Der Lehrer segelt voraus und wie die Küken zuckeln wir in Zweierpacks hinterher, der Blick stets rundum gerichtet wegen dem Schiffsverkehr und schon stecken wir in der ersten Flaute mitten in der Schifffahrtsrinne. Der Lehrer funkt um Hilfe, das Motorboot soll uns reinschleppen, doch das dauert und da kommt der erste dicke Pott genau auf uns zu. Unglaublich, wie titanisch riesig der Bug über einem aufragt, wenn man mit dem Arsch fast am Wasser sitzt und es mit dem Antrieb hapert, weil das Segel flautenbedingt schlapp macht, wie wenn man´s im Wohnzimmer gesetzt hätte. Da bleibt nur Staunen und Klammern, als sich der Koloss an uns vorbei schiebt, seine Bugwelle drückt uns zur Seite wie Ungeziefer und der eine und andere spitze Schrei entringt sich unseren Kehlen, als wir solcherart in jungen Jahren mit dem möglichen Tod durch Faschieren konfrontiert werden, denn die Schiffsschraube, nur halb eingetaucht beim frachtlosen Frachter, drischt und mahlt mit einer Wucht an uns vorbei, dass es an ein Wunder grenzt, hier und heute keine Toten beklagen zu müssen. Alle Boote bis auf zwei kentern durch die Wucht und abends hat keiner der Lehrer etwas dagegen, dass wir Jungen uns Kakao mit Rum reinschütten, um unser zweites Leben zu begrüßen.
Und Wunder Nummer zwei lässt nicht lange auf sich warten. Der Segelklub hat zur Party geladen und ich weiß nicht, was C in Kiel zu tun hatte, aber sie ist da und ich bin da, jeder von uns erwärmt durch Rum und Jugend. Wir tanzen und ich bekomme das Geschenk, das Geschenk, das jene bekommen, die nicht verzettelt sind. Reine Freude und reines Geben, ein strahlendes Antlitz, und blonde, glänzende Haare, die wie Kaskaden aus Sternenstaub über diesen weißen Strickpulli fallen. Sie nimmt meine Hand und legt sie auf ihren Busen, wie um mir zu sagen: Das ist kein abgekartetes Spiel wie bei den Alten, lass uns spielen, wie nur wir es können , und ich verliere mich in einem haptischen Wunder aus seidenweichen Haaren, Wolle und ihrem Busen, der ohne störendem BH dahinter wartet, fest, wohlgeformt und erregt. Zwei Stunden später danke ich dem großen Programmierer dafür, mir das erste Mal so leicht gemacht zu haben. Wir hören entfernt die Musik und das Lachen der Truppe und liegen noch immer in dem kleinen Holzboot, in dem wir zum ersten Mal diese süßen Früchte gekostet haben. Ungemütlicher geht´s nicht, würde der Pragmatiker sagen, doch uns Unverzettelten kommt´s gerade recht, wie´s ist.
Wir blicken zu den Sternen, gebettet zwischen Anker, Leinen und Rudern und strahlen einen Teil unseres Glücks mit Lichtgeschwindigkeit ab, an den Rest unserer Galaxie.
»Meinst echt, dass du DAS an den Mann bringst?«
H fragt mich das ganz flapsig. Ich weiß aber nicht genau, was sie meint.
»Ich meine, du bist doch nicht berühmt. Bitte versteh mich nicht falsch, aber wer interessiert sich denn schon für die Autobiographie eines Unbekannten?«
Ich denke, da hat sie nicht ganz unrecht und krame in meinen Hirnwindungen nach einer Entgegnung. Es fällt mir aber keine ein und ich will mir auch keine aus den Fingern saugen. Nichts wäre schlimmer als die Rechtfertigung für etwas, das mir so ans Herz gewachsen ist wie das Schreiben. H hat auch nicht ganz verstanden, wie ich meinen Stil entwickelt habe und vermutet wohl, dass sich hinter dem Mäkler ein rachsüchtiger Richter über die Menschheit versteckt. Doch davon bin ich weiter entfernt denn je. Meine Intention war und ist es, jedermann zu sagen, dass ich DAMALS voller Hoffnung war. Dass ich daran geglaubt habe, wir könnten gemeinsam das große Ding durchziehen, um dieser Welt neues Leben einzuhauchen. Und es brennen mir die Worte auf den Lippen: Wir hätten es schaffen können!
H hakt nach:
»Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel, dass ich beim Probelesen dermaßen böse Anmerkungen in dein Manuskript gekrickelt habe. Schließlich hast du mich gebeten, ehrlich zu sein, also bitte…«
Sie drückt mir das Manuskript in die Hand.
