Kaum zehn Minuten später meldete sich bereits das erste Genie, um eine seiner wichtigen Zwischenfragen zu stellen. Wobei er der Einzige war, der die Tatsache der Wichtigkeit dieser Frage erkannte. Im Laufe der Vorlesung steigerte sich die Zahl der absolut unnötigen Fragen von einer auf ungefähr vierzig. Ich muss zugeben, dass ich bei zwanzig aufgehört habe zu zählen. Während der Professor geduldig die Fragen beantwortete, blickte ich zu Kathrin rüber. Sie hatte mittlerweile, vermutlich aus Langeweile, angefangen den Rand ihres Blattes zu bemalen. Ich schrieb auf den Rand meines Blattes:
»Oh Mann, das ist doch nicht den ihr Ernst oder?«, und schob es vorsichtig zu ihr rüber. Kathrin schmunzelte, als sie es bemerkte.
Sie schrieb unter meinen Satz: »Scheinbar doch!«, und malte ein Smiley daneben. Ich musste ebenso schmunzeln, als ich es las. Gerade als ich mein Blatt wieder zurückziehen wollte, zog Alex es weg. Er nahm es auf seinen Platz und schrieb etwas unter unsere Kommentare. Dann schob er das Blatt direkt bis zu mir zurück. Kathrin rückte ein Stück näher an mich heran, um ebenfalls lesen zu können, was Alex geschrieben hatte.
»Die armen Jungs haben den ganzen Sommer damit verbracht das Buch vom Herrn Professor zu lesen und platzen gleich, wenn sie nicht endlich ihre seit Wochen überlegten Fragen stellen dürfen.«, stand da.
Ich musste mich total zusammenreißen, um nicht gleich loszulachen. Kathrin erging es ebenso. Das Mädchen rechts neben mir blickte uns verärgert an. Aber das störte mich nicht. Ich fühlte mich total wohl mit den beiden. Während Kathrin und ich uns wieder der Vorlesung zuwandten, rutschte Alex auf der Bank umher. Ich vermute er suchte eine gute Schlafposition. Zumindest schien er wenig Interesse an dem Rest der Vorlesung zu haben. Kathrin schüttelte den Kopf, als Alex scheinbar einnickte. Ich schrieb abermals auf den Rand: »Schläft er?«
Kathrin antwortete mir: »Ich vermute, ja. Er weiß ja, dass ich mitschreibe.«
Ich musste wieder schmunzeln. Alex verließ sich total auf Kathrin, die natürlich fleißig mitschrieb.
Die restliche Vorlesung verlief sehr ruhig. Dank fehlender weiterer Unterbrechungen konnte der Professor doch noch sein gesetztes Pensum für die Stunde schaffen. Nachdem er sich verabschiedet hatte, verschwand er sofort aus dem Raum. Während Kathrin und ich langsam zusammenpackten, reckte sich Alex müde neben uns. »Ich brauch erst einmal einen Kaffee!«, sagte er.
Kathrin sah mich an: »Kommst du mit?«
Ich überlegte nicht lange: »Klar, gerne! Wollen wir in die Cafeteria gehen oder wo wollt ihr hin?«
Alex stand mittlerweile neben uns: »Cafeteria?«, fragte er lächelnd: »Hast du den Kaffee da mal probiert? Nein, ich weiß was Besseres. Vertrau mir! Ich kenne mich mit Kaffee aus.«
Kathrin verzog die Augenbraue, dann flüsterte sie zu mir: »Mindestens acht Tassen pro Tag, das sagt doch schon alles oder?« Ich musste lachen.
»Hey«, sagte Alex: »Wollt ihr guten Kaffee oder guten Kaffee?«
»Hm. Beides, bitte!«, antwortete ich.
Alex schüttelte den Kopf.
»Klasse!«, fügte Kathrin kichernd an: »Perfekte Antwort!«
Ich trat aus der Reihe: »Na dann mal los!«
Alex und Kathrin folgten mir nach draußen.
Die Sonne versteckte sich mittlerweile hinter den Wolken.
»Wie lange hast du Zeit?«, fragte mich Kathrin, während sie Alex’ Hand nahm.
»Bis um zwei«, antwortete ich.
Alex blickte auf die Uhr: »Na dann los.«
Wir liefen die Straße entlang an der Kirche vorbei zum Marktplatz. Dort angekommen führte Alex uns in ein kleines Café mit Selbstbedienung. Während Kathrin und ich uns einen großen Cappuccino bestellten, kam Alex mit einer riesigen Tasse Kaffee zum Tisch zurück.
