William Jenkins, der Vizepräsident von United Motors, stand aufrecht im Cockpit. Er blickte aufmerksam voraus, während seine kräftigen Hände das zierliche Steuerruder gefühlvoll bewegten. Folgsam beschrieb das Kunststoffboot eine enge Kurve nach der anderen. Sein Kiel zerteilte die gleißende Wasserfläche wie ein scharfes Messer, und die Gischt stob hoch in die laue Luft.
„Angst?“ Die Stimme des Amerikaners war dunkel und voll. Er sprach ein leicht akzentuiertes Französisch.
Chantal saß hinten, wo auf der freien Fläche des Bootes weitere Sitzbänke angebracht waren. Sie hatte ihre Arme ausgebreitet und ihre Hände in die niedrige Reling förmlich verkrallt. Das überhebliche Lächeln auf ihren Lippen wirkte leicht festgefroren, und als sie William Jenkins antworten wollte, musste sie erst einmal kräftig schlucken.
„Ach nein“, erklärte sie piepsig. „Ich finde, es ist wirklich eine tolle Fahrt. Ja, richtig toll...“
„Dann wird Ihnen das sicher gefallen!“
Das Boot fuhr plötzlich eine Doppelschleife, und sicher wäre selbst einem ausgefuchsten Kap-Horn-Fahrer angst und bange dabei geworden. Kein Wunder also, dass Chantal nun überhaupt nicht mehr lachen konnte.
Und hatte sie sich vor einigen Minuten — oder war es vor einer Ewigkeit gewesen — zu ihrer eigenen Gerissenheit gratuliert, so hielt sie sich inzwischen eher für ausgesprochen dumm und dämlich.
Eigentlich war ja auch von Anfang an alles schiefgelaufen.
Brimeu und sein absurder Sinn für Humor!
Ganz bewusst hatte er ihr verheimlicht, mit was der Vizepräsident in Wirklichkeit beschäftigt war und wem genau die erwähnten »schnittigen Formen« gehörte.
Chantal hatte es jedenfalls schnell herausgefunden. Mitten hinein in das traute Zusammensein war sie geplatzt. Am liebsten wäre sie vor Scham und Peinlichkeit in den Boden versunken. Dieses blonde, verdorbene Luder von Lavallade hatte tatsächlich nicht davor zurückgeschreckt, sich ausgerechnet an den Mann heranzumachen, der in Zukunft das Sagen haben würde. Entweder musste dieses Weib ein untrügliches Gespür besitzen oder Brimeu hatte geplaudert.
Chantal war sich auch jetzt noch nicht im Klaren darüber, ob ihr Chef möglicherweise gegen die Abmachung verstoßen hatte. Jedenfalls hatte sie sich rasch etwas einfallen lassen müssen.
„Entschuldigen Sie, Madame Lavallade, aber jemand, der behauptet, Ihr Verlobter zu sein, wünscht Sie dringend am Telefon zu sprechen. Es scheint da offenbar Schwierigkeiten gegeben zu haben.“
Zugegeben, es war ein Schuss ins Blaue gewesen. Und sicher gab es bessere und plausiblere Ausreden auf der Welt. Aber woher auf die Schnelle nehmen? Zum Glück hatte es diese auch getan. Himmel, hatte das Weib ein Gesicht gezogen. Und dann, nichts wie weg.
Nun, um ehrlich zu sein, hätte Chantal geahnt, was sie erwartete, sie wäre gern die zweite Siegerin geblieben. Nicht genug, dass sie sich ihrem Empfinden nach einem völlig Fremden aufdrängte, ja sich ihm förmlich an den Hals warf — dass sie es tat, um ihre Karriere zu retten, machte alles nur noch schlimmer —, nein, sie musste darüber hinaus noch so tun, als würde ihr diese wahnsinnige Raserei mit dem Boot, und der ganze Ausflug überhaupt, einen riesigen Spaß bereiten.
„Hören Sie, es ist zwar alles ganz wunderbar, aber ich würde nun gern wieder ans Ufer zurück Sicher wird man uns schon vermissen.“
Sie zögerte und fügte dann rasch hinzu: „Ich meine, schließlich sind Sie der Ehrengast.“
William Jenkins erwiderte nichts. Stattdessen begann der Motor plötzlich zu stottern.
„Meine Güte, was ist denn jetzt los?“, erkundigte sich Chantal bestürzt. „Wir werden doch nicht etwa sinken?“
William hatte für ihre Befürchtungen nur ein leichtes Lächeln übrig. Er betätigte einen Schalter, und der Motor verstummte vollends. Chantal blickte sich um. Schnell stellte sie fest, dass das Boot ein gutes Stück vom Seeufer entfernt auf dem Wasser dahintrieb. Sie konnte sich nicht helfen, aber ihr kam der ominöse Motorschaden auf einmal wie bestellt vor.
