Mieterin, Mitarbeiterin und Mutter.
Dann irgendwo ganz weit weg Manuela mit selbstbewusstem Lachen. Manuela auf einem Motorrad, Wind und Sonne und ganz viel Leben mit einer Zukunft ohne Ende. Blicke und Worte für Manuela, Blicke ohne Worte, Blicke und warme Haut.
So lag sie da, feucht und heiß und zukunftskalt, und als sie es entdeckte, schlief sie längst.
Manuela erschöpft schlafend, im Zimmer daneben Linda, das tapfere Kind.
In Lindas Kopf ein Hund, der gern mit einem bunten Ball spielen würde, der jetzt ganz langsam durch das Kinderzimmer rollte.
Die kleine Wohnung im riesigen Hochhaus. Das Haus auf einem uralten Berg.
Kapitel 2 Wer andern eine Grube gräbt (1890)
Wie leise doch der Wald im Winter war. Und besonders in der Nacht.
Hugo stapfte den Hügel hinauf. Trotz seiner groben Schuhe wurden seine Füße feucht. Der Schnee war halt sehr nass. Aber er sorgte auch für ein wenig Helligkeit, so kam er schneller voran. Das Öl für die Lampe konnte er sparen, davon konnte man nie genug haben. Der Tag würde vielleicht Tauwetter bringen, seine Spuren auslöschen.
Gleichmäßig ging sein Atem. So leicht brachte ihn nichts aus dem Tritt.
Die Nacht auf Sonntag und völlig nüchtern. Irgendwie erwischte er sich dabei, dass er dies genoss. Klar im Kopf, feste Schritte und in den Lungen frische Luft.
Zeit für ein Pfeifchen. Pflänzchen gingen ihm durch den Kopf.
Manche glaubten nicht an »Zeigerpflanzen«. Er wusste es besser. Erzadern änderten über Tage den Bewuchs.
Das hatte gut getan. Am Stamm einer Birke klopfte er die Pfeife aus. Leicht hustend setzte er seinen Weg fort. Aufpassen nun, es war nicht mehr weit. Hugo war kein Anfänger. Dort, wo sein Weg unter Tage führte, lag sicher kein Schnee. »Ausziehende Wetter« würde ein Grubenbeamter sagen. Für so was hatten die studiert.
»Teufel komm raus«, spuckte Hugo in den Schnee. Er würde die Stelle finden.
Schon die zweite Samstagnacht, die er sich nun um die Ohren schlug. Aber der Lohn war nicht schlecht. Bald würde es ihm besser gehen. Steiger konnte er natürlich nicht werden, da machte er sich nichts vor. Doch ein wenig mehr verdienen und auch etwas zu sagen zu haben, das reizte ihn. Und endlich auf einer anderen Grube sein.
Er dachte zurück an die Arbeit in der Grube, und Zorn stieg in ihm auf.
»Fortuna« hieß das Loch. Irgendein Klugscheißer hatte tatsächlich behauptet, das würde »Glück« bedeuten. Tolles Glück. Morgens noch vor fünf raus und laufen, laufen, laufen. Er meist allein und quer durchs Gelände. Bei jedem Wetter. Immer klamme Klamotten, nicht nur von der Arbeit unter Tage. Auch der Weg war alles andere als ein Vergnügen. Die Arbeit war hart, machte ihm aber eigentlich nichts aus.
Da war etwas anderes. Meist nahm er es nicht wahr, manchmal fühlte er es, aber verstehen konnte er es nicht recht. Er hätte nicht sagen können, was es war. Hatte irgendwie mit ihm und den anderen zu tun. Oder mit allem anderen. Ja, da irgendwo lag der verdammte Hund begraben. Nie fühlte er sich wohl, mochte auch niemanden.
Das waren jetzt wieder so Gedanken, die ihn überfielen. Ganz wild wurde es wieder in ihm. Wirr und unsicher im Kopf stapfte er weiter durch den Wald.
Und mit ihm immer mehr seine Begleiter Wut und Trotz, die er fühlte und so gut kannte, aber niemals hätte benennen können.
Wie viele Jahre ging das nun so? Richtig schlimm war es geworden, seit er Bergmann war.
Nie war er in ein Gedinge gekommen. 25 verdammte Jahre alt und noch immer nicht im Abbau, am Erz und damit ein wenig am Geld. Karrenläufer immer noch, das hatten manche mit 18 hinter sich. Verflucht, wofür im Kopf alles Platz war in der Nacht auf Sonntag, wenn da so viele Gedanken waren und kein Wacholder.
