Titelseite Franz Werfel Das Lied von Bernadette
Erste Reihe Wiedererweckung des 11. Februar 1858 Erste Reihe Wiedererweckung des 11. Februar 1858
Ein persönliches Vorwort
Kapitel Eins. Im Cachot
Kapitel Zwei. Massabielle, ein verrufener Ort
Kapitel Drei. Bernadette weiß nichts von der Heiligen Dreifaltigkeit
Kapitel Vier. Café Progrès
Kapitel Fünf. Kein Reisig mehr
Kapitel Sechs. Das Wut- und Wehgeheul des Gave
Kapitel Sieben. Die Dame
Kapitel Acht. Die Fremdheit der Welt
Kapitel Neun. Frau Soubirous gerät außer sich
Kapitel Zehn. Bernadette darf nicht träumen
Zweite Reihe Wollen Sie mir die Güte erweisen
Kapitel Elf. Ein Stein saust nieder
Kapitel Zwölf. Die ersten Worte
Kapitel Dreizehn. Boten der Wissenschaft
Kapitel Vierzehn. Eine geheime Beratung, die unterbrochen wird
Kapitel Fünfzehn. Die Kriegserklärung
Kapitel Sechzehn. Die Dame und die Gendarmerie
Kapitel Siebzehn. J. B. Estrade kommt von der Grotte
Kapitel Achtzehn. Dechant Peyramale fordert ein Rosenwunder
Kapitel Neunzehn. Anstatt des Wunders ein Ärgernis
Kapitel Zwanzig. Wetterleuchten
Dritte Reihe Die Quelle
Kapitel Einundzwanzig. Der Tag nach dem Ärgernis
Kapitel Zweiundzwanzig. Der Tausch der Rosenkränze oder: Sie liebt mich
Kapitel Dreiundzwanzig. Ein Louisdor und eine Ohrfeige
Kapitel Vierundzwanzig. Das Kind Bouhouhorts
Kapitel Fünfundzwanzig. Du spielst mit dem Feuer, o Bernadette
Kapitel Sechsundzwanzig. Nachbeben oder Äffen des Mirakels
Kapitel Siebenundzwanzig. Das Feuer spielt mit dir, o Bernadette
Kapitel Achtundzwanzig. A. Lacadé wagt einen Staatsstreich
Kapitel Neunundzwanzig. Ein Bischof ermißt die Folgen
Kapitel Dreißig. Der Abschied aller Abschiede
Vierte Reihe Die Schatten der Gnade
Kapitel Einunddreißig. Sœur Marie Thérèse verläßt die Stadt
Kapitel Zweiunddreißig. Der Psychiater greift in den Kampf ein
Kapitel Dreiunddreißig. Digitus Dei oder der Bischof gibt der Dame eine Chance
Kapitel Vierunddreißig. Eine Analyse und zwei Majestätsbeleidigungen
Kapitel Fünfunddreißig. Die Dame besiegt den Kaiser
Kapitel Sechsunddreißig. Bernadette unter den Weisen
Kapitel Siebenunddreißig. Eine letzte Versuchung
Kapitel Achtunddreißig. Die weiße Rose
Kapitel Neununddreißig. Die Novizenmeisterin
Kapitel Vierzig. Das ist meine Stunde noch nicht
Fünfte Reihe Das Verdienst des Leidens
Kapitel Einundvierzig. Feenhände
Kapitel Zweiundvierzig. Viel Besuch auf einmal
Kapitel Dreiundvierzig. Das Zeichen
Kapitel Vierundvierzig. Nicht für mich fließt diese Quelle
Kapitel Fünfundvierzig. Der Teufel bedrängt Bernadette
Kapitel Sechsundvierzig. Die Hölle des Fleisches
Kapitel Siebenundvierzig. Der Blitz von Lourdes
Kapitel Achtundvierzig. Ich habe nicht geliebt
Kapitel Neunundvierzig. Ich liebe
Kapitel Fünfzig. Das fünfzigste Ave
Handelnde Personen
Franz Werfel
Impressum
Franz Werfel
Das Lied von Bernadette
Erste Reihe Wiedererweckung des 11. Februar 1858
In den letzten Junitagen des Jahres 1940, nach dem Zusammenbruch Frankreichs, kamen wir auf der Flucht von unserem damaligen Wohnort im Süden des Landes nach Lourdes. Wir, meine Frau und ich, hatten gehofft, noch rechtzeitig über die spanische Grenze nach Portugal entweichen zu können. Da jedoch sämtliche Konsuln einmütig die notwendigen Visa verweigerten, blieb uns nichts anderes übrig, als in derselben Nacht, da die Grenzstadt Hendaye von den deutschen Truppen besetzt wurde, unter großen Schwierigkeiten ins Innere Frankreichs zu flüchten. Die Départements der Pyrenäen waren zu einem phantastischen Heerlager des Chaos geworden. Die Millionen dieser seltsamen Völkerwanderung irrten auf den Landstraßen umher und verstopften die Städte und Dörfer: Franzosen, Belgier, Holländer, Polen, Tschechen, Österreicher, exilierte Deutsche und dazwischen die Soldaten der geschlagenen Armeen. Nur höchst notdürftig konnte man seinen Hunger stillen. Obdach aber gab es überhaupt keines mehr. Wer irgendeinen gepolsterten Stuhl eroberte, um die Nacht darauf zu verbringen, wurde viel beneidet. In endlosen Reihen standen die mit Hausrat, Matratzen, Betten hochbeladenen Autos der Flüchtlinge unbeweglich, denn Treibstoff war nicht mehr vorhanden. In Pau hörten wir von einer dort ansässigen Familie, Lourdes sei der einzige Ort, wo ein vom Glück Begünstigter vielleicht noch Unterkunft finden könne. Da die berühmte Stadt nur dreißig Kilometer entfernt lag, so riet man uns, den Versuch zu wagen und an ihre Pforten zu pochen. Wir gehorchten diesem Rat und fanden endlich Herberge.
