„Wir sollten zurückfahren und mit Mike sprechen, vielleicht weiß er mittlerweile schon mehr!“ schlug Isabella vor.
„Du hast Recht, so schnell wie möglich. Wir müssen auch gleich die Polizei verständigen. Es tut mir wirklich leid, dass wir uns für dich keine Zeit mehr nehmen konnten. Aber wir werden das noch nachholen, versprochen!“
„Mach dir mal um mich keine Gedanken. Martha ist im Moment viel wichtiger. Lass uns lieber schnell fahren“, beschloss Isabella, die damit um erneute Fragen in ihrer eigenen Person herum kam.
Laura verabschiedete sich bei Lady Kara und sprach noch kurz, während Isabella bereits zum Auto ging.
„Lady Kara wollte dir noch etwas mitteilen, auch wenn ich selbst nicht ganz so schlau daraus werde, muss ich gestehen.“
„Laura, glaube mir, ich will es nicht wissen.“
„Trotzdem, jetzt höre dir doch erst einmal an, was sie gesagt hat. Also pass auf, das Ganze ist etwas mystisch zugegeben: `Viele Veränderungen stehen für dich an. Die Vergangenheit wird dich kurzzeitig einholen, aber ein Mädchen mit schwarzen Locken wird dir den Weg weisen und dir deine Sorgen nehmen.´ Ich weiß, das klingt jetzt alles und nichtssagend zugleich. Das macht sie normal nicht, aber sie meinte, dass es dir so lieber wäre. Hast du eine Ahnung, was es bedeuten könnte?“
„Nein, habe ich nicht und das ist auch Sinn und Zweck des Ganzen. Ich möchte nicht wissen, was mich in der Zukunft erwartet. Ich weiß sowieso viel zu viel und verliere oft genug den Glauben und die Hoffnung. Wenn ich auch noch weiß, was mich alles erwartet, wo bleibt dann die Überraschung im Leben und die Träume, die einen anspornen? Ich bin froh, dass sie meine Wünsche respektiert, auch wenn sie es nicht lassen konnte mir zu beweisen, dass sie keine Schauspielerin ist, sondern die Fähigkeit wirklich hat. Deshalb die Vorhersage deren Wahrheit erst erkennbar wird, wenn sie eintrifft.“
„Also glaubst du mir, dass sie kein Scharlatan ist?“, fragte Laura enthusiastisch über den Erfolg ihrer Mission.
„Ich habe nie gesagt, dass es nicht gewisse Fähigkeiten gibt, aber ich verabscheue die Profitmacherei daraus und ebenso die Ausnutzung und Vorspiegelung, wenn es nicht so ist. Wir werden sehen, ob ihre Vorhersage eintrifft und dann überdenke ich vielleicht auch noch einmal meine Meinung.“
Donnerstag, 07.08.2008 Wellington, 19:34 Uhr
Isabella beobachtete von der Tür aus Mike, der mit dem Rücken zu ihr vertieft in sein Buch war. Sie stand wie angewurzelt da und wusste nicht, was sie davon halten sollte. Er las den Roman „Eisfieber“ von ihrem Lieblingsautor Ken Follett, den sie gerade erst gestern Nachmittag zu Ende gelesen hatte. Sie wusste nicht warum, aber sie hatte ihn so nicht eingeschätzt. Es war neu für sie, die Facetten eines Menschen Stück für Stück erst zu entdecken, anstatt den Menschen von Anfang an zu durchleuchten, wie sie es gewohnt war. Doch Mike war eben anders und überraschte sie so immer wieder aufs Neue.
„Haben Sie den Virus schon gestohlen?“, fragte sie ihn schließlich.
Aber keine Antwort von Mike. Hatte er sie nicht gehört oder ignorierte er sie absichtlich? Sie ging einen Schritt auf ihn zu und tippte ihn auf die Schulter. Augenblick zuckte er zusammen und ein Lächeln umspielte er ihre Lippen. Es ging ihm also genauso, wie ihr. Wenn sie sich in einen Roman vertiefte, bemerkte sie um sich herum nichts mehr. Die Rollen wurden lebendig, die Geschichten nahmen ihren Lauf und die Realität war weit, weit entfernt. Isabella liebte es sich in Geschichten hinein zu denken und wollte manchmal, wie in einem schönen Traum einfach nicht mehr aufwachen. Mike dagegen sah sie erschrocken und verlegen zugleich an. Einen kurzen Augenblick lüftete sich sein schwarzer Vorhang und sie konnte in ihn hineinsehen. Er liebte spannende Kriminalgeschichten und wenn er ein Buch begonnen hatte, hatte er es auch meist schnell gelesen. Dennoch war es ihm peinlich, dass jemand das über ihn wissen konnte. Das konnte sie am deutlichsten bei ihm sehen. Aber warum? Sie hätte den schwarzen Vorhang gerne weiter aufgeschoben, doch der Augenblick der Überraschung war vorbei und Mike kehrte schnell wieder in seine Rolle zurück.
