Knebel, den man ihm zwischen die Zähne schob, damit er sich im Schmerz
nicht die Zunge abbiss. Manchmal half auch ein wohl dosierter Hieb, um den
Patienten ruhigzustellen. Die Elfen verstanden sich auf die Verabreichung
von Kräutern, welche den Schmerz betäubten, doch diese Kräuter waren
selten, und Meowyn hatte sie bei ihren Ausritten in der Hochmark bislang
nicht finden können.
Meowyn war oft in der Hochmark unterwegs, sammelte Kräuter, Beeren
und Moose und kratzte Rinde von den Bäumen, um all dies später zu
untersuchen. Die Beschäftigung mit der Natur war ihr von der elfischen
Heilerin Leoryn nahegebracht worden, die ihr einiges vom elfischen Wissen
vermittelt hatte. Die Heilerin experimentierte mit den Substanzen, mischte sie
und erkundete, welche Heilkräfte ihnen eigneten. Zu diesem Zweck stand an
einer Seite des Raums ein langer Tisch, auf dem sich Becher, Schalen, irdene
Krüge und Stößel drängten. An den Wänden erhoben sich Regale, die
angefüllt waren mit Schachteln, versiegelten Gefäßen und Bündeln von
trocknenden Kräutern.
Vom Behandlungsraum aus führte eine breite Treppe ins Obergeschoss, in
dem Verwundete oder Erkrankte betreut werden konnten. Der
Treppenaufgang ließ sich von oben mit einer Klappe verschließen, um zu
verhindern, dass sich Erkrankte im Fieberwahn von der Bettstatt erhoben und
die Treppe hinunterstürzten.
Am Fuß des Treppenaufgangs führte eine Tür in Meowyns Kammer. Die
Heilerin war sehr genügsam, und so enthielt die Kammer nicht viel mehr als
eine Bettstatt, zwei große Kisten mit ihren Kleidern und Habseligkeiten sowie
einen kleinen Tisch nebst Schemel. Sie wohnte nun nicht mehr auf Balwins
Gehöft, denn die Erinnerung an ihren Mann schmerzte sie noch zu sehr.
Natürlich hätte Meowyn auch ein Haus in der Stadt beziehen können, aber die
blonde Frau empfand eine tiefe Freundschaft zu Larwyn und fühlte sich
zwischen den Pferdelords in der Burg Eternas wohl. Nein, die einfache
Kammer reichte ihr, zumal sie hier nur schlief, denn meist versorgte sie die
Menschen oder war in der Hochmark unterwegs.
Die beiden verwundeten Pferdelords aus Kormunds Schar saßen noch
unbehandelt auf einer Bank neben der Tür und sahen der Heilerin dabei zu,
wie sie sich mit geübten Händen um den kleinen Mann bemühte. Meowyn
hatte zwei Gehilfen, die ihr zur Hand gingen und dabei von ihr lernten, denn
sollte es Meowyn einmal nicht möglich sein, mussten sie sich um die
Verletzten und Erkrankten kümmern. Doch die meisten Bewohner der
Hochmark verstanden sich auf die Versorgung von einfachen Verletzungen,
wie Schnitt- und Schürfwunden oder Knochenbrüchen, und ein Pferdelord
war nicht unbedingt zimperlich, wenn es darum ging, die eigenen Wunden zu
behandeln.
Früher hatte man die Wunden mit einer Auflage von Moos versehen, das
einer Entzündung entgegenwirkte, und dann einen Verband darübergelegt,
oder man hatte sie ausgebrannt und die Blutgefäße mit einem glühenden
Eisen verschlossen. Von den Elfen hatte Meowyn gelernt, dass es meist
besser war, die Wunde mit einem Faden zu vernähen und so zu schließen.
Aber es brauchte seine Zeit, diese Erkenntnisse zu vermitteln.
Meowyn blickte kurz auf, als die Tür geöffnet wurde, und wandte sich
dann wieder ihrem Patienten zu. »Ihr müsst euch gedulden, ich kann euch
noch nicht viel sagen. Er hat viel Blut verloren, und die Pfeilwunde ist tief.
Der Schaft ist recht grob. Ein Orkpfeil, nehme ich an?«
»Ja«, erwiderte Tasmund und nickte unwillkürlich, obwohl Meowyn gar
nicht zu ihm hinsah.