Auf diese Weise führte mich die Vorsehung nach Lourdes, von dessen Wundergeschichte ich bis dahin nur die oberflächlichste Kenntnis besaß. Wir verbargen uns mehrere Wochen in der Pyrenäenstadt.
Es war eine angstvolle Zeit. Es war aber zugleich auch eine hochbedeutsame Zeit für mich, denn ich lernte kennen die wundersame Geschichte des Mädchens Bernadette Soubirous und die wundersamen Tatsachen der Heilungen von Lourdes. Eines Tages in meiner großen Bedrängnis legte ich ein Gelübde ab. Werde ich herausgeführt aus dieser verzweifelten Lage und darf die rettende Küste Amerikas erreichen – so gelobte ich –, dann will ich als erstes vor jeder anderen Arbeit das Lied von Bernadette singen, so gut ich es kann.
Dieses Buch ist ein erfülltes Gelübde. Ein epischer Gesang kann in unserer Epoche nur die Form eines Romans annehmen. »Das Lied von Bernadette« ist ein Roman, aber keine Fiktion. Der misstrauische Leser wird angesichts der hier dargestellten Ereignisse mit größerem Recht als sonst bei geschichtlichen Epen die Frage stellen: »Was ist wahr? Was ist erfunden?« Ich gebe zur Antwort: All jene denkwürdigen Begebenheiten, die den Inhalt dieses Buches bilden, haben sich in Wirklichkeit ereignet. Da ihr Anbeginn nicht mehr als achtzig Jahre zurückliegt, spielen sie im hellsten Licht der Geschichte, und ihre Wahrheit ist von Freund und Feind und von kühlen Beobachtern in getreuen Zeugnissen erhärtet. Meine Erzählung verändert nichts an dieser Wahrheit.
Nur dort wurde das Recht der dichterischen Freiheit in Anspruch genommen, wo das Kunstwerk gewisse chronologische Zusammendrängungen erforderte, und wo es galt, den Lebensfunken aus dem Stoff zu schlagen.
Ich habe es gewagt, das Lied von Bernadette zu singen, obwohl ich kein Katholik bin, sondern Jude. Den Mut zu diesem Unternehmen gab mir ein weit älteres und viel unbewussteres Gelübde. Schon in den Tagen, da ich meine ersten Verse schrieb, hatte ich mir zugeschworen, immer und überall durch meine Schriften zu verherrlichen das göttliche Geheimnis und die menschliche Heiligkeit – des Zeitalters ungeachtet, das sich mit Spott, Ingrimm und Gleichgültigkeit abkehrt von diesen letzten Werten unseres Lebens.
Los Angeles, im Mai 1941
Franz Werfel
François Soubirous erhebt sich in der Finsternis. Es ist Punkt sechs. Seine silberne Uhr, Hochzeitsgeschenk der klugen Schwägerin Bernarde Casterot, besitzt er längst nicht mehr. Die Quittung der städtischen Pfandleihanstalt über sie und über einige andere magere Schätze ist bereits seit voriger Herber verfallen. Soubirous weiß, es ist Punkt sechs, obwohl die Glocken der Pfarrkirche von Saint Pierre noch nicht zur Frühmesse geläutet haben. Arme Leute haben die Zeit im Gefühl. Sie wissen auch ohne Zifferblatt und Glockenton, was die Uhr geschlagen hat. Arme Leute haben immer Angst, zu spät zu kommen.
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