Na bitte, jetzt sind wir auf dem richtigen Weg. Man versteht meinen inneren Antrieb und ich kann noch eine Geschichte erzählen, um das Ganze zu vertiefen.
K, ein wackerer Mensch und einer der wenigen ehrlichen Männer, die mir je über den Weg gelaufen sind, musste eine schwere Krise mit seiner Frau durchleben, nur wegen einer Lappalie. Man nehme es mir nicht übel, wenn ich in diesem Zusammenhang diese verkleinernde, abschwächende Bezeichnung wie Lappalie für diese ganz bestimmte Angelegenheit verwende. Wunder genug, dass er es mir frei von der Seele mit ein paar Details erzählt hat. Das kam wohl vom inneren Leidensdruck, der ihn fast platzen ließ. Er musste das einfach loswerden. Zugegeben, ich schmücke das Ganze ein wenig aus und stelle mir auch manches vor, was er mir nicht erzählt hat, aber im Großen und Ganzen passiert so was doch ständig in der industrialisierten Welt.
K sitzt also vor seinem Mac und tut sich gütlich an der einen oder anderen Pornoseite. Nichts Verbotenes natürlich, sagen wir mal, es geht um Netzstrumpfhosen und, lasst mich mal was erfinden, um Stars des schlüpfrigen Genres mit lateinamerikanischem Migrationshintergrund und falschen Brüsten. K´s Angetraute an ihrem Arbeitsplatz, Frau M, ist mit der Welt zufrieden, jedoch nicht mit ihrem Mann, der will immer so komische Sachen im Bett, aber da denkt sie grad nicht dran. K muss heute nicht zur Arbeit und frönt seinem Plaisir. Sein Handy liegt am Tisch, daneben streamt der Mac Erotikinhalte, ein Glas Wein und ein Dildo sind auch mit im Spiel, alles ganz normal wie in vielen Haushalten. Und wie es das Schicksal so will, fällt der Dildo um, gradewegs aufs Handy und es wird M angewählt, ganz ohne das Wissen von K. Sie hebt ab und bevor sie fragen kann, was K von ihr will, (immerhin ist sie beschäftigt und da muss es schon was Dringendes sein; so ist es schließlich vereinbart, denn die Arbeit geht vor), hört sie:
Aaah, du geile Drecksau… ich besorg´s dir… aahh…
M, sonst recht schlagfertig, fehlen die rechten Worte. Was soll das wieder , denkt sie.
Jajaja, wix mich, ich spritz dir auf deine verfickte Strumpfhose…
M trägt heute keine Strümpfe, sondern Hose, also fühlt sie sich nicht recht angesprochen.
Oaah, nimm meinen geilen Schwanz in den Mund… oaah… ich drück ihn dir zwischen deine Silikontitten… das is so geil… oaah… ich geb´s dir…
M könnte die ganze Sache hier und jetzt beenden, doch Frauen wollen Näheres wissen über die Umtriebe ihrer Männer. Sie presst ihr Telefon fest ans Ohr, damit die Kollegin nichts hört.
Ja, ja, steck mir den Finger in den Po, du kannst das so gut… OOOaaahhh… ich liebe Silikon … dreckige geile Sau, mach´s mir mit deiner Netzstrumpfhose… ich komm gleich, du Latinoluder, schau dir meinen Schwanz an, ja, sieh ihn dir an…
K greift zum Weinglas, sein Blick streift das Handy und da steht: Verbunden mit MAUSI . Ätzendes, heißes Adrenalin füllt seine Blutgefäße, sein stolzes Glied wird in Sekundenbruchteilen zum kleinen Mann, da sein Gehirn alle Ressourcen, also auch das Blut, für den Flucht-Modus benötigt, während er in blankem Entsetzen auf die Auflegen-Taste hämmert. Schon rinnt der Schweiß in Strömen über seine Schläfen, just im Moment spult sich sein ganzes Leben vor ihm ab und auch das Ende desselben. Er sagt mit zittriger Stimme:
»Ohmeingottohmeingottohmeingott!«
»Ohmeingott, was hab ich getan?«
Die Hand will ihm nicht gehorchen, als er den Browser schließt und unrühmlich Abschied nimmt von der bestrumpften Latinoschönheit. Krasses Unwirklichkeitsgefühl stellt sich ein, und jetzt ist nicht die Libido gefragt, sondern Rechtfertigung und die Frage: Wie, wie erklär ich´s ihr, verdammt? Die Option des Suizids ist schnell vom Tisch, das ja doch wirklich nicht, aber was?
»Sie killt mich, ja, sie killt mich«, quetscht er mit bleichen Lippen und Tunnelblick hervor. Er springt auf und setzt sich wieder, die Knie gehorchen ihrem Herrn nicht, noch nicht. Dildo, Mac und Weinglas, die verräterischen Komplizen, blicken ihm hämisch entgegen: Wir können da nichts dafür, uns kannst du jetzt nicht die Schuld geben . Er greift sie sich, springt wieder auf und schafft sie weg, der Ohnmacht nahe, das Haupt gesenkt vom pulsierenden Kopfschmerz.
»Shit, Shit, Shit!« An die ungerechten Götter da oben ist seine Klage gerichtet und an die Drecks-Engel. Wo sind sie denn jetzt, die Gabriels, Michaels, Raphaels und Uriels, wo sind sie, wenn man sie wirklich mal braucht, hä?
