Georg Martin
Das Lied von Licht und Finsternis (Lickie-Edition)
Die Flucht aus Eisselgaard
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Inhaltsverzeichnis
Titel Georg Martin Das Lied von Licht und Finsternis (Lickie-Edition) Die Flucht aus Eisselgaard Dieses ebook wurde erstellt bei
7 Der Plan von Jonathan
8 Die Wombels
9 Die Flucht aus Eisselgaard
10 Die Schlacht um Eisselgaard
Impressum neobooks
»Unsere Lage ist hoffnungslos«, sagte Reinhard, das Oberhaupt der zwölf Eisernen. »Wir können uns ergeben oder alle sterben.«
Jonathan, der die ganze Zeit zu Boden geblickt hatte, sah ihn an und meinte: »Sterben.«
»Aber wir dürfen nicht zulassen«, sprach der erste Ritter weiter, »dass der Pangûl ihnen in die Hände fällt. Wir können kämpfen. Wir können Dino die Stirn bieten. Wir können sterben. Aber wenn der Pangûl stirbt, stirbt das ganze Reich. Der Erl wird sein Regiment des Schreckens aufrichten und alle unterdrücken, die sich ihm nicht auf Gedeih und Verderb ausliefern. Wir werden das nicht verhindern können. Aber solange der Pangûl lebt und die Hoffnung besteht, dass er nach Eisselgaard zurückkehrt, wird das Volk nicht in Verzweiflung und Trübsal leben, sondern in der Ferne ein Licht sehen. So wird die Kraft zum Widerstand gegen Serpieri als Keim in ihm schlummern, um eines Tages erweckt zu werden, sich zu neuer Blüte zu entfalten und Dino zu vernichten.«
»Gut gesprochen«, sagte Bracket, einer der anderen elf Ritter, die sich im Turmzimmer des mittleren Hauptturms von Eisselgaard versammelt hatten, um Kriegsrat zu halten. Draußen vor den Toren von Eisselgaard lag die übermächtige Armee des Erls, die die Festung des Pangûltums seit Wochen belagerte und niemanden aus Eisselgaard heraus- und niemanden hineinließ. Viele der Belagerten waren geschwächt durch Hunger, Skorbut und Durchfallerkrankungen, die auf das faule Obst und Gemüse zurückzuführen waren, das sie wegen der Belagerung zu sich nehmen mussten. Auch die zwölf Eisernen von Eisselgaard, die Ritter am Hofe des Pangûls, waren ausgemergelt, gezeichnet von den Auswirkungen der Belagerung.
»Wir könnten den Herrn hinausschmuggeln«, schlug Jonathan vor. Trotz seiner Jugend wurde er regelmäßig im Rat der Zwölf geduldet, weil alle seinen wachen Geist und seinen Einfallsreichtum schätzten.
»Eine gute Idee«, sagte Erik, der Ritter, der den mittleren Platz auf der linken Tischseite einnahm. Sein Urteil hatte Gewicht in der Runde. »Es ist keine Frage, dass der Pangûl um jeden Preis geschützt werden muss. Aber wie sollen wir den Pangûl unbemerkt an den geschlossenen Reihen der Feinde vorbeibringen?«
Jonathan lächelte verschmitzt. Es war die Vorfreude auf das, was er den tapferen, kampferprobten Männern gleich vorführen und damit alle verblüffen würde. »Seht Ihr dieses kleine Härchen? Was wird geschehen, wenn ich es über die Kerze da vorne halte?«
»Es wird verbrennen.«
Jonathan erhob sich und löste die Kerze aus der Halterung an der Wand. Dann hielt er das winzige Haar, das mit bloßem Auge kaum auszumachen war, über die Kerze und ließ es los. Zum Erstaunen der Ritter sank das Härchen nicht sogleich hinab in die Kerzenflamme, um den von Erik prophezeiten raschen Feuertod zu sterben, sondern blieb in der Luft stehen, schwebte wie von Geisterhand gehalten im freien Raum und stieg, von einem unbekannten Wind bewegt, sogar ein wenig höher. Jonathan freute sich diebisch über seine gelungene Vorführung. »Die Hitze der Flamme lässt leichte Gegenstände nach oben steigen«, belehrte er die Männer, die alle viel älter und erfahrener waren als er.
