„Willkommen im Frischemarkt“ unterbrach Laura ihre Gedanken „hier kannst du dir deinen Fisch oder Meeresfrüchte selbst aussuchen, die du später auf dem Teller essen möchtest. Frischer geht es wirklich nicht mehr. Alleine um hier stehen zu können und sich von der Vielfalt der Fische beeindrucken zu lassen, kommen täglich mehrere hundert Menschen, selbst bei schlechtem Wetter.“
„Es ist wirklich gigantisch. Man kommt sich vor, als wäre man auf dem Grund des Bodens im Meer und kann um sich herum die Fische schwimmen sehen. Unglaublich! Und das waren alles deine Ideen?“
„Ja, aber in der Umsetzung wurde ich von erfahrenen Restauratoren unterstützt, die mein Konzept 1:1 umsetzten und dann ihre eigenen Ideen mit einfließen ließen, was die Details anging. Das war mein Sprungbrett für die Agentur, auch andere Bahnen einzuschlagen und das zu tun, was ich am besten kann. Noch heute führe ich gerne potenzielle Kunden hier her, um ihnen zu zeigen, was man alles machen kann. Und gerade die Vorher-Nachher Fotos sind das Entscheidende. Das Restaurant war zwar schon bekannt für seine Fischspezialitäten. Und trotzdem fehlten die Besucher, weil ihm das gewisse Etwas fehlte. Ich wollte mit der Einrichtung das Ganze nur unterstreichen und einen Publikumsmagneten schaffen, der auch dauerhaft anhält. Und ich denke das ist mir damit auch gelungen. Man bekommt nie genug und kommt immer wieder her und wenn auch nur um diesen Blick hier zu genießen.“
„Das stimmt. Ich könnte ewig hier stehen und die Fische beobachten. Du hast hier wirklich etwas Einzigartiges geschaffen, aber am meisten fasziniert mich, dass es so gut hierher passt. Als hätte der Ort hier darauf gewartet oder deine Idee auf den Ort hier gewartet.“
„Wieder richtig. Meine Konzepte basieren darauf, dass sie zu der Gegebenheit und der Umgebung passen müssen. Es nützt nichts hier einen großen Komplex hin zu bauen, der nicht dazu passt oder gar das Landschaftsbild stört. Die Idee ist hier genial, wäre aber schon in der Innenstadt von Salem völlig fehl am Platz. Und ich glaube das spüren auch die Menschen, die hierher kommen. Es wirkt hier einfach authentisch und das ist der große Vorteil für das Astoria Place. Außerdem hat das Konzept auch eine praktische Komponente. Sie haben immer genügend Fische und Meerestiere hier und trotzdem verdirbt ihnen keine Ware mehr, da sie in den Aquarien noch lebendig sind, bis sie verzehrt werden. Nur größere Fischsorten wie Thunfisch oder Lachs werden vom Fischmarkt noch besorgt. Du bist die Erste, der die vielen Details und Gedanken von mir aufgefallen sind. Die meisten lassen sich blenden und verzaubern. Aber du hast die entscheidenden Details sofort bemerkt. Du könntest sofort bei mir in der Agentur anfangen.“
„Dein Job klingt wirklich spannend und interessant, aber meine Kinder sind mir dennoch lieber. Es macht mir Spaß sie ein Stück im Leben begleiten zu können und ihre Wissbegierde befriedigen zu können. Jeden Tag lasse ich mich von ihnen inspirieren und verzaubern. Mit welcher Freude sie Dinge entdecken und wie offen sie dir entgegen kommen. Sie sind das Gegenteil von den Erwachsenen und kennen die Lüge noch nicht. Klar erzählen sie Geschichten voller Überzeugung, die nicht stimmen, aber aus reiner Phantasie, nicht um andere zu täuschen oder weh zu tun. Sie sind einfach noch rein und unschuldig. Bei ihnen ist meine Gabe die reinste Freude und es gefällt mir, wenn ich so erkenne, wo ich sie noch besser fördern kann oder über Problemen hinweg helfen.“
„Klingt auch so, als hättest du deinen Traumjob gefunden! Komm lass uns an der Bar etwas trinken.“ Sie gingen die paar Schritte zurück und setzten sich auf die edlen Barhocker. „Was möchtest du trinken?“, fragte Laura weiter.
„Eine Apfelschorle wäre nicht schlecht.“
Laura bestellte an der Bar zwei Apfelschorle, auch wenn diese in Amerika absolut untypisch waren, und nahm am Barhocker Platz.
„Erzähl mir. Was gibt es Neues in Deutschland? Was haben deine Eltern gesagt, dass du hier bist?“
„Ich habe es nur meinem Vater erzählt. Doch ich hätte es mir auch sparen können. Es kam keine Reaktion von ihm zurück. Manchmal habe ich bei ihm den Eindruck, dass er geistig schon tot ist und nur noch darauf wartet, dass sein Körper seinem Geist folgt.“
„So schlimm?“ unterbrach Laura sie schockiert.