»Na ja, ist ok. Allen anderen hat´s saugut gefallen, da ist ein Rüffel schon drin. Ich werd´s verschmerzen.«
»Also dann…«
H muss weiter. Ich stehe in der Fußgängerzone. Das acht Minuten alte Licht unseres Gestirns tut sein Bestes, um uns einen schönen Oktobertag zu verpassen und ich kann nicht behaupten, unzufrieden mit mir zu sein. Alle strecken ihre Nasen ins Licht und gehen ihrer Wege und ich mitten drin mit dem Manuskript unterm Arm. Ich denke: Hab ich mir schon wieder was Unmögliches aufgehalst mit der Schreiberei? Das fragt der Narzisst in mir, der will natürlich nicht die kleinste Kritik hören, soviel ist mir schon klar. Und ich antworte ihm: Denkste, ich hab´s immerhin geschafft, die Gestade der heiligen Dreifaltigkeit des Worteschmieds zu erblicken . Gemeint sind Geschichte, Stil und die Ausdauer, jeden Tag während der Arbeit ein paar Seiten mit Courier New, Schriftgröße elf, zu füllen. Das ist schon eine reife Leistung, davon kann jeder ein Lied singen, der´s probiert hat. Ich rolle das Manuskript zusammen und gehe mit einem Liedchen auf den Lippen zur U-Bahn. Schließlich habe ich noch was zu sagen und die Arbeit wartet.
Ich sehe mir gerne Filme aller Art an und liebe es, mir vorzustellen, wie´s am Set so zugeht. Ich stelle mir zum Beispiel vor, ich bin die Protagonistin in einem Horrorfilm und die Dreharbeiten sind in die entscheidende Phase getreten. Es ist jetzt die Szene dran, wo ich alleine und ahnungslos mit nassen Haaren aus dem Badezimmer trete, während gerade Dutzende Zombies bei den Fenstern meines kleinen, abgelegenen Hauses reinklettern. Da muss ich schreien, dass die Wände wackeln, so steht´s im Drehbuch. Ich trete also aus dem Bad, sehe die Untoten unbefugt ins Haus eindringen und schreie wie am Spieß, während ich gleichzeitig die Augen aufreiße, als wollte ich mir Kontaktlinsen einsetzen.
»Cut!« Megaphonverstärkt dröhnt der Regisseur durchs Studio. Die Zombies klettern wieder raus und begeben sich auf ihre Ausgangspositionen.
»Ok, Lizzie. Bitte sieh zum Küchenfenster und nicht zum Wohnzimmerfenster. Und halte das Handtuch fest. Man konnte eine Brustwarze sehen.«
»Hab verstanden, mach ich«, sag ich dem guten Mann und denk: Gut. Küche, Handtuch.
»Ok, Leute, ein bisschen weniger Nebel, uuund go!«
Ich biege wieder um die Ecke, sehe zum Küchenfenster und schreie, was das Zeug hält, aber das ist so kratzig am Kehlkopf, dass ich einen Hustenanfall bekomme, der mein Gesicht rot verfärbt.
«Cut, Cut! Ok, könnte mal bitte jemand Lizzie den Halsspray geben.«
Ein Assistent eilt herbei und bittet mich freundlich, den Mund zu öffnen. Er sprüht mir etwas zur Beruhigung meiner Schleimhäute in den Rachen und der Hustenreiz lässt nach. Die Visagistin tupft mein Gesicht nach und ich hole tief Luft.
»Gut, Lizzie, können wir?« Der Regisseur.
»Ja. Ja, ich denke, es geht wieder.«
Die Zombies sind schon wieder vor dem Haus versammelt und warten auf ihren Einsatz.
Nächster Take: »Uuund los!«
Ich komme nochmal aus dem Bad und brülle mir die Seele aus dem Leib, während ich entsetzt die Zombies erblicke. Das tut richtig weh, aber das Spray verhindert, dass ich meine Bronchien rausspucke. Ich schreie nochmal und nochmal, so steht´s im Drehbuch und ich denk grad, ich komm gut rüber, als wir wieder das Megaphon hören:
»Cut! Jetzt hört mal alle her. Die Zombies schieben die Vorhänge nicht zur Seite. Ihr steigt da einfach durch. Ist das wirklich so schwer zu verstehen? Ok, alles von vorne!«
Ich kriege noch eine Portion von dem Spray verpasst, während eine Assistentin meine Haare, die für den Dreh inzwischen bereits zu trocken sind, wieder nass macht. Ich gehe ins Bad und schließe die Tür hinter mir. Ich verfluche die Zombies da draußen und muss trotz Spray husten.
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