»Willst du uns erzählen, Junge«, unterbrach Reinhard mit gerunzelter Stirn seinen Knappen, »dass du einen ausgewachsenen Mann wie dieses kaum mit bloßem Auge erkennbare Haar zum Schweben bringen willst?«
»Der Junge scheint zu glauben, dass der Pangûl nach sieben Wochen Magerkost dünn geworden ist wie ein Strich«, spottete ein älterer Ritter und brachte damit alle zum Lachen.
Jonathan ließ sich davon nicht beeindrucken. Er fuhr mit seinen Ausführungen fort, als hätte er nichts gehört. »Natürlich kann ich den Pangûl nicht mit einer Kerze zum Schweben bringen. Aber je mehr Hitze ich erzeuge, desto schwerer kann auch der Gegenstand sein, der durch die heiße Luft in die Höhe steigt wie eben dieses kleine Haar.«
Reinhard schüttelte den Kopf. »Junge, du hast eine rege Vorstellungskraft. Aber was du dir da jetzt ausgedacht hast, ist unmöglich.«
»Sagen wir mal so, edler Ritter: Es sieht unmöglich aus. Aber wir brauchen eigentlich nur einen großen Feuerplatz und eine gewaltige Stoffhülle, in der sich die warme Luft fangen kann. Nach meinen Berechnungen würde diese sich dann nach einer gewissen Zeit von selbst zu heben beginnen. Und dann müssten wir den Pangûl nur noch irgendwie an dieser Hülle befestigen und er würde Eisselgaard entschweben wie ein Flugdrachen mit großer Spannweite.«
»Hahaha«, lachte der feiste Ritter Bracket, »der Pangûl als Flugdrachen! So einen Unfug habe ich lange nicht gehört!«
»Zugegeben, Euch würde mein Fluggerät nicht tragen, edler Ritter Bracket, Ihr seid zu wohlgenährt!«, schoss Jonathan frech zurück. Nun lachten alle anderen Ritter und Bracket schwieg verdrossen.
»Ich meine es nicht böse, entschuldigt, edler Ritter. Entscheidend ist tatsächlich das Verhältnis zwischen Auftriebs- und Zugkräften«, dozierte Jonathan weiter.
Viele der Ritter machten große Augen. »Junge, wenn man dir so zuhört«, sagte Erik mit schleppender Stimme, »dann könnte man dir fast glauben, dass du es schaffst.«
»Wie groß muss denn deiner Meinung nach diese Hülle sein?«
»Ich fürchte, riesig groß«, seufzte Jonathan. »Das ist der schwierige Teil.«
»Und wie sollte sie beschaffen sein?«, fragte ein anderer Ritter.
»Die Hülle darf keine Luft entweichen lassen und sollte nicht rasch entflammbar sein.«
»Gut«, sagte Reinhard, »denken wir alle eine Weile nach und wenn einer von euch eine Eingebung hat, wie wir den Plan meines Knappen umsetzen können, kommt er zu mir. Ich versuche inzwischen mit dem Pangûl zu sprechen und Jonathan kommt mit mir.«
Der Ritter und sein Knappe verließen das Turmzimmer. Jonathan schloss die Tür hinter sich. Sie gab ein widerspenstiges Knarren von sich.
»Du solltest deine Einfälle nicht dort ausbreiten, wo die Wände Ohren haben«, schalt der Ritter seinen Knappen mit gedämpfter Stimme.
»Wie meint Ihr das, edler Ritter?«
»Es gibt Anzeichen dafür, dass wir verraten wurden«, flüsterte Reinhard.
»Wie bitte? Wer sollte ...?«
»Ich bin mir selbst der zwölf Eisernen nicht mehr ganz sicher.«
»Was? Ihr wollt sagen ...?«
»Pst! Nicht so laut! Wie war es möglich, dass selbst Isidora, die wir durch den Eisselsee nach draußen schmuggeln wollten, dem Feind sogleich in die Hände fiel? Es konnte doch niemand damit rechnen, dass eine einfache Gänsemagd eine geheime Botschaft mit sich führt!«
»Isidora? Was ist mir ihr geschehen?«
»Ihr Kopf steckt auf einer Lanze jenseits des Burggrabens.«
Entsetzt schlug sich Jonathan die rechte Hand an den Mund. »O nein! Das ... das wusste ich nicht.«
»Und das Sonderbare ist, dass der Plan, sie mit einer Botschaft nach Kunth zu senden, nur im Kreis der Ritter besprochen wurde. Niemand war eingeweiht als die zwölf Eisernen und der Pangûl. Nicht mal du wusstest etwas davon.«
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