LUNATA
Tarzan bei den Affen
Tarzan bei den Affen
Erlebnisse eines von Menschenaffen Geraubten
Tarzan Band 1
© 1924 Edgar Rice Burroughs
Originaltitel Tarzan of the Apes
Aus dem Englischen von Tony Kellen
© Lunata Berlin 2021
Hinaus auf die See
Das Heim in der Wildnis
Leben und Tod
Die Affen
Der weiße Affe
Dschungel-Kämpfe
Das Licht der Erkenntnis
Der Baumjäger
Mensch und Mensch
Geheimnisvolle Ereignisse
König der Affen
Der menschliche Verstand
Von seiner Art
Die Schrecken der Dschungel
Der Waldgott
»Sehr merkwürdig«
Begräbnis
Die Entführung in die Dschungel
Die Stimme der Natur
In der Gewalt des Waldmenschen
In den Händen der Kannibalen
Auf der Suche nach d'Arnot
Mitmenschen
Der verschwundene Schatz
Der Vorposten der Kultur
Auf der Höhe der Zivilisation
Wieder der Riese
Zwischen drei Freiern
Diese Geschichte habe ich von jemand, der keinen besonderen Grund hatte, sie mir oder einem andern zu erzählen. Ich dachte anfänglich, der Erzähler sei in einer angeheiterten Stimmung, und ich konnte auch die folgenden Tage nicht recht an die Geschichte glauben.
Als mein freundlicher Gastgeber merkte, daß seine Erzählung Zweifel in mir erregte, legte er mir als schriftlichen Beweis dafür ein muffiges Manuskript und trockene amtliche Berichte des Britischen Kolonialamtes vor, um mir eine Reihe der hervorstechendsten Tatsachen der merkwürdigen Erzählung zu belegen.
Ich behaupte nicht, daß die Geschichte wahr ist, denn ich war nicht Zeuge der darin geschilderten Ereignisse, aber ich glaube, bestimmt, daß sie wahr sein kann, und deshalb habe ich den darin beteiligten Personen andere Namen gegeben.
Die gelben Blätter des Tagebuchs eines längst verstorbenen Mannes und die Berichte des Kolonialamtes stimmen genau überein mit der Erzählung meines Gastgebers, und so unterbreite ich dem Leser die Geschichte, wie ich sie mit Hilfe der angegebenen Dokumente mit großer Mühe ausgearbeitet habe. Sollte man sie nicht glaubwürdig finden, so wird man doch jedenfalls mit mir darin übereinstimmen, daß es ein ganz einzigartiger, bemerkenswerter und interessanter Fall ist.
Aus den Berichten des Kolonialamtes und aus dem Tagebuch des Verstorbenen erfahren wir, daß ein junger vornehmer Engländer, den wir John Clayton, Lord Greystoke, nennen wollen, beauftragt wurde, eine besonders vorsichtige Untersuchung über die Verhältnisse anzustellen, unter denen in einer britischen Kolonie der Westküste Afrikas Eingeborene von einer andern europäischen Macht als Soldaten für ihre Eingeborenenarmee angeworben wurden, die lediglich zur zwangsweisen Beitreibung von Gummi und Elfenbein bei den wilden Stämmen am Kongo und Aruwimi benützt wurden.
Die Eingeborenen der britischen Kolonie beklagten sich darüber, daß manche ihrer jüngeren Leute durch die schönsten Versprechungen weggelockt wurden, daß aber nur wenige zu ihren Familien zurückkehrten.
Die Engländer in Afrika gingen noch weiter, indem sie behaupteten, diese armen Schwarzen würden gewissermaßen in Sklaverei gehalten, denn bei Ablauf ihrer Verpflichtungszeit würde ihre Dummheit von den weißen Offizieren ausgenützt und es würde ihnen gesagt, sie müßten noch einige Jahre dienen. Aus diesem Grunde sandte das Kolonialamt John Clayton auf einen neuen Posten nach Britisch-West-Afrika. Es gab ihm den vertraulichen Auftrag, eine gründliche Untersuchung über die unloyale Behandlung schwarzer britischer Untertanen seitens der Offiziere einer befreundeten europäischen Macht anzustellen. Die Veranlassung zu seiner Mission ist aber für diese Erzählung von geringer Bedeutung, denn Clayton stellte keine Untersuchung an und in Wirklichkeit erreichte er nicht einmal seinen Bestimmungsort.
