„Das Pferdevolk wird an ihrer Seite stehen“, versicherte Nedeam.
„Selbstverständlich.“ Sandfallom nickte bedächtig. „Die Ehrenhaftigkeit der Pferdelords steht außer Frage. Sollten eure Reiterscharen eines Tages in den Süden ziehen, so wird das Volk der Zwerge im Norden standhalten.“
„Ohne Zweifel.“ Der Erste Schwertmann der Hochmark bemerkte den Ausdruck in Llaranyas Augen. Sie lauschte den Ausführungen aufmerksam und wirkte auf jene Weise bewusst entspannt, die Nedeam schon an ihr kannte. Eine jener Eigenheiten, die sie auch bei den eher spielerischen Streitgesprächen zeigte, die sie beide sich gelegentlich lieferten. Und bei denen er, wie er zugeben musste, meist unterlag. Die Art, wie sie den Zwerg ansah, verriet, dass sie ihre Ungeduld kaum zügeln konnte.
„Ihr wisst, die gelbe Kristallstadt Nal´t´hanas wird nie von der Seite des Pferdevolkes weichen“, sagte Sandfallom eindringlich.
„Jetzt kommt er zur Sache“, dachte sich Nedeam und nickte abermals. „Die Treue des kleinen Volkes wird in den Legenden besungen“, stimmte er dem Ersten Axtschläger zu.
Sandfallom stellte seinen Becher auf den Schreibtisch zurück. Er tat es mit langsamen, bedächtig wirkenden Bewegungen, die verrieten, dass er Zeit gewinnen wollte, um die richtigen Worte zu finden.
„Wir Zwerge treiben schon immer Handel mit anderen Völkern“, begann er zögernd. „Dieser Handel ist sehr wichtig, denn Nal´t´hanas leidet noch immer unter den Folgen, die der damalige Einsturz der Stadthöhle nach sich zog. Wir haben viele Leben verloren und haben manchen Mangel an lebenswichtigen Ressourcen.“ Er zupfte unruhig an seinen Bartzöpfen. „Ungeachtet der Tatsache, wie bereitwillig uns unsere Freunde vom Pferdevolk zur Seite stehen.“
„Sagt es frei heraus, Erster Axtschläger.“
Die kalte Stimme kam von der Tür, und als Nedeam sich umwandte, sah er dort die beiden Scharführer Arkarim und Pendrat. Das Gesicht von Pendrat war unbewegt, doch das von Arkarim verriet unverhohlenen Zorn.
Sandfalloms Gesicht verdunkelte sich ein wenig. „Ich spreche selbst mit dem Hohen Herrn Nedeam, Scharführer. Ihr mögt euch später dazu äußern.“
Arkarim ignorierte die Worte seines künftigen Vorgesetzten und sah Nedeam an. „Sie waren in der Öde, Nedeam. Nicht unsere Streifscharen, sondern die Zwerge!“
Nedeams Kopf ruckte zu Sandfallom herum. „Ihr wart in der Öde?“
Der Zwerg stieß ein leises Knurren aus. „Ja.“
Nedeam atmete mehrmals tief durch und versuchte, seinen aufkeimenden Zorn zu bezwingen. „Ihr alle kennt das Versprechen, welches wir den Paladinen Rushaans gaben. Wir sagten zu, nur den Süden zu bestreifen und den Rest des toten Landes zu meiden. Dies gab ihnen den Frieden.“
„Ihr Pferdemenschen habt es den Paladinen versprochen“, wandte Allruk hastig ein. „Es waren nicht die Worte der Zwerge.“
„Halt den Mund“, brummte Sandfallom unwirsch. „Solche Steinspaltereien sind der Zwerge unwürdig. Sie mögen im Königreich Alnoa gelten, doch nicht für uns.“ Er sah Nedeam an und zuckte die breiten Schultern. „Ich hätte es Euch ohnehin gesagt, Nedeam, das könnt Ihr mir glauben. Ja, wir Zwerge kennen das Versprechen, und auch wenn wir es nicht gegeben haben, so ist es doch das Wort unserer Freunde und somit auch für uns bindend.“
„Aber ihr habt dagegen verstoßen“, stellte Nedeam fest. „Ihr seid in die Öde gegangen und habt das Wort gebrochen, welches ich den Paladinen gab. Warum, Sandfallom? Warum habt Ihr mich in diese ehrlose Lage gebracht?“
„Die Paladine sind vergangen, es schmerzt sie nicht mehr“, murmelte der Erste Axtschläger.
