Man muss sich das nur mal durchrechnen, dann wird das doch alles klar:
Tiere haben natürlich keine Seelen - außer Delphine, wenn man Frauen mit Batik-Röcken und Keramik-Enten im Wohnzimmerregal Glauben schenken will. Aber die Delphine lasse ich jetzt mal außer Acht, das wird sonst alles zu kompliziert. Vereinfachen wir und unterwerfen wir uns der miesepetrigen Vorstellung, nur wir von der Spezies Homo Sapiens hätten Seelen. Ich meine, jeder nur eine, schließlich hat jeder von uns auch nur einen Reisepass, abgesehen von Drogenkurieren und Doppelagenten und Paris Hilton, aber auch die müssen wir hier vernachlässigen, sonst kommen wir nicht zu Rande mit dem Ganzen und wir wollen ja auch irgendwann mal ins Bett.
Also eine Seele.
Gut.
Als Gott Adam und Eva erschaffen hat, gab´s also zwei Seelen. Nur zwei? Das erste Paradoxon. Aber ich werfe jetzt nicht die Flinte ins Korn, sondern drehe das Rad der Zeit zurück bis, sagen wir mal, hunderttausend vor Pilatus. Da zogen geschätzte zweihunderttausend Hominiden über den Erdball und hinterließen jede Menge Müll - im Gegensatz zu heute aber biologisch abbaubaren. Nehmen wir des Weiteren an, die hatten jetzt jeder plötzlich eine Seele, obwohl sie gar nichts davon wussten und wir eigentlich auch nicht wissen, wo die hergekommen sein sollen, immerhin gab´s ja von Anfang an nur zwei. Aber wir wollen nicht kleinlich sein und notieren: Zweihunderttausend Seelen. Da starb dann immer wieder mal der eine oder andere und die nunmehr herrenlose Seele stieg in den Himmel auf und kam dann irgendwie zurück, zuhause in einem neugeborenen Weltenkind. Jetzt müssen wir interpolieren, das kann man aber nur, wenn man Pflichtschulabschluss hat und nicht zu viele Drogen genommen hat die ganzen Jahre über.
Ein weiterer Hominide kam also jeweils hinzu. Sobald zweihunderttausendundein Hominiden sich die Bäuche mit unschuldigen Tieren vollschlugen, fehlt uns dann doch eine Seele in der ganzen Rechnung. Nehmen wir mal an, diese fehlende Seele stammt von einem Delphin. (Jetzt müssen wir doch die Delphine mit einbeziehen und ich hatte schon gehofft, uns das zu ersparen und ja , es gab schon Delphine. Die hat DER doch am zweiten oder dritten Tag gemacht.)
Aber noch stimmt die Rechnung. Zweihunderttausendundein der Sprache nicht mächtigen, dafür aber beseelten Hominiden bevölkern die Erde. Ist es wahrscheinlich, dass uns nun immer mehr Delphine ihre Seelen schenkten, um uns die Möglichkeit zu geben, diesen Planeten eines Tages mit Hochhäusern für Millionen von Menschen vollzustellen, achtspurige Autobahnen zu bauen und die Delphine mit unseren Thunfischfangflotten zu dezimieren? Hier ein klares Nein .
So blauäugig sind selbst Delphine nicht und: Die wollten sich ja selbst weiter vermehren, und das nicht seelenlos. Ein krasses Seelendefizit war die Folge. Hier trennen sich aber nun die Wege von Esoterikern und ehrlichen, rational denkenden Zeitgenossen. Von mir aus könnten wir uns drauf einigen, dass es nach wie vor nur zweihunderttausendundein Seelen gibt, die, ungerecht, wie die Welt nun mal ist, wie im Lotto verteilt werden. Eine schöne Vorstellung wäre auch, dass George Bush und Robert Mugabe gar keine Seelen besitzen, wohl aber Karl Heinz Böhm und Helge Schneider. Das wiederum geht aber den Esoterikern gegen den Strich. Also wie jetzt? Ich denke, hier liegt vieles im Argen und so Manches ist noch auszudiskutieren. Es bleibt nur zu sagen, dass hier etwas nicht stimmen kann. Bitte um entsprechende Leserbriefe zur Klärung des Sachverhaltes. Zusendungen mit Betreff an den Autor.
Und los geht´s. Ich bemühe mich, die Geschichten kompakt zu gestalten, denn ich bin ein arbeitender Mensch und sitze täglich zweimal achtzehn Minuten in der U-Bahn und da lese ich knappe, flotte Sachen, die mir die Lippen erheiternd bis verschwörerisch kräuseln und es ist mir wichtig, dass ich nicht am Anfang einer langen Geschichte das Buch zuklappen muss, um bis zur Rückfahrt am Ende des trostlosen Arbeitstags warten zu müssen. Eine kompakte Episode hat einige wenige Seiten, für die U-Bahn grad richtig. Denn wer unterbricht schon gerne eine gute Geschichte, wenn´s heißt: »Nächste Station Berlin Tempelhof« oder »Wien Landstraße«?