„Seid ihr schon wieder zurück?“ fragte er wieder gefasst.
„Ja, gerade eben. Haben Sie den Virus schon gestohlen?“ wiederholte sie ihre Frage von eben.
„Ja. Sie sind gerade aus dem Labor geflüchtet und haben Probleme mit den Schneeverhältnissen. Du kennst das Buch?“, fragte er erstaunt.
„Natürlich, ich besitze alle Bücher von Ken Follett. Er zählt zu meinen absoluten Lieblingsautoren. Mir gefallen sein lebensnaher Schreibstil und seine Sicht der Dinge. Es gibt bei ihm nicht nur gut und böse, sondern einfach nur Menschen, die alle ihre Probleme haben. Die Bösewichte beispielsweise sind nicht einfach nur böse, sondern sie haben eine Geschichte, die sie geprägt hat und man empfindet sogar fast ein bisschen Mitleid für sie.“
Mike war erstaunt von ihrer Meinung und von der Freude, die sie ausstrahlte, als sie eben sehr lebhaft von Ken Follett erzählte. Er kannte bislang nur „Der dritte Zwilling“ von ihm und jetzt auch bald „Eisfieber“. Aktuelle Themen und Problematiken der heutigen Zeit, waren viel mehr sein Metier. Dennoch konnte er mit ihr übereinstimmen, dass ihm die Charaktere und Denkweisen der Bösewichte gefielen. Er wollte mit ihr weiter diskutieren, doch Laura ließ ihm keine Chance.
„Endlich habe ich dich gefunden! Hast du etwas von Martha gehört?“, fragte Laura aufgeregt.
„Nein. Sie war gestern noch bei Peter im Krankenhaus und ist gegen 15 Uhr wieder gegangen. Seit dem hat er auch nichts mehr von ihr gehört. Ich bin zu ihr nach Hause gefahren, aber da war sie auch nicht. Eine Nachricht habe ich ihr hinterlassen. Jetzt müssen wir eben abwarten!“
Für Laura passte alles zusammen und sie sah Lady Karas Vorhersage nun mehr endgültig bestätigt. Das Verschwinden von Martha musste mit der Entführung zusammenhängen.
„Martha ist entführt worden und wird derzeit irgendwo festgehalten. Wir müssen sofort die Polizei verständigen und eine Anzeige aufgeben“, sprudelte sie daher darauf los.
„Wie kommst du darauf?“, unterbrach Mike sie.
„Lady Kara hat es gesehen. Sie ist in einem dunklen Raum eingesperrt und ist meistens betäubt.“
„Das ist jetzt nicht dein Ernst! Weil deine Quacksalberin dir solche Hirngespinste in den Kopf setzt, willst du zur Polizei gehen? Dann kannst du dich auch gleich in die geschlossene Anstalt einweisen lassen! Du hättest dir das Geld besser sparen sollen, als so einen Blödsinn zu glauben.“
„Aber es stimmt, was sie sagt. Isabella, sag es ihm. Wir müssen sofort die Polizei verständigen!“
„Das hat überhaupt keinen Sinn, da keine Anzeige aufgenommen wird, solange sie nicht mindestens 48 Stunden vermisst wird. Und solange du deine Version nicht mit realen Beweisen belegen kannst, und Lady Kara zählt garantiert nicht darunter, wird vorher kein Finger krumm gemacht.“
„Dann müssen wir eben etwas unternehmen! Wir können doch nicht einfach herumsitzen, während Martha in der Gewalt von diesen Verbrechern ist.“
„Liebe Schwägerin, ich sorge mich auch um Martha, aber es macht überhaupt keinen Sinn, den Teufel an die Wand zu malen. Wir können noch ein paar Mal bei ihr anrufen oder Peter belästigen, der sich dadurch nur unnötig Sorgen machen würde, aber es ändert momentan gar nichts. Ich habe Martha Nachrichten hinterlassen und sie meldet sich bei mir, sobald sie diese bekommen hat. Also geh` einkaufen oder mach` sonst was, worauf du Lust hast, denn momentan kannst du nichts anderes machen.“
„Warum bist du immer nur so verdammt arrogant? Ich dachte Martha liegt dir auch am Herzen.“
Isabella verfolgte ruhig die Diskussion, die sich zwischen Laura und Mike abspielte, ohne sich einzumischen. Aber jetzt wurde es persönlich und sie wollte nicht, dass ein Streit ausbrach. Daher versuchte sie die Situation zu entschärfen.
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