„Er hat sich selbst aufgegeben und macht nur noch das, was Mama will. Ihn selbst als eigenständige Person gibt es nicht mehr. Es tut mir in der Seele weh, wenn ich sehe, was sie in den Jahren aus ihm gemacht hat. Das Schlimme daran ist nur, dass ich ihn mir von früher überhaupt nicht mehr vorstellen kann. Ich habe Bilder von ihm gesehen, aus der Schulzeit, auf denen er gelacht und unternehmungslustig war. So kenne ich ihn nicht und ich frage mich, was wohl aus ihm geworden wäre, wenn er Mama nicht begegnet wäre.“
„Das denkst du doch nicht wirklich, oder? Es gäbe dich nicht, wenn er sie nicht getroffen hätte!“ stutzte Laura sie zurecht.
„Schon, aber vielleicht wäre er ohne mich besser dran gewesen. Wäre ich nicht gekommen, hätte er sie vielleicht verlassen und hätte glücklich werden können.“
„Das ist der größte Blödsinn, den du je gesagt hast. Er hat genauso die Möglichkeit sich von ihr zu trennen, so wie es mein Vater getan hat.“
„Nur, dass dein Vater auf immer und ewig verschwunden ist. Hast du seit Gran Canaria nochmal versucht ihn zu suchen?“
„Nein, ich habe es aufgegeben. Ich habe zwar nicht ihn, aber dafür William gefunden. Bei ihm fühle ich mich Zuhause und mir fehlt nichts. Selbst das Gefühl, dass ich nicht vollständig bin, hat er mir genommen. Ich habe keinen Grund mehr nach meinem Vater zu suchen.“
„Also wird er auch nicht zu deiner Hochzeit kommen, schätze ich“, kommentierte Isabella die Situation.
„Keine Adresse, keine Einladung. Ganz einfach!“
„Und was ist mit deiner Mutter? Wirst du sie einladen?“
„Garantiert nicht. Seit ich von Deutschland weg bin, habe ich keinen Kontakt mehr zu ihr und das soll auch so bleiben! Warum hast du deiner Mutter nicht gesagt, dass du zu mir fliegst?“
„Wenn sie es wissen will, wird sie sowieso Papa aushorchen. Außerdem wollte ich sie nicht sehen. Sie gibt mir die Schuld daran, dass Ralf sich von mir getrennt hat. Ich hätte meine Ehepflichten nicht ernst genommen und das hätte ich nun davon. Viel mehr stört sie aber, dass sie nun ihren Musterschwiegersohn verloren hat. Sie hatte schon immer lieber ihn als Sohn, als mich als Tochter gehabt. Durch die Hochzeit hat sich das Ganze wieder etwas relativiert, da sie ihn nun dazugewonnen hatte. Doch jetzt sieht die Sache anders aus. Dagegen blüht deine Mutter wieder richtig auf, weil meine Mutter ihr Ralf nicht mehr unter die Nase reiben kann.“
„Die beiden mit ihrem ewigen Wettstreit! Selbst im Grab werden sie noch versuchen, sich gegenseitig zu übertrumpfen. Am meisten hat mich genervt, wenn sie ihren Wettbewerb immer mit uns austragen wollten. Ständig bekam ich immer zu hören „Isabella hat aber eine bessere Note, als du. Streng dich endlich mal an.“ Oder „Isabella hilft ihrer Mutter viel mehr im Haushalt. Sei nicht so faul.“ Nie konnte ich etwas gut genug machen. Später dann, waren es meine Freunde, die sie störten. An jedem hatte sie etwas auszusetzen. Und genau das hatte sie mir dann immer wieder vorgepredigt, bis ich es selbst glaubte und Schluss machte.“
„Und was hat sie an William auszusetzen?“
„Gar nichts. Sie weiß nur seinen Namen und dass wir in Boston wohnen. Aber kennengelernt hatte sie ihn nicht und das soll auch so bleiben. William ist mir zu wichtig, als dass ich ihn mir von ihr kaputt reden lasse. Was hältst du eigentlich von ihm?“
Ehe Isabella antworten konnte, unterbrach sie der Kellner von vorhin und führte sie zu ihrem Tisch auf der Terrasse. Der strahlende Sonnenschein blendete Isabella und sie musste erst einige Male blinzeln, bis ihre Augen sich daran gewöhnten. Der Kellner schien nicht so lichtempfindlich zu sein und lief schnurstracks weiter nach vorne zum Ende der Terrasse, die von der Brüstung abgegrenzt wurde. Am letzten Tisch, der einen wunderschönen Blick über den Yachthafen bot, rückte er ihnen die Stühle zurecht und übergab ihnen die Speisekarten. Laura legte die Speisekarte ungeöffnet beiseite.
Читать дальше