Gerd Schuster
Geisterschiff
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Gerd Schuster Geisterschiff Dieses ebook wurde erstellt bei
Der Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Autorenbeichte
Das Buch
Impressum neobooks
Kapitel 1
Heiße Füße im Helikopter
oder
Ein triefend nasses Traumbild
Kapitel 2
Fischfrikadellen mit Fadenwürmer–Würze
oder
Eine einsame Nixenfluke geht ins Netz
Kapitel 3
Geheimnisse der Galionsfiguren
oder
Ein mehr als mysteriöses Polymer
Kapitel 4
Die Schiffsunglücke von ›Lloyd’s List‹ als Schlummerlektüre
oder
Ein plüschiges Hotel im Ärmelkanal
Kapitel 5
Ein Strandbummel auf Alderney
oder
Die ungeheuerliche Geschichte der Kapitänsfrau
Kapitel 6
Eine garstige Geisterschiff–Gastritis
oder
›Lustige‹ Recherchen im Lesesaal des British Museum
Kapitel 7
Ein Kriegsschiff mit sehr unkriegerischem Namen
oder
Prinz Georges Wagner–Wissen
Kapitel 8
Eine Tropennacht wie im Dampfkochtopf
oder
Massenhaft Moskitos und immer mehr Mysteriöses
Kapitel 9
Die Farbe Gelb – ein Gefahrensignal
oder
Ein Termin im Thanumalayan–Tempel
Kapitel 10
Perfidie beim Parfümkauf
oder
Die Polizei, kein Freund und Helfer
Kapitel 11
Ein Prälat in Badelatschen
oder
Zähneklappern beim Fischzug im Kettuvallam
Kapitel 12
Eine schwarze Göttin zeigt die Zunge
oder
Der Guru im Silberfuchspelz
Kapitel 13
Absturz des gelben Schmetterlings
oder
Die allerdickste Magnum der Welt
Kapitel 14
Ein Nichtschwimmer als Rettungstaucher
oder
Der doppelte Desmond
Kapitel 15
Echte Cock–a–Leekie–Suppe fern von Schottland
oder
Eine maritime Mumie verliert ihren Schleier
Kapitel 16
Sanskrit–Studien im Sri Padmanabhaswamy–Tempel
oder
Ein Abendessen mit tödlichem Nachtisch
Kapitel 17
Ein Admiral gerät in schwere See
oder
Wo die Zöpfe des Gurus wirklich wuchsen
Kapitel 18
Eine längst überfällige Haarwäsche
oder
Das Vierte Ei der Ur–Göttin Vinata
Kapitel 19
Ein weltentrückter Insel–Ring vor Burmas Küste
oder
350 Jahre alte Warnungen können noch gültig sein
Kapitel 20
Himmelfahrt einer Negrito–Gottheit
oder
Hamish Hoggs Höllentrip
Kapitel 21
Abspecken im Rückwärtsgang
oder
Brabhus letzter Gruß
Heiße Füße im Großhubschrauber
oder
Ein triefend nasses Traumbild
Das Meer rief mich. Ein wohlbekanntes Drängen in meinem Kopf verriet mir, dass mir jemand eine Botschaft übermitteln wollte. Das Druckgefühl war so stark, dass dieser Jemand nur der ungeheure Wasserkörper sein konnte, über den ich gerade dahinschwirrte. Die beiden Helikopterpiloten vorne im Cockpit schieden aus, und sonst gab es im Umkreis von vierhundert Kilometern kein lebendes Wesen, soviel ich wusste – von Fischen einmal abgesehen. Es gab nur das Meer.
Ich konzentrierte mich nach Kräften, doch ich konnte die Botschaft nicht entschlüsseln. Aber sie hatte – dessen war ich mir sicher – etwas mit dem Fischschwanz zu tun, dessen Bild vor drei Tagen ganz unvermittelt einen Wimpernschlag lang wie ein Foto auf einem dieser neumodischen Digiframes in meinem Bewusstsein aufgeleuchtet war.
Leider begriff ich die Bedeutung der Schwanzflosse ebenso wenig wie die Nachricht des Meeres. Ich war wie vernagelt; dabei hatte ich ein paar Tipps von meiner launischen, aber oftmals hilfreichen Spezial–Informationsquelle dringend nötig. Ich tappte bei meinem neuen Fall nämlich noch völlig im Dunkeln.
