Na schön, sie war jung und sah gut aus. Aber was hatte sie sonst noch zu bieten außer ihrem Körper?
Halt! unterbrach sich Chantal in Gedanken. Vielleicht ist das schon mehr als genug. Vielleicht wollen Männer gar nicht mehr. Louis ist ja das beste Beispiel dafür. Meine sonstigen Qualitäten, ja sogar meine Liebe, waren ihm schließlich gleichgültig, bloß weil ich ihn nicht mehr reizte, nicht mehr hemmungslos genug war im Bett für ihn.
Hemmungslos?
War ich überhaupt jemals hemmungslos in meinem Leben?
Chantal schüttelte ihren Kopf. Niemals! Dazu war sie einfach nicht fähig. Dabei spielte auch keine Rolle, dass Louis der erste und einzige Mann gewesen war, mit dem sie sexuelle Beziehungen hatte. Sie war eben eine Dame, die einen Verstand besaß, der sich nicht ausschalten ließ.
Nie würde sie sich stöhnend und außer sich unter einem Mann winden, wie sie es so oft in Louis lächerlichen Pornofilmen gesehen hatte. Irgendwo würde es doch wohl einen Mann geben, der dies verstand.
Plötzlich klingelte das Telefon auf ihrem Schreibtisch. Chantal hob den Hörer ab.
„Madame Trémoille? — Salut. Ich grüße Sie!“, drang es jovial durch den Draht. „Wie geht es Ihnen heute?“
Das war typisch für Dr. Fabrice Brimeu. Nie meldete er sich mit seinem Namen am Telefon. Auch dieses grässliche »Ich grüße Sie« war eine Angewohnheit von ihm.
„Danke, Monsieur Brimeu, mir geht es fabelhaft“, erwiderte Chantal missgestimmt.
Der Chef hatte bestimmt nicht deshalb angerufen, weil er sich über den Zustand ihrer Gesundheit informieren wollte.
„Freut mich, dass Sie die Angelegenheit so leichtnehmen. Meine Gattin hatte schon Angst, dass Sie sich etwas antun würden. Aber ich sagte ihr: Die Trémoille wird garantiert mit ihrer Scheidung fertig werden. Genau das sagte ich ihr.“
Also wusste er es bereits. Chantal war kaum überrascht. Brimeu war stets glänzend informiert und scheute nicht davor zurück, seine Nase auch in das Privatleben der Firmenbeschäftigten zu stecken.
„Trotzdem, Madame Trémoille, falls Ihnen die Decke auf den Kopf fallen sollte, kenne ich da ein nettes, kleines Restaurant, in dem wir gemeinsam speisen könnten.“
Speisen, wie geschraubt. das klingt, dachte Chantal. Zumal er dabei mit Sicherheit an ganz anderen Dingen interessiert war. Bestimmt kannte er auch ein nettes, kleines Hotelzimmer mit einem gemütlichen, breiten Bett, in dem es sich ungestört treiben ließ.
„Merci, Monsieur Brimeu, Ihre Einladung ehrt mich. Haben Sie mich deshalb angerufen?“ Chantal legte eine gehörige Portion Spott in ihre Stimme.
„Nein, nein“, kam es hastig vom anderen Ende zurück. „Ich habe hier gerade Ihre Inventurliste vorliegen. Danach müssten wir vier Ersatzmotoren des B-Typs auf Lager haben. Meines Wissens liegen in der Halle aber nur drei von den Dingern herum. Würden Sie das bitte überprüfen lassen?“
„Selbstverständlich. Ich werde mich darum kümmern.“
„Ich bitte Sie, Madame Trémoille“, tat Brimeu entrüstet, „haben Sie das nötig? Schicken Sie doch jemanden aus der Werkstatt hin.“
„Sicher. War das alles, Monsieur Brimeu?“
„Für den Augenblick ja. Bis dann, und — Kopf hoch, Cha... äh, Madame Trémoille.“
Chantal legte auf. Der Versprecher ihres Chefs war ihr natürlich nicht entgangen. Hieß das etwa, dass sich Brimeu in Gedanken mit ihr beschäftigte? Betrachtete er sie als Freiwild, jetzt, nachdem sie geschieden war?
Chantal schob diese Gedanken schließlich ihrer Überspanntheit zu. Sie stand auf und warf einen schnellen Blick in den viereckigen Spiegel, der über dem Waschbecken hing. Natürlich würde sie der Reklamation selbst nachgehen. Die Liste stammte von ihr. Und wenn darin vier Motoren verzeichnet waren, so waren auch vier vorhanden. Außerdem würde der kleine Spaziergang sie von ihren Problemen ablenken.