Ausgestattet mit kurzer Lederhose, Pfeil und Bogen und einem Vorrat an Schokobananen sitze ich in der sommerlichen Blumenwiese unseres Gartens. Arglos nuckle ich an meinem Arm, der durch die Sonneneinstrahlung so gut riecht.
Die kleinen Wölkchen, die in der warmen Brise wie Schriftzeichen über den Himmel ziehen, verraten kein Geheimnis über den Sinn des Lebens, aber noch frage ich auch nicht nach dem Sinn. Im Schneidersitz drücke ich einen kleinen Fleck Gras nieder wie ein Rehkitz. Das stört mich zwar ein bisschen, denn schließlich sollten Indianer keine verräterischen Spuren hinterlassen, aber auch das reflektiere ich nicht zu Ende. Es krabbelt hie und da auf meinen Schenkeln, es ist warm, aber noch nicht so warm wie in den Zeiten der globalen Erwärmung.
Von solchen Dingen weiß ich noch nichts.
Wie immer bin ich erstaunt über die Dichte des Lebens in der voll blühenden Wiese - am liebsten mag ich das Gezirpe der Grillen. Wie auch immer, tagsüber Gezirpe, abends Gequake, das ist für mich Sommer, auch heute noch.
So viel Leben in dieser Wiese. Und da ist auch dieser kleine Grashüpfer, der in perfekter Camouflage auf dem Sauerampfer-Blatt sitzt und sein kleines sanftes Lied vor sich hin raspelt, um eine noch kleinere Freundin zu finden. Hätte ich ewig zusehen können, wäre da nicht die Spinne mit dem fetten schwarzen Leib als Partycrasher dazwischengekommen, um sich auf meinen kleinen Freund zu stürzen. Ein kurzes Rütteln, der entlastete Grashalm federt nach oben, und beide verschwinden in der Grasnarbe.
Weg.
Sinnlos, den Grashüpfer zu suchen. Vergeblich meine Hoffnung, dass er im nächsten Moment in alter Frische in parabolischem Sprung aus der Grasnarbe flitzt, um auf anderem Halm weiter sein Lied zu verkünden. Überhaupt höre ich nichts mehr. Die Welt ist verstummt und keiner hat in diesem Moment Bock auf Liedchen, welcher Art auch immer.
Die Welt ist unheimlich schön.
Die Welt ist ganz schön unheimlich.
Diese Wahrnehmung lagert sich, völlig unbemerkt, in meinen Hirnwindungen ab, wie nach und nach die Schichten Kalk in einem Waschmaschinenschlauch. Da merkt man auch zuerst nichts, bis dann der Waschmaschinenmechaniker aus der Werbung in sauberem Blaumann mit bedauernder Miene den Schlauch in die Kamera hält, den Kopf schüttelt und einem eine teure Reparatur prophezeit. »Das hätten sie verhindern können«, sagt er besserwisserisch zum Fernsehpublikum. »Nun wird´s teuer.«
Ok, wenn´s um Waschmaschinen geht, gibt´s wenigstens Entkalker, aber wie kriege ich all den Schrecken aus meinem Hirn, der dort skurrile, harte Formen gebildet hat wie Stalaktiten in einer Tropfsteinhöhle. Noch dazu als Kind, das noch nichts davon ahnt, dass sich später an diesen rauen Formen die Lebensträume verfangen werden.
Mein Pech ist, dass ich nie in den Kindergarten geschickt werde. Mutter Hausfrau, Vater Geschäftsmann, wozu soll man da den Kleinen bei Fremden abliefern? Und so schleicht sich dieses süße und bittere Gift der Welt ungefiltert durch freundschaftliches Feedback in meine Wahrnehmungskanäle - ein Stoff, der noch nicht synthetisiert ist und auch nie synthetisiert werden wird. Wozu auch?
Und so kommt es, wie es kommen musste. Ich räuchere, wie alle anderen Bengel, Ameisenbauten aus und zwinge Meerschweinchen, mit Fallschirmen vom höchsten Baum des Gartens die Reise in die Tiefe anzutreten. Ich frage nicht, ob sie das wollen, so wie mich keiner fragt, ob es mir recht ist, dass Atommüllfässer für alle Zeiten unauffindbar am Meeresgrund versenkt werden. Der Lauf des Lebens beginnt - unkontrolliert, unreflektiert -, Innehalten kommt nicht in Frage. Der Indianer, früher im Einklang mit der Natur, fesselt jetzt Freunde an Bäume und vergisst sie dort, bis besorgte Mütter in der Abenddämmerung nach ihnen zu suchen beginnen. Schlechtes Gewissen kommt dann schon auf, zugegeben, aber der Weg zurück ist versperrt.
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