Die rechte Seitenwand des Saales bestand aus einer Maqsura, jenem kunstvoll verschnörkelten, aus Holzleisten geschnitzten und geflochtenen Gitterwerk, hinter dem die Haremsdamen dem Vorgang lauschen durften. Alle Anwesenden wussten, dass der Rat seiner Umm, der älteren und erfahrenen Ehefrau und Herrscherin des Harims, beim Emir oftmals schwerer wog, als der ihrige. In weiten Bereichen der Umma, der Gemeinschaft aller Gläubigen, hatte so manche Lieblings-, oder auch nur respektierte Ehefrau der Herrscher einen beträchtlichen politischen Einfluss.
Einige, nur scheinbar wichtige Punkte der Tagsordnung, wurden kurz besprochen und abgehakt. Dann fragte der Emir nach eigenen Anliegen der Ratsmitglieder. Bevor ein anderer auch nur das Wort ergreifen konnte, platzte der Kadi/Imam mit seinem Lieblingsanliegen heraus:
„Oh Herrscher über die Ungläubigen, und ruhmreicher Beschützer aller Gläubigen, Allah befiehlt uns im Koran die Bekehrung aller Heiden, Juden und Christen zum wahren Glauben. Das haben wir bisher leider zu sehr versäumt. Das zeigt wieder einmal mehr dieser schlimme Zwischenfall von Sadaba. Lass mich alle deine Untertanen zu Allah bekehren, und lass mich Missionare zu den Bergvölkern entsenden. So wie es einst mit den Berbern geschah: Sind sie erst einmal Allah zugewandt, sind Überfälle auf uns nicht mehr zulässig. Der Zorn Allahs würde sie für einen solchen Frevel treffen. Ich bitte euch und alle Ratsmitglieder: Schaut auf unsere Brüder und Mitkämpfer. Einst wilde und feindliche Berber – und heute unsere wichtigsten Bundesgenossen im Djihad gegen die Ungläubigen! Was für eine wichtige Kriegsarmee wären die Basken für Allah und uns?“
Zur heimlichen Zufriedenheit des Emirs war damit das eigentlich von ihm angesteuerte Problem in die Runde gerückt worden. Nicht die Bekehrung der Basken sondern der Zwischenfall von Sadaba sollte auf die Tagesordnung. Aber erst musste der Imam nun in seine Schranken verwiesen werden. Ein heikles Thema, aber politisch notwendig Die Geistlichkeit stand im Rang auf gleicher Höhe, und vor allem war sie seiner Macht nicht unterworfen. Der Imam musste höflich und ohne Schaden für seine Würde abgeschmettert werden. Das überließ er lieber seinem Finanz-Wesir, dessen Reaktion vorhersehbar war. Auch ohne einen diesbezüglichen Wink nahm der prompt den Imam an, wie ein Stier den Matador. Schnaubend vor Entrüstung fertigte er diesen ab:
„Unsinn! Um Allahs Djihad zu führen braucht es Kämpfer! Die und ihr Kampf müssen bezahlt werden. Daher, und keinesfalls zuletzt, beruht unser aller Wohlergehen auf den Staatsein-nahmen. Allah hat befohlen, dass Gläubige keine Abgaben bezahlen. Wir benötigen also Steuer- und Abgabenzahler, und Feinde, die wir ausplündern und versklaven können. Dafür schuf Allah die Ungläubigen. Die müssen uns erhalten bleiben! Wenigstens so lange, wie der Djihad währt, brauchen wir unsere Melkkühe!“
Dann wechselte der gewiefte Rhetoriker zu Hohn und Spott:
“Oder möchte der ehrwürdige Kadi und Imam fortan unsere Staatskasse mit den Spenden füttern, die er in der Moschee beim Freitagsgebet mit dem Klingelbeutel einsammelt?“
Lastendes Schweigen folgte dem temperamentvollen Ausbruch. Der Imam schluckte mehrmals im Leerlauf, aber er nahm seine Lektion eingeschüchtert hin. Und der Emir hatte endlich sein Anliegen auf dem Tisch. Doch umsichtige Herrscherschläue gebot, dem Imam gleich erst mal mit einer kleinen Streicheleinheit das Gefieder zu glätten.
