Mengen an Heroin und Kokain und als ein Kriminalbeamter eintraf, den ich nicht kannte, musste ich ihm die ganze Geschichte noch einmal erzählen. Kaum, dass ich mit meinen Erklärungen geendet hatte, rief mich die junge Frau zum Telefon und gab mir ohne ein weiteres Wort den Hörer in die Hand.
„Eberson“, hörte ich den Oberstaatsanwalt ohne Einleitung oder Begrüßung sagen und ich fragte mich, woher er so schnell von dem Vorfall hier erfahren hatte. „Das sind sie Lärpers, nicht wahr?“
Ich bejahte.
„Kaum vor Ort und schon - wieviel? - Tote?“
„Keine, Herr Oberstaatsanwalt. Nur ein paar Verletzte. Insgesamt drei bewaffnete Rumänen mit einem Haufen Drogen. Es ist niemand wirklich zu Schaden gekommen.“ Den Wachmann ließ ich erst einmal außen vor.
Ich hörte, wie Oberstaatsanwalt Eberson lachte. „Nur drei? Gute Arbeit, Herr Lärpers. Ich wusste, dass wir mit ihrer Person die richtige Wahl getroffen hatten. Dass sie aber schon am ersten Tag so eine Aktion hinlegen würden, damit habe ich nicht gerechnet.“
„Zufall“, wiederholte ich meine Worte von vorhin und fügte bescheiden hinzu: „Man tut halt, was man kann.“
Eberson murmelte noch etwas von einem Bericht, den er so bald wie möglich auf seinem Schreibtisch sehen wollte und legte dann auf. Ob Bernd nun auch noch anrufen würde? Doch darauf wartete ich vergeblich.
Stattdessen suchte ich die Sicherheitschefin, die hinter dem Empfangstresen auf einem Hocker saß und sich einen doppelten Cognac genehmigte. „Nun, wie steht’s mit dem Mittagessen?“, fragte ich. In etwas über einer Stunde würde ich schon mit Bingo auf dem Hundelehrgang sein müssen und die Zeit wurde langsam knapp.
„Sie wollen nach all dem hier noch etwas essen? Also, mir ist der Appetit vergangen. Aber gehen sie ruhig, das Essen geht auf mich. Vielleicht komme ich später nach, doch jetzt ...“ Sie zuckte mit den Achseln und führte das Glas mit zittrigen Händen zum Mund.
„Es gibt aber noch einiges zu besprechen“, beharrte ich. „Ich hätte da ein paar Vorschläge, das Sicherheitskonzept betreffend. Allerdings habe ich um vierzehn Uhr noch einen Termin, so dass uns nicht viel Zeit bleibt ...“
Claire Rouyer stöhnte. „Bitte, Herr Lärpers. Lassen sie uns das morgen in aller Ruhe besprechen. Ich muss mich jetzt erst einmal um einen Ersatzmann kümmern. Sie haben noch einen Termin? Schade, ich dachte, sie könnten heute Nachmittag einspringen.“
Ich schüttelte den Kopf. „Leider nicht, den Termin muss ich wahrnehmen.“
Die Sicherheitschefin nickte. „Na gut, dann sehen wir uns morgen früh in meinem Büro. Lassen sie sich das Essen schmecken, Herr Lärpers.“
Das tat ich dann auch und bekam sogar etwas rohes Rindfleisch und eine Schüssel mit frischem, kaltem Wasser für Bingo.
Gut gelaunt machte ich mich auf den Weg zum Hundetraining. Heute endlich würden wir in die Praxisarbeit einsteigen und nicht stundenlang trockenen, uninteressanten Stoff büffeln. Ich sah mich schon mit Bingo über die Felder hinter dem Mann her hetzten, den wir fangen sollten. „Heute wird der Lehrgang richtig gut“, rief ich Bingo zu, der auf der Rückbank vor sich hindöste. „Heute werden wir die Praxis kennenlernen. Freust du dich schon?“ Bingo antwortete mir nicht, vermutlich hatte er mich nicht einmal verstanden, doch das war mir egal. Ich jedenfalls freute mich.
Die Fahrzeuge vor der Scheune, in der der Lehrgang stattfand, sagten mir, dass alle Lehrgangsteilnehmer schon eingetroffen waren und ich wieder als letzter kam. Ein Blick auf die Uhr am Armaturenbrett beruhigte mich aber, ich war pünktlich und sogar noch fünf Minuten vor der Zeit.