Man will natürlich unverzüglich wissen, wies weitergeht, aber jetzt drück ich mal mitten im Geschehen die Stopp-Taste und frage die weiblichen Leser: Was würden sie tun? Was M tat, ist gesichert, aber ich möchte ihnen doch die Möglichkeit geben, sich unbeeinflusst selbst zu überlegen, was zu tun wäre, wenn ihnen das mal passiert. Scheidung? Liebesentzug? Oder würden sie ihrem K das Modem wegnehmen? Wäre das denn die Lösung? Na?
War denn K als zweifacher Vater und liebenswerter Gatte nicht stets ein fürsorglicher Geselle? War er nicht letztens mit Phasenprüfer und Blockklemme zur Stelle, als die Stehlampe im Wohnzimmer den Dienst versagte. Murrte er etwa an all den Tagen, als M ihm den Sex verwehrte?
Drum spreche ich von einer Lappalie, und wie leicht wäre K geholfen, riefe sie jetzt an und spräche sanfte, lustige Worte von wegen: Na, da werd ich mir mal Netzstrümpfe kaufen müssen, damit ich auch was davon hab nächstes Mal. Aber nein, böse Rache schwört sie für K´s Verfehlung, in ihren Augen Betrug der schlimmsten Sorte. Aber hat denn K so weit gefehlt, ist es so schlimm um beide bestellt, als dass ein herzhaftes Lachen nicht hilfreich wäre für weiteres Gedeihen von Zweisamkeit und Lebensfreude? Und schlimmer noch: Sie erzählt es der Kollegin, der besten Freundin des Hauses und zu Scham und Schande kommt für K jetzt auch noch die Häme dazu. Da haben wir die Bescherung.
Die Moral von der Geschicht: Man sei doch froh, wenn man auf solcherlei Art mehr erfährt über den Lebenspartner und über Dinge, die freiwillig nie rausgekommen wären. So ist man doch viel besser informiert! Man sehe doch auch mal im schlimmsten Dilemma die positiven Aspekte, es gibt doch im Leben ohnehin nur zwei, drei Dinge, über die man nicht lachen könnte!
Manch einer lässt sich was Originelles an seinem zwanzigsten Geburtstag einfallen und da will ich auch gar nicht hintanstehen. Die Tradition muss schließlich gewahrt bleiben, auch wenn die Welt den Bach runtergeht und sich keiner um das Morgen und schon gar nicht um das Übermorgen einen Dreck schert. Da brat mir doch wer einen Storch, wenn mir nichts dazu einfiele, denke ich, und zettele mit einer Gruppe Eingeschworener was an, denn diesmal geht´s nicht allein und schließlich will man ja auch dann und wann die schönen Stunden des Protests, vollgepumpt mit Adrenalin, mit anderen teilen. Da ist rasch ein Thema gefunden, wenn´s um die Rettung der Welt geht und man seine grauen Zellen etwas bemüht. Dass die Aktion wieder mal auf meinen Geburtstag fällt, ergibt sich dann doch ganz ohne mein Zutun. Keinesfalls verspüre ich nämlich einen inneren Drang, jedes Mal am Jahrestag meiner persönlichen irdischen Inbetriebnahme Gummigeschosse oder Tränengas zu schmecken, aber man kommt eben nicht daran vorbei, an dem, was zu tun ist, wenn man einen Auftrag hat und einen Auftrag haben wir. Die Erkenntnis, dass die Welt Hilfe und Gerechtigkeit braucht, haben wir uns schließlich nicht aus den Fingern gesogen und so ist die Sache schnell beschlossen.
Der Wohnungsnot wird diesmal der Kampf angesagt. Zu viele Wohnungen stehen leer, Objekte der Spekulation, wie wir uns gegenseitig versichern. Nicht faul, spähen wir eine Woche lang die Gassen des Bezirkes aus, wo unsere Aktion stattfinden würde. Die leeren Häuser waren leicht auszumachen mit ihren dreckigen Fenstern und vernachlässigten Fassaden. Die Liste dieser Objekte ist lang und wir haben die Qual der Wahl. Am Ende entscheiden wir uns für vier Häuser, jeweils im Abstand von wenigen Gassen und packen unsere Siebensachen, die Sachen eben, die Hausbesetzer so brauchen um den Volkswillen zu stärken und den Häschern zu trotzen. Es ist Mittag, die Taschen gepackt und mit dem Wahlspruch auf zu neuen Ufern zieht unsere Kolonne von schlaksigen Weltenrettern mit bunten Haaren und zu oft gewaschenen Hosen los ins Kampfgebiet. Das schwere, zweiflügelige Holztor des ersten Hauses ist rasch geknackt - An die Jungen: Ja, damals gab´s noch Türen aus echtem Holz, nicht so Dreckszeug aus Holzimitat - wir sausen wie abgesprochen die Stiegen rauf, jeder seinen Auftrag im Kopf und wenige Minuten später sind die Fenster im zweiten Stock geöffnet, das Transparent rausgehängt, der Kassettenrekorder mit zu Solidarität animierender Musik am Fensterbrett läuft auf Lautstärke zehn und schon sind wir wieder unten, kleben die Türflügel mit schnell härtendem Epoxykleber zu und werfen einen Blick auf unser Werk. Das Transparent verkündet, dieses Haus ist besetzt, mit ein paar Seitenhieben auf die nachlässige Stadtverwaltung, die sich dieses ernsten Problems der Wohnungsnot aus zwielichtigen Gründen partout nicht annehmen will, die laute Musik mit denkbar schlechter Soundqualität brüllt hernieder und lockt bereits die ersten Passanten an.
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