Währenddessen zauberte William eine Flasche Champagner und zwei langstielige Gläser aus einem Korb hervor, den er mit an Bord gebracht hatte. Sehr schlau eingefädelt, dachte Chantal.
Und laut sagte sie: „Ich fürchte, für Champagner ist wohl kaum der richtige Augenblick.“
„Für Champagner ist immer der richtige Augenblick“, behauptete William lässig. Er entkorkte gekonnt die Flasche.
„Bitte, würden Sie nun Notsignale geben!“ Chantal blitzte ihn ungehalten an, denn seine unnatürliche Ruhe angesichts der prekären Situation machte sie nervös.
„Wissen Sie was? Wir trinken den Champagner und schicken anschließend eine Flaschenpost ans Ufer. Einverstanden?“
Einverstanden oder nicht. Jedenfalls schenkte William die Gläser voll. Chantal rührte das für sie bestimmte nicht an.
„Langsam kommt mir der Verdacht, dass der Motor völlig in Ordnung ist“, sagte sie ungehalten. „Geben Sie ruhig zu, dass Sie diese Situation bewusst herbeigeführt haben!“
„Ich? Ich dachte, Sie...“
„Na hören Sie mal!“
„Aber Sie haben das arme Mädchen angeschwindelt, richtig?“
„Äh... aber...“
„Wie hieß die junge Dame och? Ach ja, Carmen.“
„Nein! Emilia!“, platzte Chantal heraus. „Emilia Lavallade.“
„Trinken Sie!“ Automatisch griff Chantal nach ihrem Glas. In ihrer momentanen Verwirrung wusste sie sich nicht anders zu helfen.
„Das Mädchen, es wird böse sein und eifersüchtig.“
„Interessiert Sie das wirklich, Mr. Jenkins?“
„Nein“, sagte William schlicht. „Aber Sie interessieren mich.“
Chantal schauderte leicht und trank einen Schluck. „Schön und gut“, sagte sie dann, „aber wir können doch nicht ewig fortbleiben.“
Sie trank wieder. „Überhaupt, was sollen denn die anderen denken? Die stellen sich doch gleich sonst was vor!“
„Stört Sie das?“
„Kommt darauf an“, erklärte Chantal vage. Nicht zu abweisend sein. Kühl bleiben, aber immer kokett, warnte sie sich innerlich. Es ging um viel, um sehr viel. Den Fehler, dass sie klipp und klar zu verstehen gab, wozu sie niemals bereit sein würde — nämlich das Objekt seiner männlichen Begierde zu sein den durfte sie natürlich nicht begehen. Sie musste im Gegenteil so tun, als wäre sie in einer entsprechenden Stimmung nicht abgeneigt.
Kein leichtes Unterfangen, denn William war eigentlich ganz anders, als sie sich ihn in ihrer Phantasie vorgestellt hatte. Irgendwie jünger, und er strahlte eine unverbrauchte Dynamik aus, die sie selbst hemmte, ja beinahe lähmte. Und dann seine Augen. Sie blickten so... so hart. Ja, und kalt. Sogar wenn William lachte. Irgendwie kam das Lachen nicht bis zu seinen Augen. Seltsam, man hätte ihn überhaupt eher für einen Südländer halten können als für einen Amerikaner. Das schwarze Haar, das scharfgeschnittene, von der Sonne gebräunte Gesicht, die beinahe sinnlich aufgeworfenen Lippen — das gehörte doch viel mehr zu dem Bild eines jener spröden und wortkargen Sizilianer, die man in alten italienischen Filmen oft zu sehen bekam, als zu einem erfolgsgewohnten Geschäftsmann.
Ein gefährlicher Mann, der sich bestimmt rücksichtslos nahm, was er haben wollte. Ja wirklich, da musste man auf der Hut sein. Aber gründlich.
„Wir leben in einer modernen Zeit. Und doch gerät auch heute noch eine Frau ganz leicht in den Ruf, unmoralisch und flatterhaft zu sein. Vor allem, wenn sie riskiert, ihren heimlichen Gefühlen nachzugeben.“
Chantal lächelte vielversprechend. „Verstehen Sie? Aber solange ich Sie nicht näher kenne...“ Gegen ihren Willen wurde sie rot. „Wir könnten ja mal zusammen essen gehen.“
William Jenkins musterte sie kühl. „Wäre das nicht reine Zeitverschwendung?“ fragte er schroff. „Schließlich bleibt es ja lediglich ein Geschäft.“
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