„Der Feldzug wurde im Winter durchgeführt.“
„Falls du es noch nicht weißt, mein geliebtes elfisches Wesen, ich war dabei.“
„War dir kalt?“
„Gelegentlich.“ Nedeam strich sich über das Kinn. „Ich verstehe. Das Kaltland ist noch kälter, nicht wahr?“
„Viel kälter. Es ist das Land des ewigen Eises.“
Nedeam überlegte kurz und nickte dann. „Du hast Recht, darauf müssen wir uns vorbereiten. Wir brauchen warme Bekleidung und Schutz für unsere Pferde.“
„Kannst du dich noch entsinnen, wie du den guten König Balruk von der grünen Kristallstadt Nal´t´rund kennenlerntest?“
„Unvergessen.“ Der Erste Schwertmann der Hochmark seufzte leise. „Die Attacke Garodems, als wir um die letzte Zuflucht der Zwerge kämpften … Dorkemunt mit seiner Axt … Ein glorreicher Kampf und doch voller schmerzlicher Erinnerungen.“
„Du hast mir von den damaligen Ereignissen erzählt“, bestätigte die Elfin. „Und auch von dem Grund, warum die Orks einst Nal´t´rund berannten.“ Sie lächelte Sandfallom an. „Sagt, Hoher Herr Sandfallom, gibt es in Nal´t´hanas Schwarzkristall?“
„Selbstverständlich.“ Der Zwerg zupfte nachdenklich an seinen Bartzöpfen.
„Ihr könnt ihn in kleine hauchfeine Plättchen schneiden? Gerade so, dass man noch ein wenig hindurch sehen kann?“
„Welche Frage.“ Sandfallom klang ein wenig beleidigt. „Gebt uns Zwergen Stein oder Kristall, und wir zeigen euch, was sich daraus fertigen lässt.“
„Schön, dann brauchen wir nur noch die passenden metallenen Rahmen“, sagte Llaranya zufrieden.
Nedeam kratzte sich nachdenklich im Nacken.
Seine Elfin hatte etwas ersonnen, und er hätte zu gerne gewusst, was es damit auf sich hatte.
Die Gruppe hatte die Stadt Ataraan vor vielen Tagen verlassen. Die dortige Nähe der heißen Quellen hatte die Luft stickig und schwül gemacht, doch die Männer waren das gewohnt. Sie marschierten auf den alten Pfaden, immer auf der Hut, denn der Dschungel Julinaashs war voller Leben, und einiges davon konnte sich rasch als tödlich erweisen.
Sie näherten sich nun dem Fluss, und der mächtige Strom schickte ihnen einen Hauch kühler Luft entgegen. Einige zogen fröstelnd die Schultern zusammen. Die dicht stehenden Bäume und Schlingpflanzen begannen langsam zurückzuweichen. Die Männer ließen in ihrer Vorsicht nicht nach und spähten aufmerksam um sich. Vor allem in der Nähe des Flusses, der für viele Tiere die übliche Wasserstelle war, musste man mit Raubtieren rechnen. Normalerweise mieden diese Räuber die Nähe der Menschen, denn sie hatten gelernt, dass sie meist den Kürzeren zogen. Aber wenn ein Doppelkopf oder gar ein Schakral ausgehungert genug war, ging er auch ein hohes Risiko ein. Daher lauschten die Männer auf die Geräusche des Urwaldes. Die Schritte eines Doppelkopfes waren nicht zu hören, dazu war er zu geschickt, aber die Vögel reagierten auf seine Anwesenheit, und ihre Warnschreie würden den Menschen Zeit genug verschaffen, sich auf die Bestie vorzubereiten.
Gelbat-Mann war zum ersten Mal auf dem Weg ins Land der Frauen, und seine Nervosität rührte sicher nicht nur von den Gefahren des Urwaldes her. Er umklammerte das kurze Schwert mit schweißnasser Hand, und seine Zunge leckte immer wieder über die vollen Lippen.
Am Ufer des Flusses waren Gruppen der verschiedensten Tiere zu sehen, die vorsichtig tranken und ihre Aufmerksamkeit gleichermaßen auf den Dschungel und das Wasser richteten. Es gab Fische, die den Tieren als Nahrung dienten, und solche, die sich an den Tieren labten.
„Bleibt dem Ufer fern“, sagte Herdur-Mann. Er war der Anführer der Gruppe, und die zahlreichen Narben an seinem Körper verrieten, dass er zu den erfahrensten Kriegern des Männervolkes gehörte. Er packte Gelbat-Mann am Arm und zog ihn weiter vom Ufer fort. „Bleib weg, sage ich. Die Tentakel eines Dorm können dich noch packen, wenn du drei Längen vom Wasser entfernt bist. Wir werden uns dem Fluss des Eten erst nähern, wenn wir an der Brücke sind.“
Der Eten. Sie wussten, dass man den Fluss so nannte, doch wer ihm den Namen gegeben hatte und woher der mächtige Strom kam, bevor er ins Meer mündete, das konnte keiner der Männer sagen. Die Legenden nannten ihn den Eten, und die Legenden waren die Grundlagen des Lebens.