Die Heilerin seufzte leise. »Dann muss ich ihn schnell entfernen, obwohl
ich nicht glaube, dass die Orks ihn präpariert haben. Die Wunde ist zu sauber
und nicht entzündet. Vielleicht hat auch die Blutung die Giftstoffe
herausgewaschen.«
Der Oberkörper des Verletzten war entblößt, und seine Kleidung lag in
kleine Stücke zerschnitten am Fußende der Tischplatte. Meowyn und ihre
Gehilfen hatten sie aufgetrennt, um sie schonend vom Körper des Mannes
entfernen zu können. Der Mann lag auf dem Bauch und schien am ganzen
Körper behaart zu sein. Es waren kräftige rötliche Haare, und wenn sie auch
kein Fell bildeten, so wuchsen sie doch weitaus dichter als bei einem
Menschenmann. Das Haupthaar war ungewöhnlich lang und kräftig. Vor
allem die beiden dicken, geflochtenen Bartzöpfe verwunderten die Menschen.
Tasmund betrachtete einen der über den Tisch herabhängenden Zöpfe und
trat näher. Dann hob er den Zopf an, besah sich die dunklen Flecken in dem
Haar und schnupperte daran. Ja, es bestand kein Zweifel, das war das Blut
einer Bestie.
»Ist es ein Zwerg?«, fragte Larwyn aufgeregt.
Meowyn nickte gedankenverloren. »Ein Zwerg? Ja, sicher ist es ein Zwerg.
Ein anderes Wesen wäre wohl längst an dieser Wunde verblutet. Er hat sehr
festes Gewebe. Ich werde schneiden müssen. Hoffentlich verlaufen seine
Blutgefäße ebenso wie bei uns.« Sie blickte auf. »Ihr müsst ihn festhalten.
Auch wenn er jetzt ohne Bewusstsein ist, so wird der Schmerz ihn vielleicht
aufwecken. Wenn er sich bewegt, könnte die Klinge abrutschen, und alle
Mühe wäre umsonst.«
Die blonde Heilerin zog an einer Kette, die über dem Tisch von der Decke
herabhing, und das glosende Brennsteinbecken senkte sich ein wenig tiefer.
»Ja, so ist es besser«, murmelte sie und begann die um den Schaft des Pfeils
herum freigelegten Wundränder zu betasten. »Ah gut. Die Ränder sind glatt,
und die Wunde ist nicht sehr lang. Demnach muss die Pfeilspitze recht schmal
sein.«
Meowyn beugte sich zur Seite und schob einen länglichen Haken tiefer in
den Brennstein eines anderen Beckens. Die Spitze begann langsam zu glühen.
Dann nahm sie ein langes Messer mit einer sehr schmalen Klinge und hielt
auch diese kurz in die Flammen.
»Warum tut Ihr das?«, fragte Tasmund interessiert. »Ich dachte, Ihr nehmt
den Haken zum Ausbrennen.«
»Leoryn, die Elfin, sagte einmal zu mir, dass winzige Tiere auf allen
Dingen leben und dass diese Tiere eine Wunde entzünden können. Das Feuer
jedoch würde sie vertreiben.«
»Winzige Tiere, gute Frau Meowyn?« Der Erste Schwertmann runzelte die
Stirn und musterte die Klinge in Meowyns Hand misstrauisch. »Ich kann
keines von ihnen sehen.« Er lächelte. »Sicher wollt Ihr scherzen.«
»Nein, guter Herr Tasmund«,entgegnete Meowyn bestimmt. »Die
Elfenfrau Leoryn hat es gesagt.«
Tasmund schwieg. Die Elfen kannten viele wunderliche Dinge, und wenn
eine Elfenheilerin dergleichen gesagt hatte, so war Tasmund nicht der
Richtige, dem zu widersprechen. Zudem waren die Augen der Elfen
sicherlich besser als die der Menschen. Sie mochten wohl Dinge sehen, die
ein Mann des Pferdevolkes nicht erkennen konnte.
»Haltet ihn fest«, sagte Meowyn.
Auch die beiden verletzten Pferdelords traten hinzu und halfen dabei, den
Körper des Zwerges fest auf den Tisch zu drücken. Meowyn setzte die Klinge
am Schaft des Pfeils in die Wunde und schnitt langsam tiefer ins Fleisch,
wobei ihr Gesicht ihre ganze Konzentration verriet.
»Ich kann die Spitze spüren«, murmelte sie, während frisches Blut aus der
Wunde quoll. »Da ist ein Widerstand, der dort eigentlich nicht sein dürfte.
Passt gar nicht zur Form der Wundränder. Der Pfeil muss sich im Körper
gedreht haben.« Sie bewegte das Messer unmerklich und nickte zufrieden.
»Ja, jetzt gleitet es an der Spitze entlang. Nur kleine Widerhaken.
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