Aus der Scheune drang mir durch die offene Tür Gekläff und Stimmengewirr entgegen. Es klang so, als wäre da drinnen eine Hundeparty im Gange. Mit Disziplin hatte das allerdings wenig zu tun.
„Ah der Herr Lärpers“, hörte ich die Dicke durch den Lärm hindurch rufen. „Da sind sie ja endlich. Immer auf die letzte Minute! Ich sage immer: Pünktlichkeit, Pünktlichkeit und noch einmal Pünktlichkeit!“
Ich nickte und rief ihr zu, dass ich ja pünktlich erschienen sei und es noch nicht einmal zwei Uhr war. Doch irgendwie ging das in dem Lärm, den die Hunde machten, unter. Ich sah mich um. Der Jugendliche mit dem kurzen Haarschnitt tippte wieder auf seinem Smartphone herum. Neben ihm auf der schmalen Bank döste ein Mops vor sich hin und ich konnte beobachten, dass ihm das Atmen schwerfiel. Neben dem Rentner lag ein Husky auf dem Boden und beobachtete drei kleine weiße Hunde, die ich als Malteser identifizierte, die miteinander spielten und den Lärm hier verursachten. Ihre Frauchen standen beieinander und unterhielten sich lautstark, nahmen von ihren Hunden aber keine Notiz.
„Bitte, meine Herrschaften, setzen sie sich.“ Die Dicke mit den gelben Haaren versuchte sich Gehör zu verschaffen, was ihr bei den drei Frauen nicht so richtig gelingen wollte. Dann holte sie aus und haute mit der flachen Hand auf das Pult.
Der Jugendliche mit dem Smartphone zeigte keinerlei Reaktion und ich erkannte, dass er Ohrhörer trug. Die drei Frauen blickten erschrocken auf und es wurde still. Sogar die kleinen, weißen Hunde hörten für eine Sekunde mit dem Lärm auf. Der Mops fuhr erschrocken hoch und fiel von der Bank, neben der er sich aber direkt wieder zusammenrollte und weiterdöste. Bingo ließ ein leises Knurren hören und ich setzte mich auf die mir nächstliegende Bank. Auch die Frauen nahmen endlich Platz, ließen ihre Hunde aber weiter herumtollen.
„Ich freue mich“, fing die Dicke mit erhobener Stimme an, um den Lärm der Hunde zu übertönen, „sie heute zum zweiten Kurstag bei unserem Mantrailing Lehrgang begrüßen zu dürfen. Mein Name ist Sophie Fengeler und ich bin die Leiterin der Hundeschule ‚Lucky Buddy‘. Die Hundeschule ‚Lucky Buddy‘ ist zertifiziert und führt Kurse in Verhaltens- Alltags- Leinen- und Mantrailing durch. Die Öffnungszeiten sind montags bis freitags von neun bis zwölf und von fünfzehn bis siebzehn Uhr.“ Nach diesen einführenden, aber unnötigen Worten, sah sie sich Beifall heischend in dem Raum um, fuhr dann aber fort: „Wir werden heute mit der Praxis beginnen und einige einfache, aber grundlegende, Befehle an den Hunden kennenlernen. Doch zunächst einmal wollen wir jetzt den Lehrgangsstoff vom gestrigen Tag repetieren.“
Ich sah die dicke Frau entgeistert an, während sie mit monotoner Stimme über Duftmoleküle, DNA und all die Dinge sprach, bei denen ich ihr gestern schon nicht zugehört hatte. Nach gut eineinhalb Stunden hob sie lächelnd den Kopf. „So, damit haben wir die wichtigsten Grundlagen über das Mantrailing wiederholt. Ich danke ihnen für die gute Mitarbeit.“ Sie kam hinter ihrem Pult hervor und watschelte auf den Ausgang zu. „Bitte folgen sie mir zu unserem Übungsgelände, wo wir uns der Praxis widmen werden.“ Die dicke Sophie verschwand durch die Tür im Scheunentor und die drei Frauen folgten ihr, wobei sie sich lautstark unterhielten und ihre Malteser auf den Armen hielten. Jetzt erkannte ich, dass die Hunde bunte Schleifchen auf dem Kopf trugen. Der Rentner wurde von seinem Husky durch den Raum gezogen und hatte Mühe dem kräftigen Tier zu folgen. Nur der Jugendliche tippte weiter seelenruhig auf dem Handy herum und jetzt - da es in dem Raum etwas ruhiger geworden war - vernahm ich ein leises Schnarchen, das von dem Mops stammte.
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