Die Legenden und die Übereinkunft.
Gelbat-Mann warf einen unruhigen Blick auf den Fluss und sah Herdur-Mann dann fragend an. „Wie ist es eigentlich so, Herdur-Mann? Mit den Frauen, meine ich?“
Einige der Männer grinsten verständnisvoll. Herdur-Mann hingegen spuckte aus. „Wie es ist? Wie soll es schon sein? Du legst dich zwischen ihre Schenkel und gibst ihnen deinen Samen. Nach acht Monden gehen wir wieder in die Stadt der Frauen, und dann erfahren wir, wie viele Knaben sie empfangen haben.“
Gelbat-Mann biss sich auf die Lippen. „Meinst du, sie geben uns immer alle Knaben?“
„So lautet die Übereinkunft“, brummte der alte Krieger. „Sie behalten die Mädchen, und wir bekommen die Jungen.“
„Alle?“
„Was soll diese dumme Frage?“ Der Anführer wirkte nun ein wenig verärgert. Es mochte sein, dass ihn die Nähe zum Land der Frauen ein wenig gereizt und nervös machte, doch das galt sicher für alle Männer.
Gelbat-Mann machte eine entschuldigende Gerste. „Nun, ich meine, einmal in jeder Jahreswende geben wir den Frauen unseren Samen. Die Frauen könnten doch ein paar Knaben dabehalten und warten, bis diese groß genug sind, damit sie deren Samen nutzen können.“
Herdur-Mann schüttelte den Kopf. „Glaube mir, Jungmann, die Frauen ekeln sich ebenso vor uns Männern, wie wir eine berechtigte Abscheu ihnen gegenüber empfinden. Nein, jene Knaben, die wir nicht mit in unsere Stadt nehmen, die finden den Tod.“
Sebor-Mann, der schon einige Male in der Stadt der Frauen gewesen war, trat heran und legte Gelbat-Mann die Hand auf die Schulter. „Die Übereinkunft gibt uns Pflichten, ebenso wie den Frauen. Ohne unseren Samen gibt es keine Knaben und keine Mädchen mehr. Daher dulden die Frauen uns zweimal in jeder Jahreswende in ihrem Land. Einmal, damit sie unseren Samen empfangen können, und ein zweites Mal, damit wir die Knaben abholen. Diese Übereinkunft besteht seit vielen, sehr vielen Jahreswenden, und sie hat sich bewährt.“
„Ich weiß, ich wurde als Bulle erwählt“, seufzte Gelbat-Mann, „doch ich weiß nicht einmal, was ich tun muss, damit … damit …“
Sebor-Mann lächelte sanft. „Das fügt sich. So hat es die Natur eingerichtet.“
Herdur-Mann räusperte sich. „Du musst an deine Aufgabe unserem Volk gegenüber denken. Die Männer zählen auf Bullen wie dich. Es mag dich Überwindung kosten, zwischen die Schenkel eines verdammten Weibes zu rutschen, doch du musst dein Bestes geben.“
„Es ist ekelhaft“, murmelte einer der anderen Männer. „Und doch auf eine merkwürdige Weise auch angenehm.“
„Wäre es nicht so, könntest du den Weibern deinen Samen nicht spritzen.“ Der Anführer legte die Hand um den Griff seines Kurzschwertes. „Und jetzt genug geschwätzt. Dort vorne ist die Brücke.“
„Ihr Anblick jagt mir immer wieder einen Schauer über den Rücken“, raunte einer von ihnen. „Dahinter beginnt das Frauenland.“
„Es ist nicht anders als das unsere“, knurrte Herdur-Mann. „Nur dass die Weiber es bewohnen und dort keine Männer leben.“
Es war eine Bogenbrücke, die den Fluss überspannte. Ihre Konstruktion wirkte massiv, und die vier gemauerten Stützen im Fluss schienen ihr Gewicht kaum tragen zu können. Dennoch war sie keineswegs grob gefertigt. Sie stammte noch aus den Tagen des Königreiches von Julinaash und zeigte in verwitterten Reliefs die Gesichter lange vergangener Krieger. Von der Mitte des Flusses an, dort wo das Reich der Frauen begann, waren die männlichen Gesichtszüge mit groben Hammerschlägen unkenntlich gemacht worden. Ein Anblick, der in Herdur-Mann immer wieder Zorn hervorrief.
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