1 ...6 7 8 10 11 12 ...24 Ich war unerklärlich aufgeregt, und mir kam zu Bewusstsein, dass ich nicht von Laxmi, sondern vom Fischfang geträumt hatte. Ich hatte zugeschaut, wie das Netz als endloser schlaffer grüner Strumpf an Bord gezogen wurde. Stunde um Stunde hatte Botterfass Meilen leerer Falten eingeholt, und dann war das Netz bis auf einen kleinen toten Hund völlig leer gewesen. Das Wesen war veilchenblau, hatte pinke Schlappohren und einen gleichfarbigen Stummelschwanz. Es trug Schwimmhäute an den weißen Pfoten und hatte eine gelbe Taucherbrille mit dem Logo einer weltbekannten Hundefuttermarke auf der Schnauze. »Seehunde – verdammtes Ungeziefer!«, hatte der Skipper geknurrt und den bunten Kadaver mit einem Fußtritt die Slip herunter und über Bord befördert.
Ich rannte auf die Brücke. Botterfass holte tatsächlich das Netz ein! Er bediente von einer Konsole an der Backbord–Brückennock die Kurrleinenwinden und die Winches für die anderen Kabel, an denen das Netz hing. Die beiden Matrosen warteten unter dem A–Mast. Es dauerte eine ganze Weile, bis die Scherbretter aus dem Wasser kamen und das Netz mit seinen gelben Auftriebskugeln sichtbar wurde. Schließlich rutschte es die Heckrampe hinauf und Bauch, Tunnel und Steert stiegen aus dem Wasser.
Botterfass brummte verdrießlich, denn der Fang war schlecht: Am Steert, wo sich das Netz stark verjüngte und in einer wurstförmigen Tasche auslief, war nur ein Beutel von zwei Meter Länge und etwa einem Meter Durchmesser mit Fisch gefüllt. Grollend hievte der Skipper das Netz unter dem A–Mast in die Höhe. Einer der Schwarzen zerrte mit einem Bootshaken an der Codleine, und der Inhalt ergoss sich klatschend auf Deck.
Ich stürzte den Niedergang herunter zum Heck. Einer der Matrosen spülte mit einem Hochdruckschlauch Tang, Quallen und Plastikmüll über Bord, der andere schob zappelnde Fische mit einer Art Besen durch eine Luke ins Schiffsinnere und warf große vielbeinige Krabben in Plastikkisten.
Gerade, als ich ihn erreichte, packte er einen Bootshaken und hackte mit ihm nach einen schwarzen Gegenstand, der wie ein großer Teerklumpen inmitten der hüpfenden und zuckenden Fischleiber lag und von ihnen teilweise verdeckt wurde. Der Bootshaken bohrte sich nicht in das Ding, sondern prallte ab, flog dem überraschten Afrikaner aus der Hand und fiel in das Fischgewimmel.
Da sah ich, was es war: Eine große, offenbar hölzerne Fluke an einem schlanken, etwa einen halben Meter langen, scharf gewundenen und sich progressiv verdickenden Körperstumpf, der mit geschnitzten Schuppen bedeckt war und an einigen Stellen golden glänzte! Ein Nixenschwanz! Eilig watete ich in die Fischleiber, rutschte aus und fiel der Länge nach hin. Einen Moment lag ich wie auf einem sich windenden Wasserbett, und mehr als ein Fischschwanz klatschte mir ins Gesicht: Aber ich schaffte es, meinen Fund zu packen.
So rasch ich konnte, rappelte ich mich auf und hievte die Flosse in die Höhe. Das Ding hatte eine Spannweite von rund 1,20 Metern. Es war etwa zwanzig Zentimeter breit und acht bis zehn Zentimeter dick – und es triefte wie in meiner Vision. Der Körperstumpf hatte an der Schwanzwurzel schätzungsweise 28 Zentimeter Durchmesser und an seiner Bruchstelle etwa 35.
Flossen sind meist strömungsgünstig scharf geschnitten. Nicht so bei dem Geschenk des Meeres: Beide Teile der Fluke waren seltsam konturlos und hatten keine spitzen, sondern stark abgerundete Enden. Das ganze Ding wirkte abgeschliffen, verschlissen, abgenutzt. Und es fühlte sich merkwürdig glatt an.
Es war eine Fluke. Das war offensichtlich, obwohl der Leib der Seejungfrau fehlte: Der Nixenschwanz stand waagerecht zum Körper und war dafür ausgelegt, nicht wie beim Hering von rechts nach links bewegt zu werden, sondern wie bei Delfinen und Walen von oben nach unten.