„Unser gelehrter Ulema hat in seiner Weisheit ein wesentliches Problem angesprochen. Er hat ja so Recht! Der unerträgliche Übermut der Bergmenschen nimmt von Jahr zu Jahr zu! Immer frecher werden ihre Übergriffe auf unsere Siedlungen. Die Verluste waren zwar nicht sehr hoch, aber wir können und dürfen diesem Treiben nicht länger zusehen. Wir müssen uns wieder mehr Respekt bei denen verschaffen Wehret den Anfängen! Ich will diese Bande bestraft sehen! Und diese Strafe wird Furcht verbreiten! Kriegs-Wesir, erkläre uns, wie es in deinem Diwan überhaupt dazu kommen konnte!“
Der kannte seinen Herrn nur zu gut. Er hatte dies erwartet und war bestens präpariert, sich und seine Krieger mit Wirkung zu verteidigen:
„Nun, ehrwürdiger Emir,“ und hier neigte er würdig sein Haupt, eine kleine aber sehr clevere Geste der Demut, „der Zwischenfall ereignete sich im Befehlsbereich von Amir Abderrahman, und da der, wie uns allen bekannt, unser fähigster und eifrigster Amir im Felde ist, trifft ihn wohl keine Schuld. Er kann ja auch nicht in jeder Qal´a seines Befehlsbereiches zugleich sein. Ali ibn Assad, der Kaid des Trupps in Sadaba, hat nicht die volle Besatzung von 50 Saqaliban. Schon vor zwei Ratssitzungen habe ich darauf hingewiesen, dass er mit gerade mal 27 Männern zu unser aller Schaden weder den Schutz von Sadaba garantieren noch eine einträgliche Razzia unternehmen kann. Darüber hinaus hat er Umsicht und Verstand bewiesen. Er ließ sich nicht mit seinen schwachen Kräften in eine nächtliche Verfolgung verlocken, die nur zu einem Desaster geführt hätte. Wir haben keinen einzigen Sklaven-Krieger verloren, nur etwas Vieh und Korn. Die Revanche hat er klug mir überlassen, und ich werde sie gründlich vorbereiten und mit Wucht exerzieren. Dazu müssen wir vor allem zunächst mehr Kriegsslawen kaufen, um die Garnisonen aufzufüllen!“
„Was das alles kostet! Was so was alles kostet! Wer soll das alles bezahlen?“ stöhnte der Finanz-Wesir lauthals in die Runde, und wackelte mit seinem völlig kahlen Haupte mehrfach von links nach rechts und wieder zurück.
Grinsen und Lächeln huschte durch den erlauchten Kreis. Diesen Klageruf kannten sie. Der erscholl zu jeder Sitzung. Der Greis stand nur noch einen Fuß weit vom Grabe entfernt. Als der älteste in der Runde des Rates, war er aber auch der meist respektierte. Er hatte sich sein Leben lang als absolut vertrauenswürdig und loyal erwiesen, hatte schon dem Vorgänger gedient, und besaß, trotz oder auch wegen vieler Schrullen, das unbegrenzte Vertrauen des Emirs, auch wenn der sich heimlich köstlich über ihn amüsierte.
Der Kriegs-Wesir entsann sich der Grundregeln seiner Profession. „Angriff ist die beste Verteidigung!“, und „Ablenkungsangriffe entlasten!“ hatte er während der Lehrzeit zum Befehlshaber in sein Gedächtnis gespeichert.
„Ehrwürdiger Emir, ich beantrage, 200 Kriegssklaven aufzukaufen. Ich weiß, diese sind zufällig im Basar unserer Kasba im Angebot. Pauschal gekauft, bekommen wir die zum Sonderpreis. Damit können wir dann die Garnisonen an unserer von den Bergmenschen gefährdeten Nordostfront auf Sollstärke bringen, und zugleich die Kräfte für einen nachhaltigen Vergeltungsschlag gegen die Basken freistellen. Ich denke so: Wir stecken die Neulinge in die Grenzfestungen, und ziehen die Hälfte der dortigen erfahrenen Besatzungen ab. Zusammen mit der halben Truppe aus der Palastkaserne können wir ein Kommando von etwa 150 Mann für die Razzia einsetzen. Als Kaid schlage ich Amir Abd al-Rahman, als seinen Unterführer Ali ibn Assad vor. Die beiden brennen darauf, ihre Niederlage auszuwetzen.“
Und nach taktisch kluger kurzer Denkpause, mit der er seinen Vortrag wirksam unterstrich, fügte er noch an: “Auch Abdallah ibn Hisham, der Sohn des Hadjib, wird als Unterführer dabei sein wollen. Er bestürmt mich schon lange, ihm zu erlauben Erfahrung zu sammeln, und seinen Rang als Chassa zu bekräftigen.“
„Was für ein schlauer Schachzug, was für ein ausgebufftes Schlitzohr, dieser Kriegs-Wesir“ – aber das dachte der Emir nur still für sich selbst. „Gleich wird der Hadjib ihm den Gefallen tun, und ihn wegen der seinem Sohn gebotenen Chance unterstützen.“
Da erhob dieser schon seine Stimme: “Sehr gut, genau so sollten wir vorgehen.“
„Oh Allah helfe uns!“ krähte sofort der alte Finanz-Wesir, „was das alles kosten wird! Was das alles kosten wird! Wer soll das alles wohl bezahlen? Ich hab kein Geld, ich hab doch kein Geld!“ zerschmettert sank er auf seinem Sitzkissen in sich zusammen. Ein bemitleidenswertes Bild des Jammers. Statt Mitleidsäußerungen nur leises Kichern in der Runde. Selbst der Emir hätte gern laut aufgelacht. Er beherrschte sich. Er wählte die Höflichkeitsfloskel: „Lieber Onkel, du vergisst, dass dies nicht dein Geld sondern das des Emirates ist, für das wir alle gemeinsam verantwortlich sind. Ich bin sicher, wenn du noch einmal nachzählst, findest du den notwendigen Betrag in deinen Geldtruhen.
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