Es schien dem Meer nicht recht zu sein, dass ich so begriffsstutzig war. Ich spürte, dass es mir grollte. Es war nur ein Vibrieren im Solarplexus, ein bodenloses Gefühl im Magen, plötzliche Trockenheit im Mund, aber es war unangenehm. Mit dem Meer sollte man sich möglichst nicht anlegen.
Ich stemmte mich einen Augenblick lang mit aller Kraft in den Sitz und warf mich anschließend in die Hosenträgergurte. Ich legte mich hinein wie ein Ackergaul ins Geschirr, drückte und zerrte wie wild, bockte wie ein Mustang am Lasso. Ich musste mich bewegen; vielleicht konnte ich das Hirngespinst auf diese Weise verscheuchen.
Bewegung fehlte mir sehr. Ich hatte so lange in Flugzeugen gehockt, eingesperrt wie eine Ölsardine in ihrer Blechdose, dass der Sauerstoffgehalt meines Blutes wahrscheinlich total in den Keller gefallen war und mich halluzinieren ließ. Warum sollte das Meer mir grollen? Ich erforschte mein Gewissen, aber es war rein. Das Meer hatte keinen Grund, mit mir zu hadern.
Trotzdem blieb ein flaues Gefühl. Was das Meer tat, nahm man gerade in meinem Job nicht auf die leichte Schulter. Dafür war es zu gewaltig.
Da unten war es. Ich schaute seit dem Start in Port Elizabeth aus meinem Hubschrauberfenster, und es war mir unmöglich gewesen, meine Augen von diesem grenzenlosen, in Dutzenden von Grau– und Blautönen schimmernden Wasserkörper abzuwenden, über dem der Helikopter nach einstündigem Anflug seit etwa 35 Minuten spritsparende Suchkreise in gemäßigtem Tempo zog.
Ich war wie hypnotisiert. Ich hatte keine Ohren für den Sprechfunk, der in meinen Kopfhörern brabbelte; ich starrte auf das unbegreifliche Wesen, das sich sechs– oder siebenhundert Meter unter mir in Myriaden von Wellenformen räkelte und wälzte, streckte und zusammenzog, weiß Gott wohin wanderte, vom Indischen Ozean in den Atlantik oder umgekehrt, trotz der rastlos ziehenden Schaumkronen aber immer stillzustehen schien. Das so viel zeigte, aber nichts über sich verriet.
Es hatte mit meinem Arbeitsfeld zu tun, dass das Meer in mir dermaßen gegensätzliche Gefühle weckte – Andacht und Abscheu, Entzücken und Entsetzen, Begeisterung und Beklemmung. Als Fahnder für Schiffsversicherungen wusste man besser als andere, wie schrecklich es bei aller Schönheit sein konnte, wie launisch, unberechenbar und gnadenlos. Und wie trügerisch: Es gab sich azurblau, spiegelglatt und harmlos, plätscherte einladend mit unschuldigen Badewannenwellen, wiegte die Menschen mit Postkarten–Idyllen in Sicherheit, lockte Fischer in offenen Booten hinaus, nur um sich kurze Zeit später in eine rasende Bestie zu verwandeln, die mit himmelhohen bleigrauen Brechern um sich schlug.
Seine Größe, seine Gewalt, ja sogar seine Physik waren einzigartig. Es war ohne jeden Zweifel das mächtigste und gleichzeitig geheimnisvollste Ding auf dem Planeten, den man fälschlicherweise »Erde« genannt hatte und nicht »Wasser« oder »See«, obwohl fast drei Viertel seiner Oberfläche mit Ozeanen bedeckt waren. Das große Wasser kannte weder Skrupel noch Erbarmen, denn es hatte die »Palermo Express« und ihre Crew geschluckt – und es vielleicht nicht einmal gemerkt.
Wie sollte es auch? Man musste sich nur die Zahlen ansehen. Gerade im Fall der »Palermo Express« waren sie besonders aufschlussreich. Sie machten die Relationen klar – wie winzig klein wir Menschen und unsere größten Werke waren, und wie übermächtig das Meer.
Читать дальше