Clayton war das Urbild eines tapferen Engländers, wie wir uns es nach den Heldenleistungen in vielen siegreichen Schlachten vorstellen, ein tüchtiger Mann in geistiger, moralischer und körperlicher Hinsicht.
Er war von etwas mehr als mittlerer Größe. Seine Augen waren grau, seine Züge regelmäßig und energisch. Seine Haltung war die eines starken, gesunden Mannes, den der Militärdienst noch gestählt hatte.
Aus politischem Ehrgeiz hatte er einen Übertritt vom Heeresdienst zum Kolonialamt angestrebt, und so finden wir ihn in noch jugendlichem Alter mit einem wichtigen Auftrag im Dienste der Königin betraut.
Diese Berufung erfüllte ihn zwar mit Stolz, aber er war doch auch darüber erschrocken. Die Beförderung erschien ihm als ein wohlverdienter Lohn für seine ausdauernden, umsichtigen Dienste und als eine Etappe zu einem bedeutenderen und verantwortungsvolleren Posten, aber andererseits hatte er erst vor drei Monaten Alice Rutherford geheiratet, und er war entsetzt bei dem Gedanken, seine junge Frau den Gefahren und der Einsamkeit des tropischen Afrika auszusetzen. Ihr zuliebe hätte er den Auftrag ablehnen mögen, aber sie wollte das nicht. Sie drang sogar in ihn, daß er ihn annehmen möchte, und erklärte sich bereit, mit ihm zu gehen.
Da waren zwar die Mütter und die Brüder und die Schwestern, die Tanten und Vettern, die allerlei Ansichten darüber kundgaben, aber die Geschichte berichtet uns diese verschiedenen Meinungen nicht.
Wir wissen nur, daß an einem freundlichen Maimorgen des Jahres 1888 Lord Greystoke und Frau Alice von Dover nach Afrika absegelten.
Einen Monat später kamen sie in Freetown an, wo sie ein kleines Segelschiff, die »Fuwalda«, mieteten, um nach ihrem Bestimmungsort zu gelangen.
Von jener Zeit an war aber Lord John Greystoke mit seiner Frau Alice völlig verschollen. Kein Mensch hat sie mehr gesehen, noch etwas von ihnen gehört.
Zwei Monate, nachdem sie den Hafen von Freetown verlassen hatten, durchsuchten sechs englische Kriegsschiffe den südatlantischen Ozean, um eine Spur von ihnen oder ihrem kleinen Schiff zu finden, und bald darauf entdeckten sie die Trümmer des Seglers an der Felsenküste von St. Helena. So war die Welt überzeugt, daß die »Fuwalda« mit Mann und Maus untergegangen war, und die Nachforschung nach den Vermißten wurde eingestellt, nachdem sie noch kaum begonnen hatte. In den sehnsüchtigen Herzen der Angehörigen lebte zwar noch manches Jahr die Hoffnung fort, bis sie allmählich erlosch.
Die »Fuwalda«, ein Fahrzeug von etwa hundert Tonnen, war ein Schiff von der Gattung, die man im Küstenhandel des fernen südatlantischen Ozeans oft sieht und deren Mannschaft aus dem Abschaum der See, ungehängten Mördern und Räubern aller Rassen und Nationen, besteht.
Die Offiziere der »Fuwalda« waren gebräunte Eisenfresser, die die Mannschaft haßten, so wie sie von dieser gehaßt wurden. Der Kapitän war zwar ein tüchtiger Seemann, aber brutal gegen seine Leute. In seinem Verkehr mit ihnen kannte er nur zwei Argumente, wenn er sie auch erst in letzter Linie benützte, den Knüppel und den Revolver, und es ist auch nicht wahrscheinlich, daß das bunte Gemisch, das er angeworben hatte, irgend etwas anderes verstanden hätte.
So geschah es denn, daß schon am zweiten Tage nach der Abfahrt von Freetown John Clayton und seine junge Frau auf dem Deck der »Fuwalda« Zeugen von Szenen wurden, wie sie nie geglaubt hätten, daß sie anders als auf den bunten Titelbildern von Seegeschichten vorkämen.
Es war am Morgen des zweiten Tages, wo das erste Glied einer Kette entstand, die das Leben eines damals noch Ungeborenen so umstricken sollte, wie es vielleicht noch nie dem Leben eines Menschen geschehen ist.
Zwei Matrosen waren beschäftigt, das Deck der »Fuwalda« zu waschen. Der erste Steuermann war auf seinem Posten, und der Kapitän hatte sich eben mit John Clayton und Frau Alice unterhalten.
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