Fragt man mich, was ich anders machen wollte, könnte ich das Rad der Geschichte zurückdrehen, ich würde den Weg des sanften Indianers beschreiten und sämtliche Kreaturen verschonen. Heute ist es mir unverständlich, dass wir halbe Grillhähnchen aus Massenhaltung um drei Euro neunzig kaufen und sie bedenkenlos in unsere Münder stecken. Egal, ob Motte, Mücke oder Maus, alles gleich viel wert wie wir Menschen. Wenn ich von etwas überzeugt bin, dann davon.
Als Narzisst ohne Scheuklappen gerät man in die hoffnungslose Lage eines Partygastes, der feststellen muss, dass die Musik beschissen ist und schlecht gekleidete Menschen betrunken hinter dem Rücken ihrer Freunde schlecht über sie reden. Auf einer Party hat man sich zu amüsieren, Kritik will keiner hören. Und Wehe dem, der zu genau hinsieht. Versucht mal, euer Bettlaken unters Mikroskop zu legen und euch all die Krabbeltiere anzusehen. Na, noch Lust, euch da wieder draufzulegen? Nein, will keiner. Ich meine, keiner will sich´s unter dem Mikroskop ansehen.
So entfernt sich der Narzisst von der Welt.
Ein schleichender Prozess, der Träume frisst wie King Kong Jungfrauen.
Später, sehr viel später, im Knast, verordne ich mir eine Zen-Kur und übe mich darin, selbst der abgedrehtesten, ausweglosesten Situation ein Körnchen Positives abzutrotzen, was natürlich leichter fällt, wenn man an Gott, Karma oder Ähnliches glaubt. Ich nehme den harten Weg, ohne Glauben. Und so entwickelt sich meine große kriminelle Energie - Zitat der Staatsanwältin – die mich dazu trieb, die Dinge bis auf ihren Grund auszuleuchten. Schade, dass ich jetzt sicherheitshalber erwähnen muss, dass kriminell in diesem Zusammenhang nichts mit Gewalt oder Betrug zu tun hat, sondern mit Abgrenzung von der Norm und dem Heranreifen radikaler Ansätze, die in der Folge der Treibstoff für mein Leben werden. Wer bereit ist, die Dinge von einer erfrischend neuen Perspektive zu betrachten, sollte einmal folgendes Gedankenexperiment wagen:
Nehmt an, die Welt steht auf dem Kopf, ich meine damit: so gut wie alle Vorstellungen, die existieren, sind falsch und ich meine, so richtig falsch. O.K., das klingt jetzt nach Verallgemeinerung und reichlich unpräzise, zugegeben. Deshalb ein Beispiel, das ich später in meinen Ernährungs-beratungen Kunden gebe, die sich endlich gesund ernähren wollen. Der Rat ist klar wie ein lupenreiner Diamant, unmissverständlich und leicht auszuprobieren: Du willst gesund leben? Dann kaufe nichts, wofür Werbung gemacht wird! Da formt sich der Mund zu einem »O«, Stirnfalten künden von Skepsis, das Hirn arbeitet auf Hochtouren und man versucht sich an all die Plakate zu erinnern, die man in letzter Zeit irgendwo gesehen hat und die für Lebensmittel werben. Verzweifelt bemüht sich der an das Gute in der Welt Hoffende an eine Werbung zu erinnern, die frei von bösen Motiven nur Gutes verkündet und man ärgert sich auch ein bisschen darüber, weil einem nicht sofort was dazu einfällt – verblödet, wie man ist.
Ist das nicht schön?
Das ist Zen.
Dreißig Jahre, nachdem meinen Freund, den Grashüpfer, bei seiner Begegnung mit der Spinne ein düsteres Schicksal ereilt hat, frage ich Don Augustin, den Ayahuasca-Schamanen, was ich tun müsse, um Heiler zu werden. Ich denke: Warum nicht heilen, da kann man doch was Gutes tun, anstatt im Kreis zu denken bis einem schwindlig wird, und heilen kann ich, wenn ich will.
Die Antwort des Heilers ist erschreckend kurz und lautet: »Du musst glauben!« Und das ist echt hinterlistig, weil der gute Mann nicht blöd ist und mich in vollem Umfang durchschaut. Glauben? Damit kann ich nicht aufwarten. Jeder weitere Weg zum Schamanismus ist mir somit in seiner Welt verwehrt; beleidigt und beschämt verstaue ich meine diesbezüglichen Pläne über meine berufliche Entwicklung in diese Richtung in einer der unteren Schubladen meines - wie sagt man? - Geistes? Und doch retten mich wieder einmal die Kräfte genau dieses Geistes, weil ich nicht bereit bin, das Ganze zu verdrängen, sondern es unter mein Mikroskop packe und das Bild scharf stelle.