„Es schmerzt mich!“, brüllte Nedeam auf. „Es war mein Wort, das ihr Zwerge gebrochen habt!“
„Das stimmt.“ Sandfallom war selbst ein Mann von großer Ehre, und es fiel ihm schwer, den Wortbruch einzugestehen. „Wir taten es nicht ohne Grund, Hoher Herr.“ Er senkte die Stimme und sah Nedeam beschwörend an. „Ihr mögt meine Bartzöpfe beschneiden, doch es gab einen guten Grund.“
Nedeams Zorn verrauchte. Er kannte den Stolz, den das kleine Volk mit seinen Bartzöpfen verband. Dennoch war Sandfallom bereit, die seinen aufgrund des Wortbruchs zu opfern. „Behalte deine Zöpfe, Freund Sandfallom“, knurrte er versöhnlich. „Aber sagt mir, um unserer Freundschaft willen, warum es geschah.“
„Wir Zwerge sind ein stolzes Volk.“ Der Zwerg strich sich unbewusst über die geflochtenen Zöpfe. „Ihr wisst, Nal´t´hanas leidet noch manchen Mangel, auch wenn unser Volk sich nun langsam erholt. Oh, ich weiß, das Pferdevolk hätte uns fraglos geholfen, wenn wir darum gebeten hätten, doch bedenkt unseren Stolz. Wir waren es immer gewohnt, unsere Probleme aus eigener Kraft zu lösen. Doch für einen Teil der Sorgen ist diese Nordfestung verantwortlich. Wir brauchten Männer und Ressourcen, um sie zu errichten. Beides fehlte unserer Stadt.“
Nedeam nickte den beiden Scharführern zu, die unschlüssig in der Tür standen und die sich nun zurückzogen. „Ich verstehe. Deswegen kündete Allruk so überreichlich von den Verdiensten des kleinen Volkes an Feste und Signalstationen.“
„Er mag es ein wenig übertrieben haben“, räumte Sandfallom ein. „Er wusste von dem Ereignis in der Öde und versuchte, Euer Entgegenkommen zu erwirken, Nedeam.“
„Hm.“ Nedeam musterte Allruk, der ein wenig zu schrumpfen schien. „Schön, weiter, Sandfallom. Es geht ja wohl nicht allein darum, dass ein paar Zwerge in die Öde vordrangen. Offensichtlich ist dort etwas geschehen, das euch beunruhigt.“
„Nicht nur uns Zwerge.“ Sandfallom seufzte. „Scharführer Pendrat war es, der den einzigen Überlebenden entdeckte und zur Feste brachte.“ Er lächelte verlegen. „Glaubt mir, Pendrat war sehr erzürnt, doch er stand unter Befehl und hielt sich zurück, da ich ihm zusagte, euch selbst zu informieren.“
„Nach einer gewissen Einstimmung auf die Verdienste des Zwergenvolkes durch Allruk.“
„Hm, ja, das will ich wohl zugeben.“ Sandfallom erhob sich und ging ein paar Schritte auf und ab. „Es macht mich verlegen, die Ehre Eures Wortes, Nedeam, gegen den Stolz der Zwerge aufzuwiegen. Nun, das Reich Alnoa braucht viel Gold, und eine Streifschar des Pferdevolkes entdeckte ein reichhaltiges Vorkommen in der Öde.“
Nedeam seufzte schwer. „Dann ist auch eine unserer Streifscharen in die Öde vorgedrungen?“
„So ist es. Sonst hätten wir niemals von dem Goldvorkommen erfahren.“
„Ich werde einmal mit Scharführer Pendrat zu reden haben“, brummte Nedeam.
„Er tat es nicht ohne Grund.“ Sandfallom lächelte unglücklich. „Die Streifschar entdeckte fremde Spuren, denen sie eine Weile ohne Ergebnis folgte. Dabei stieß sie auf das Gold.“
„Ihr Zwerge verfügt selber über Gold.“ Nedeam strich sich über das Kinn. „Warum interessiert euch nun das Vorkommen in Rushaan?“
„Für den Handel mit Alnoa brauchen wir sehr viel Gold, und je schneller wir es bekommen, desto besser. Ha, dieses Gold Rushaans liegt direkt an der Oberfläche. Man braucht es nur aufzuheben.“ Für einen Moment funkelten Sandfalloms Augen begeistert.
„Also zogen eure Schürfer in die Öde, um genau dies zu tun.“
„Es sollte eine einmalige Aktion sein. Wir schickten eine Gruppe Schürfer und Axtschläger hinaus, die das Gold bergen und nach Nal´t´hanas bringen sollten. Doch dann geschah das Unglück. Die Gruppe wurde überfallen und niedergemetzelt.“
Nedeam erwiderte den Blick des Zwerges. „Die Paladine Rushaans sind vergangen. Es waren also nicht die ehemaligen Herren der Öde.“
„Wir wissen nicht, wer oder was es war. Der Überlebende berichtet von riesigen, pelzbedeckten Gestalten, die über das friedliche Lager herfielen und alle töteten.“
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