Ich schleppte meinen Fund an den beiden Matrosen vorbei, die mich verblüfft beobachteten, auf die Brücke. Ich legte ihn vorsichtig auf der Nock ab, zog die Tür auf und sagte zu Botterfass, der mich finster anstarrte: »Drehen Sie um, Skipper, es geht nach Hause! Ich habe gefunden, was ich gesucht habe!«
Der Kapitän beruhigte sich erst, als ich ihm versicherte, er werde das versprochene Honorar trotz der um einen Tag kürzeren Fahrtzeit in voller Höhe erhalten, und ihm vorlog, ich sei Klimaforscher und arbeite an einer Methode, mithilfe der Jahresringe in altem Treibholz den Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre früherer Jahrhunderte zu bestimmen.
Ob der Skipper mir glaubte, weiß ich nicht. Auf jeden Fall briet er zum Mittagessen einen großen Barrakuda, der im Netz gewesen war. Das zarte, duftige weiße Fleisch war der delikateste Fisch, den ich je gegessen hatte, und ich verschlang fünf große Stücke – ohne Brötchen.
Ich war mir mit Botterfass einig, dass ich die Schwanzflosse der Galionsfigur eines alten Windjammers gefunden hatte, höchst wahrscheinlich einer Meerjungfrau. Wir waren übereinstimmend der Überzeugung, dass mit dem Fund etwas nicht stimmte; denn die Fluke war mit einer dünnen, aber extrem harten Lack– oder Kunststoffschicht überzogen. Ich konnte die transparente Hülle mit meinem Schweizer Offiziersmesser kaum anritzen. Allein das Zentrum der Bruchstelle ließ sich bearbeiten.
Während der Rückfahrt legte ich mich in meine Koje und dachte nach. Gut, mit einer Riesenportion Dusel hatte ich gefunden, was ich vor meinem inneren Auge gesehen hatte. Aber was hatte ich damit gewonnen? Was die maritime Antiquität mit dem Untergang der »Palermo Express« zu tun hatte – oder haben konnte – war mir ein Rätsel.
Wenn ich es recht überlegte, war es ausgeschlossen, dass es irgendeine Verbindung zwischen dem Schwanzende einer alten Segelschiff–Galionsfigur und dem verschwundenen Containerriesen gab. Jedenfalls fiel mir beim besten Willen keine ein.
Die Geheimnisse der Galionsfiguren
oder
Ein mehr als mysteriöses Polymer
Ich verwünschte die Fluke aus dem Grenzgebiet zwischen Indischem Ozean und Atlantik in den nächsten Wochen beinahe täglich. Statt bei der Beantwortung von Fragen zu helfen, die mich der Klärung des Schicksals der »Palermo Express« näher brachten, lud sie mir eine ganze Anzahl neuer, unlösbar scheinender Rätsel auf.
Um halb sechs Uhr morgens waren wir im Fischereihafen von PE eingelaufen. Sieben Stunden später war ich mit meinem Fund schon auf dem Rückflug. Ich hatte mich rasiert, die vom Sturz in die Fische feuchte Hose gewechselt, den Meerjungfrauenschwanz mit Hilfe von Botterfass in drei oder vier Lagen Luftpolsterfolie gewickelt, in Packpapier eingeschlagen, mit vielen Metern dicken braunen Klebebands verschnürt und wie einen Koffer eingecheckt.
Der Flug war kein Zuckerschlecken: Zuerst düste ich in knapp zwei Stunden nach Johannesburg, wo ich über sechs Stunden totschlagen musste, denn der Jumbo nach Heathrow hob erst um 20.40 Uhr ab. Mir juckte es am ganzen Körper, weil ich so lange nicht geduscht hatte, und ich hoffte, dass ich nicht allzu sehr stank. Aber ich hatte eine unüberwindliche Aversion gegen die Airport–Duschen und gegen alle Waschräume, die von vielen anderen Menschen genutzt wurden. Wahrscheinlich war das ein Mitbringsel aus Eton. In der berühmten Public School war ich bei der Körperpflege niemals alleine gewesen. Ich hatte es gehasst, bei der Morgentoilette keine Privatsphäre zu haben, begafft, nassgespritzt oder angerempelt zu werden.
Aber meine Mitreisenden hatten Glück. In der Business Class blieb der Sessel neben mir leer.
Ich machte mir wenig Sorgen, dass das Geschenk der See beschädigt werden könnte. Auf der langen Rückfahrt mit der lahmen »Starina« hatte sich gezeigt, wie widerstandsfähig das antike Teil war, das wegen seiner Kunststoffimprägnierung eigentlich nicht antik sein konnte. Da es Schläge mit einem kleinen Hammer aushielt, ohne zu zersplittern, würde es sicher auch einen Sturz von einem Gepäckwagen der South African Airways verkraften.
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