Glauben! Da kenn ich mich aus.
Es beginnt in der Schule. Als kleiner Hallodri wird man von alten Knilchen mit den nötigen Standards für genormte Weltsicht verseucht und wehe, du passt nicht auf, dann wirst du den Dreck nie mehr los. Also besser gleich alles anzweifeln.
Zuerst mal die Frage von Himmel und Hölle.
Warum sollte der Teufel böse Menschen drangsalieren? Der ist doch selbst böse und sollte sich mit Vergewaltigern, Bankern und demnächst auch mit George Bush prächtig verstehen. Ich meine, George Bush muss sich doch schon mächtig auf die Hölle freuen, denn da geht´s richtig ab mit feiern und da kann der doch Fliegen die Flügel ausreißen und alle lachen drüber. Bitte schickt mir ganz viele Leserbriefe zu dieser Frage und schreibt außen aufs Kuvert . Ich verspreche, sie alle zu lesen, wenn originell, und wenn ich was verspreche, dann tu ich das auch.
Dann esoterische Vorstellungen im Allgemeinen:
Du häufst gutes Karma an und wirst dann nicht als Wurm wiedergeboren, sondern als geläuterter Mensch oder Engel oder sowas. Da kann doch was nicht stimmen! Würmer lockern die Erde auf und bescheren uns durch ihr segensreiches Wirken größere Tomaten, grüneren Salat und rundere Melonen. Wir Menschen rotten im Gegenzug die Bienen aus und da wird dann bald gar nichts mehr bestäubt, mal ganz abgesehen von den hundertachtundsiebzig Atombomben-Explosionen auf dem Bikiniatoll. Will gar nicht wissen, wie Godzilla wirklich aussieht, wenn´s so weit ist, dass er seine schleimigen Tentakel aus diesem verseuchten Dreckswasser erhebt und uns eins draufgibt.
Jetzt habe ich mich doch etwas verzettelt, aber man merkt schon, welche Fragen dem jungen Narzissten durch den Kopf gehen, als Seelenfrage und Co. aufs Tapet kommen. Fragen über Fragen, und würde man sich die Antworten einfacherweise ersparen, würde das ein schönes Zen-Koan ergeben. So bleibt aber vieles im Unklaren und halst uns allen so manche unnötige geistige Plackerei auf wie Sudoku oder das Lesen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Pullover auf nackter Haut - 1977
Gut ist es, wenn man nur auf ein, zwei Dinge fokussiert ist. Dann merkt man erst, was Kraft bedeutet. Zielgerichtet und wahrlich übermenschlich stellt sie sich dann dar, ohne Grenzen und Zweifel. Der Zen-Mönch sagt: Wenn ich esse, dann esse ich und wenn ich lese, dann lese ich. Wir haben es geschafft, gleichzeitig fernzusehen, zu essen, zu telefonieren und uns dabei auch noch Sorgen aller Art zu machen, da kommt also nichts mehr dabei raus. Die Verzettelung, höchste Errungenschaft und größter Feind des Homo Erectus, halten uns nun für den Rest unserer Tage am Boden.
Ganz und gar nicht verzettelt steige ich in Kiel aus dem Zug und da wartet schon ein Kleinbus, um mich zum Segelcamp zu bringen. Gute Idee meiner Eltern, mich auf diese Weise für ein Weilchen loszuwerden. Ich bin ihnen mitnichten böse, denn die See und die darauf schwimmenden fahrbaren Untersätze haben´s mir angetan, seit ich denken kann. Soll ich´s ihnen da verübeln, wenn sie mich in die Obhut von Lagerleiter und Segellehrer abschieben? Schot und Segel sind mir nicht fremd, wenngleich mir auch dessen Bedienung nur auf Binnengewässern geläufig ist. Das Meer gilt es noch nautisch zu erkunden, und dazu bin ich angereist. Und wie sich´s herausstellt, kommen die größten und schönsten Abenteuer über einen, wenn man´s am wenigsten erwartet.
Der erste Tag ist ausgefüllt mit spannender Unterweisung in Wohl und Wehe maritimer Angelegenheiten, die frische Brise in der Kieler Fjörde umspielt unser blondes, braunes, schwarzes sechzehnjähriges Haar und zwanzig Kids werden zu einer Truppe zusammengeschweißt. Einer für alle, alle für einen, denn auf See geht’s kameradschaftlich zu. Boot und Mannschaft haben eins zu sein, sonst kommt man da draußen in Teufels Küche. Zehn Jollen warten auf die Ausfahrt und am Tag zwei heißt es: Leinen los!
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