»Wusste ich es doch! Nur heiße Luft.«
Er hielt inne und fragte:
»Soll ich dir was zu essen mit hoch schmuggeln später?«
»Das ist lieb, aber nicht nötig. Ich brauche weder Essen noch Schlaf!«
Somit wäre Tea ja pflegeleichter und günstiger als ein Hund, den sich Finn schon seit längerem sehnlichst wünschte.
»Aber mit dem hättest du nur ein Bruchteil so viel Spaß wie mit mir«, prophezeite Tea. Mit einem scheinheiligen Lächeln winkte sie ihm hinterher.
»Hast du dir die Hände gewaschen?«, fragte seine Mutter, als Finn in der Küche ankam.
»Ja!«, log Finn.
»Dann krempele dir mal die Hose vernünftig runter und bring die Teller rüber.«
Huch! Wie kommt das denn? Das Hosenbein, das er doch gerade heruntergeschoben hatte, war wieder bis zum Knie hochgerutscht. Wie ist das denn passiert? Vielleicht war das ja Tea gewesen! Aber wann? Und vor allem, wie? Und wieso hat er davon nichts mitbekommen?
Was ist das nur für ein merkwürdiger Geburtstag! Komische Träume, sprechende Puppen, eigenwillige Hosenbeine. Was mag wohl noch alles auf ihn zukommen? Aber selbst in seinen kühnsten Vorstellungen hätte Finn sich nicht ausmalen können, was ihn noch erwarten sollte.
Obwohl Finn nach dem Essen gerne lieber sofort in sein Zimmer gegangen wäre, setzte er sich auf Drängen seiner Mutter noch mit ins Wohnzimmer und ließ sich von seinen Großeltern über die Schule ausfragen. Als sie sich endlich nach dem Kaffee und dem Genuss von jeweils drei Stückchen seines leckeren Geburtstagskuchens zum Aufbruch bereit machten, fühlte er so etwas wie Erleichterung. Seine Mutter knuffte ihn mahnend in die Seite. Die Familie winkte ihnen noch hinterher, dann war Finn erlöst. Zwei Stufen auf einmal nehmend lief er nach oben. Tea hatte in der Zwischenzeit die Ritter auf den Pferden vor der Burg aufgestellt. Im Burghof stand eine Magd mit einem Besen in der Hand.
»Hat's geschmeckt?«, empfing die Puppe Finn.
»Ja, klar«, antwortete der Junge abwesend. »Wie hast du das mit meinem Hosenbein gemacht?«, stieß er dann noch vollkommen aus der Puste hervor.
»Ach, das war doch nur eine Lappalie«, winkte Tea ab.
Finn stemmte die Arme in die Seiten.
»Für dich vielleicht!«
»Hexen hexen!«
Tea erntete dafür ein tiefes Grummeln von Finn.
»Du wolltest doch einen Beweis!«, verteidigte sie sich verschmitzt.
»Muss ich jetzt etwa ständig mit irgendwelchen Scherzen von dir rechnen?«
»Hihi, wenn du es verdienst, ja.«
Finn ließ sich vor die Burg plumpsen und imitierte Galoppbewegungen mit einer der Ritterfiguren. Diese Hexenpuppe wird ihm nur Ärger machen!
»Nein! Ganz im Gegenteil! Ich werde eine Bereicherung für dich sein!«
Dass Tea ständig auf seine Gedanken reagierte, machte Finn jetzt völlig nervös. Soll er von nun ab etwa immer kontrollieren, was er denkt?
»Kann ich dich irgendwo abstellen, damit ich auch mal unbesorgt denken kann?«
»Haha, nee, das geht nicht.«
Das kann ja heiter werden! Unwillkürlich musste Finn an eine der letzten Musikstunden denken, in denen sie das Lied ›Die Gedanken sind frei‹ gelernt hatten. Jetzt verstand er erst den Sinn der Botschaft aus dem Lied. Mit dieser Freiheit war es jetzt wohl aus. So ein Mist! Alles nur wegen dieser Puppe!
»Den Gedanken habe ich jetzt überhört, aber schön, dass dir etwas klar geworden ist!«, sagte Tea lächelnd.
Finn lief rot an. Beim Fluchen ertappt und obendrein böse Gedanken gehegt.
»Gedankenlesen kann aber ganz nützlich sein, wenn zum Beispiel keiner mitkriegen soll, dass wir kommunizieren«, beschwichtigte Tea.