»Meintest du vorhin acht solche Tassen?«, fragte ich Kathrin. Sie schüttelte noch den Kopf über Alex, dann wandte sie sich mir zu: »Nein. Das sind dann doch eher drei Tassen in einer.«
Alex gab ihr einen Kuss auf die Wange: »Dafür liebst du mich doch!« Ich schmunzelte.
»Was ist eigentlich mit dir? Hast du einen Freund?«, fragte er mich.
»Ja!«, antwortete ich.
Alex sah mich immer noch fragend an. Kathrin stieß ihn mit dem Ellenbogen an: »Sei nicht so neugierig!«
Ich war zunächst etwas überrascht oder schwer von Begriff. Mir wurde erst im nächsten Moment bewusst, dass Alex vermutlich mehr wissen wollte.
»Er ist Arzt. Wir haben ein Kleines …«, ich überlegte, wie ich es sagen sollte. Klein war unser Haus eigentlich überhaupt nicht: »Na ja, ein niedliches Häuschen in Jena West draußen.«
Alex schmunzelte: »Ein Doktor. Da hast du dir aber was geangelt.«
Kathrin blickte ihn etwas böse an. »Was?«, fragte er sie: »Ich finde es super. Endlich ein Doktor im Freundeskreis. Das erleichtert die Krankschreibungen ungemein.«
Ich schüttelte vor Lachen den Kopf.
Kathrin verzog die Mundwinkel: »Super. Ich muss für dich mitschreiben, während du irgendwo faulenzend in der Sonne liegst.« Alex blickte in die Luft. Ich vermute, er stellte sich gerade die Szene vor.
Dann nickte er, scheinbar zustimmend: »Finde ich gut!« Kathrin stieß ihn abermals. Ich schmunzelte.
»Ich nehme an, er ist um einiges älter als wir?«, fuhr Alex fort, um etwas von sich abzulenken.
»Ja. Marces ist 29. Aber ich bin der Meinung man ist immer so alt, wie man sich fühlt«, antwortete ich.
Alex runzelte die Stirn: »11 Jahre Unterschied. Ist aber schon viel. Also, wenn ich jetzt richtig gerechnet habe.« »12. Er wird dieses Jahr 30. Aber der Unterschied stört mich nicht. Ich liebe ihn und er mich!«, gab ich ihm zu verstehen.
»Das ist auch die Hauptsache«, fügte Kathrin an.
»Ja. Ich kenne so was nur nicht. Kathrin und ich sind gleich alt!«, verteidigte sich Alex: »Ich würde ihn trotzdem gerne kennenlernen. Also, wenn ihr Lust habt, können wir ja mal was zusammen unternehmen!«
Ich nickte zustimmend, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob das so eine gute Idee war. Marces war schließlich nicht wie sie und ich eigentlich auch nicht. Ich schweifte mit meinen Gedanken ab.
Das letzte Mal, als wir gemeinsam mit Freunden zusammen waren, war der Tag am See. Marces hatte nicht sonderlich viel Spaß daran gehabt, er blieb nur mir zuliebe.
»Cara?«, Kathrin unterbrach mich.
»Sorry. Ich war in Gedanken!«, antwortete ich.
Kathrin schmunzelte mich an: »Du liebst ihn sehr, was?«
Ich nickte verlegen.
»Mal was anderes! Was studierst du noch?«, Alex’ Neugier ließ nicht ab.
»Archäologie und du?«, antwortete ich.
»Politik!«, sagte Alex.
»Politik?«, stellte ich verwundert fest. Seinem reinen Äußeren nach hätte ich das nun am wenigsten vermutet.
»Na, irgendwer muss doch hier mal Ordnung reinbringen! Der Laden braucht Mal ne richtige Linie!«, antwortete er lachend.
Ich runzelte die Stirn: »Ok. Also, ich hab damit ehrlich gesagt wenig am Hut.«
»Du brauchst dir nur die ständig überfüllten Vorlesungssäle anschauen, da sieht man doch, das da was nicht stimmt. Dieser Bildungsminister hat überhaupt keinen Plan davon, wie es hier zugeht.«, erzählte er weiter. Vermutlich hätte er die nächste komplette Stunde damit verbringen können, mir die politischen Verhältnisse näher zu bringen, glücklicherweise unterbrach sein Handy seinen Monolog.
»Sorry!«, sagte er noch, bevor er mit dem Telefon nach draußen verschwand. Kathrin blickte Alex fragend hinterher.
»Politik ist voll sein Element, oder?«, fragte ich sie.
»Ja!«, antwortete Kathrin, während sie sich wieder mir zuwandte: »Aber wieso er jetzt vor die Tür gegangen ist, verstehe ich nicht!« Ich zuckte mit den Schultern. Schließlich wusste ich es auch nicht. Kathrin trommelte mit den Fingerspitzen auf dem Tisch herum: »Er plant irgendwas.«
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