Als der Tag langsam dämmerte, war ein enttäuschter Hugo auf dem Rückweg. Wieder hatte er den Zugang nicht gefunden. Eine Samstagsschicht unter Tage und eine nächtliche Suche über Tage steckten ihm jetzt in den Knochen. Hinzu kam ein kalter Regen, sein Begleiter auch auf so vielen Wegen zur Grube und zurück. Wenigstens würde niemand seine Spuren sehen, denn nach und nach wurde der Schnee aufgeweicht. War also erst mal nichts mit der Belohnung. Also demnächst noch mal eine Nacht dranhängen.
Stehen bleiben, noch eine Pfeife. Schon seltsam. Tag für Tag fuhr man ein in die Grube, alles war so gewohnt. Und jetzt stand er hier und suchte einen versteckten Eingang genau dorthin.
Hugo schaute sich um.
Für einen Moment kam der durchaus berechtigte Gedanke in ihm auf, dass es an vielen Stellen in seinem Kopf nicht sehr hell war. Die Ahnung, dass er überdies noch bösartig war, verflog schneller als der Rauch aus seiner Pfeife.
Frühschicht Montagmorgen. Für viele schlimmer als eine Doppelschicht in den Samstag.
Die Grube förderte Eisen und Kupfer, Silber und Blei. Hart und laut würde es bald werden. Doch der Arbeitsbeginn war ungewöhnlich still.
Fast still auch lag die Grube im Wald. Leises Zischen und Surren hier und da. Spärliches Licht schimmerte aus den Übertageanlagen, Rauch und Dampf vermischte sich mit dem morgendlichen Nebel, der aus der Nacht herüber kam. Alles schien ruhig und wie im Schlaf.
Dann kamen sie. Pfade, viele seit Jahrhunderten von Generationen in den Boden getreten, führten sie zu ihrer Arbeitsstätte. Hier und da ein Wort, vielleicht ein heiseres Lachen und viel Husten. Immer wieder der Husten.
Hier waren Bergleute unterwegs. Erst vereinzelt, dann teils in längeren Reihen strebten sie aus den verschiedensten Richtungen der Grube zu. Alle beneideten nun die Nachtschicht, die endlich ein Bett erwartete.
Die »Fortuna« war eine ordentliche Grube. Kein Dreckloch. Moderner Dampfbetrieb. Das Gedinge war schmal bemessen und die Arbeit hart. Aber das war überall so. Doch am Wochenende verlässlich die Lohntüte. Anstehen, Hut abnehmen nicht vergessen, unterschreiben und Dankeschön sagen. In der Tüte der Lohn.
Der Lohn: Niemals gleich für Bergleute im Abbau unter Tage. Nach Leistung wurde gezahlt. Gedinge. Erz ist Geld. Ohne Erz kein Geld. Der Lohn allein reichte kaum zum Leben. Bauernarbeit erwartete daher die meisten noch nach der Schicht.
Ohne Gedinge, für einfachere, aber oft nicht weniger schwere Arbeiten, sah es noch schlechter aus. Nicht nur unter Tage.
Schlechten Lohn gab´s für Frauen und Kinder über Tage, auf Halden und unter den Röstöfen. Aber trotzdem: Auf »Fortuna« anfahren, hieß Geld verdienen. Die Abkehr von dort wollte keiner. Fast keiner.
In der Schachthalle kamen die Bergleute jetzt zusammen. Geruch nach Schweiß, feuchten Kleidern und den Schwefelgasen der Röstöfen. Müde und grau würden sie in acht bis zwölf Stunden aussehen.
Jetzt waren sie hellwach. Alle hatten schon einen längeren Fußweg durch die späte Nacht hinter sich, manche schon das Vieh versorgt.
Hatten eine Ziege oder sogar eine Kuh. Heim und Stall waren nun ganz weit weg.
Erinnerung nur noch das warme Bett und die Frau darin.
Ganz anders jetzt der Geruch des Schachts. Ausziehende Wetter, das Versammeln zur Andacht.
»Segne diese Bergwerker..«, begann ein Steiger ein kurzes Gebet. Sammlung und ein wenig Trost vor der Einfahrt.
Immer wieder fuhr der eiserne Förderkorb ein in die Tiefe des Berges, immer wieder kam er hoch, neue Bergleute zu holen. Hell klang die Glocke der Fördermaschine. Seilfahrt für die Frühschicht. Während der Förderkorb sich senkte, herrschte Schweigen.
»Himmel, hast du gesoffen.« Jupp nahm wie immer kein Blatt vor den Mund.
»Wenn du meinst.« Hugo hatte keine Lust zu reden. Samstagnacht futsch, Sonntag ein wenig Spaß und schon wieder eine neue Woche.
»Glaub auch, wir haben jetzt Schlagwetter«, meinte der Pferdejunge, aber sofort lag er auf dem Rücken. Hugo konnte schnell zuschlagen.
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