»Kommu . . . was?«
»Kommunizieren, miteinander reden bedeutet das. Du wirst sehen, es werden Situationen kommen, in denen das wirklich nützlich ist.«
»Weil keiner mitkriegen darf, dass du sprechen kannst?«
»Zum Beispiel.«
Tea hob ihre rechte Hand und streckte den Zeige- und den Mittelfinger aus:
»Ich schwöre aber hoch und heilig, dass ich keinen Gedanken gegen dich verwenden werde!«
»Hm, das glaube ich erst, wenn es soweit ist.«
Finn wandte sich wieder der Ritterfigur zu und überlegte, was er spielen sollte. Er könnte vielleicht ein Turnier veranstalten! Er stellte zwei Teams aus Rittern gegenüber auf. Jetzt fehlten nur noch die Lanzen. Doch so sehr er suchte, die waren in dem vielfältigen Zubehör der Ritterburg nicht mit enthalten.
»Lass sie doch auf Kreuzzug gehen«, schlug Tea vor.
»Kreuzzug? Oh ja, gute Idee!«
Das Bett könnte das Ziel werden, was die Ritter eroberten. Den Weg dahin könnte Finn mit Kissen und Decken hügelig gestalten. Mit wenigen Handgriffen verwandelte er das Zimmer in eine Berglandschaft. Als er das letzte Kissen in Position zur Besteigung des Bettes gebracht hatte, fragte er:
»Warum sind Ritter eigentlich auf Kreuzzüge gegangen?«
Als ob sie nur auf diese Frage gewartet hätte, schob Tea ihre Brust nach vorne:
»Es gab mehrere Gründe für die Kreuzzüge, zum Beispiel, um Land einzunehmen oder sich die Reichtümer anderer anzueignen. Im Mittelalter, also so vom 6. bis 15. Jahrhundert, hatte zudem die Kirche einen großen Einfluss auf die Menschen. Jeder, der ungläubig war, sollte bekehrt werden. Und als ungläubig wurden praktisch alle angesehen, die nicht dem Christentum, also der christlichen Religion, angehörten.«
»Aha, und woher wussten die, wo es Ungläubige gibt?«
»Das damalige Oströmische Reich, oder auch Byzantinische Reich genannt, ging bis weit in den Osten, da wo heute die Türkei ist. Und überall gab es lokale Regenten, also Könige, Kaiser oder Grafen, die in ihrer Region das Sagen hatten. Die waren dann auch dafür zuständig, über die jeweiligen Ereignisse in ihrem Gebiet zu berichten. Und deswegen hatte Ende des 11. Jahrhunderts der byzantinische Kaiser, Alexios I. Komnenos - den Namen musst du dir nicht merken«, fügte Tea mit einem Schmunzeln an, als sie Finns angestrengten Gesichtsausdruck sah.
»Ich komme mir vor, wie in der Schule!«, maulte er auch gleich.
Wann wohl endlich der spaßige Teil anfängt? Denn wenn das Teas Vorstellung von Spaß haben war, konnte sie gerne wieder in ihre Verpackung zurückklettern.
»Gleich, gleich! Keine Sorge!«, beruhigt sie ihn, ohne auf seine kleine Anspielung einzugehen. »Aber ein bisschen Vorbereitung und Hintergrundwissen ist vielleicht ganz nützlich, für später.«
»Später?«
»Du willst doch deine Ritter nicht völlig ahnungslos auf Kreuzzug schicken, oder?«
Finn murmelte etwas Unverständliches, was Tea einfach als Aufforderung nahm, weiter zu erklären:
»Dieser Kaiser Alexios also beobachtete die Geschehnisse in seiner Umgebung und stellte fest, dass die Seldschuken immer näher kamen.«
»Moment, Moment, wer oder was sind die, äh, Meschuggen?«, unterbrach Finn.
»Haha! Guter Versprecher!«, lachte Tea. »Seldschuken heißen die«, verbesserte sie dann. »Das ist ein alttürkisches Herrschergeschlecht. Der Name geht auf den Stammeshäuptling zurück, der hieß nämlich Seldschuk.«
»Ah, okay, und was haben die, äh, Seldschuken dann gemacht?«
»Sie haben Jerusalem eingenommen.«
Nun verstand Finn offiziell nur noch Bahnhof.
»Die Seldschuken sind Muslime«, erklärte Tea.
Finn stöhnte leise auf.
»Muslime sind Menschen, die an den Islam glauben.«
Nun schnaufte Finn.
»Der Islam ist eine östliche Religion.«
Mit einem Seufzer stieß Finn laut seinen Atem aus.
»Diese Religion wurde aber von den Christen nicht anerkannt.«
Jetzt hielt Finn den Atem an.
»Somit zählten alle Muslime, die Seldschuken eingeschlossen, zu den sogenannten Ungläubigen.«
»Okay, ich glaube, das habe ich jetzt verstanden. Die Ritter waren Christen, die Seldschuken Mu . . . , äh, also, keine Christen und sollten deswegen bekämpft werden.«
Читать дальше