Das Ersatzteillager war am Ende des langgestreckten Firmengebäudes untergebracht. Man konnte es nur über den Hof, auf dem die Gebrauchtwagen standen, erreichen. Das war Absicht. Und tatsächlich kaufte so mancher Kunde statt eines teuren Teiles gleich einen neuen Wagen.
Im schmalen Verkaufsraum des Lagers war es angenehm kühl. Da niemand zu sehen war, ging Chantal in die angrenzende Halle.
„Hallo?“, rief sie verhalten in das Labyrinth der deckenhohen Regale hinein, das sich im schummerigen Licht der wenigen Neonröhren verlor. Keine Antwort. Zögernd tastete sich Chantal weiter vor.
Der etatmäßige Verkäufer lag mit einer Blinddarmentzündung im Krankenhaus. Chantal hatte zur Aushilfe einen Studenten eingestellt, den sie für zuverlässig gehalten hatte. Nun ärgerte sie sich darüber.
Zweifellos erholte sich der Taugenichts in irgendeiner dunklen Ecke von den Anstrengungen seines ausschweifenden Nachtlebens. Plötzlich drangen Gesprächsfezen zu ihr herüber:
„Nein! ... nein, Yannik... der Knopf bleibt zu!“
Vorsichtig schob sich Chantal näher heran. Diese Stimme kannte sie doch!
Aber ja, das war doch die Lavallade, die dort mit halbgeöffneter Bluse an einem Reifenstapel lehnte. Man konnte deutlich sehen, dass sie keinen Büstenhalter trug. Ganz nah bei ihr stand ein schwarzhaariger junger Mann, der Student, den Chantal aushilfsweise eingestellt hatte.
Die Lavallade, sieh an!
Dieses kleine, sexhungrige Luder besaß doch tatsächlich die Frechheit, es am helllichten Tage zu treiben. In aller Öffentlichkeit und mit einem Mann, den sie gerade erst kennengelernt haben konnte. Chantal lächelte zynisch.
Wenn das Brimeu erfahren würde!
Sein bevorzugtes Liebchen feierte eine heimliche Orgie in der Lagerhalle. Mit Sicherheit wäre dann ein Rausschmiss fällig.
Sie überlegte, ob sie dem obszönen Treiben ein vorzeitiges Ende bereiten sollte, um Schlimmeres zu verhüten. Chantal stellte sich die betretenen Gesichter der beiden Turteltäubchen vor. Natürlich würde die Lavallade versuchen, alles abzustreiten, Aber schließlich würde sie doch zugeben müssen, das... das... Ja, was eigentlich?
Ihre eindeutigen Absichten, führte Chantal den Gedanken zu Ende. Unsinn, überlegte sie eine Sekunde später, niemals würde die Lavallade etwas zugeben. Außerdem, was heißt schon eindeutige Absichten?
Sie waren noch lange kein Beweis. Eine halboffene Bluse ließ sich leicht erklären. Der Lavallade würde mit Sicherheit etwas einfallen, zumal ihre Vorliebe für ausgesprochen aufreizende Kleidung bekannt war.
Bekannt war auch Chantals Abneigung gegen den Liebling des Chefs. Am Ende würde sie selbst dastehen wie ein begossener Pudel, während die Lavallade die Geschichte unter dem Gelächter der Kollegen zum Besten gab.
Nein, im Grunde gab es nur zwei Möglichkeiten: Entweder beide Augen zuzudrücken oder abzuwarten, bis die Situation wirklich eindeutig geworden war, um dann einzugreifen.
„Sie sind mir ja einer! Gehen Sie allen Mädchen gleich an die Bluse? Was studieren Sie überhaupt, Yannik?“, hörte Chantal die Sekretärin neugierig fragen.
Die Antwort des Studenten war undeutlich, aber Emilias Gehabe bewies, dass sie ihr gefiel.
„Unmöglicher Kerl! Sie müssen Medizin studieren. Nur Ärzte sind so unverschämt neugierig.“
„Sehe ich wirklich aus wie ein Bauchaufschlitzer? Ich studiere Mathematik.“
„Oh, ist das nicht sehr schwierig?“, rief Emilia bewundernd aus und strich sich eine vorwitzige blonde Haarsträhne aus der Stirn.
„Es geht. Am liebsten beschäftige ich mich mit Gleichungen. Vor allem Gleichungen mit zwei Unbekannten interessieren mich“, flüsterte der Student geheimnisvoll.
„Toll! Können Sie mir so was nicht auch beibringen? Die Kollegen würden staunen, wenn ich mit den Unbekannten ankäme. Wissen Sie, Yannik, die meisten hier halten mich nämlich für ziemlich dumm.“
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