Christoph Obermaier
Zyklische Veränderungen
Imprint
Christoph Obermaier
Zyklische Veränderungen der modernen Zivilisation und Wirtschaft
published by: epubli GmbH, Berlin
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Copyright: © Dr. Christoph Obermaier
ISBN 978-3-7418-2823-2
Lektorat: Dr. Stefanie Obermaier
Konvertierung: sabine abels | www.e-book-erstellung.de
www.zeitanalyse.deinfo@zeitanalyse.de
Einleitung
0.1. Zur Beobachtung großer Zyklen in der Wirtschaft
Dass es im Prozess der Wirtschaft zyklische Veränderungen gibt – und zwar im großen Maßstab, mit Perioden von mehreren Jahrzehnten –, dieser Gedanke wurde erstmals 1926 von Nikolai Kondratieff auf Deutsch publiziert [1], also vor nun 90 Jahren, aber zeitnah auch auf Englisch, Russisch und Französisch [2]. Und bis heute hat er als Diskussionsgegenstand hohe Aktualität, ohne dass jedoch die – zumal prognostische – Belastbarkeit dieser Auffassungen geklärt wäre [3].
Und dabei geht es um zyklische Vorgänge, die offenbar 30 bis 60 Jahre überwölben – also nicht etwa nur um vorübergehende konjunkturelle Schwankungen von wenigen Jahren oder um bloße Störungen des ökonomischen Gleichgewichts durch Zufälle oder identifizierbare und korrigierbare Fehlentwicklungen.
Fast möchte man, in Anlehnung an einen geschichtsphilosophischen Begriff, sagen, es handele sich um eine Theorie des ökonomischen Schicksals. Beispielsweise fänden junge Menschen zu unterschiedlichen Zeitaltern höchst verschiedene wirtschaftliche Bedingungen vor; nicht anders Menschen in ihren mittleren Jahren ebenso wie Ältere: immer je nach der gesamtwirtschaftlichen Situation, in die die Lebensphase der einzelnen fällt. – Und das läge nicht an äußeren Ereignissen oder am Unvermögen von Wirtschaftspolitikern, sondern entspräche der Natur der Wirtschaft selbst. Nicht zu jeder Zeit ließen sich in gleicher Weise Wachstum und Prosperität generieren.
Potentielle prognostische Relevanz
Kurz: Sofern sich derartige Zyklen der Wirtschaft analytisch „festmachen“ lassen, sind sie von großer prognostischer, zeitanalytischer, wirtschaftspolitischer Relevanz. Diese erstreckt sich auf Unternehmensentscheidungen, öffentliche Investitionen, die Währungspolitik der Zentralbanken und nicht zuletzt die Zukunftsplanungen der privaten Haushalte. – Aber es ist bislang bei einer potentiellen Relevanz geblieben. Denn der bisherige Forschungsstand weist offene und ungeklärte Fragen auf.
Offene und ungeklärte Fragen
Diese offenen Fragen – man könnte auch sagen, dieser „Klärungsbedarf“, diese wissenschaftlichen Desiderate –
betreffen sowohl die genaue zeitliche Gestalt der Zyklen
als auch ihre Erklärung durch stringente Ursachen.
Beschleunigt sich die Abfolge der Zyklen möglicherweise? Wie gut trifft die Wellenform zu? Beginnt bereits ein weiterer Zyklus (wie von Leo Nefiodow postuliert)? [4] Überlagern sich verschiedene Zyklen? Fallen sie künftig ganz aus? Oder waren sie – auch das wird diskutiert – ohnehin eher ein theoretisches Konstrukt? [5]
Zyklen über die Wirtschaft hinaus: Zivilisationszyklen
Dazu möchte dieser Essay neue Aspekte beitragen: Im „Hintergrund“ der Wirtschaftswelt vollzieht sich nämlich, wie zu zeigen ist, ein machtvoller Zivilisationswandel. Wer sich – wie der Autor – der Analyse dieses Vorgangs verschrieben hat, erkennt daran unschwer dessen partiell-zyklische Gestalt.
Und weiter: In vielfältiger Weise unterliegt die Welt der Wirtschaft diesen Einflüssen des Zivilisationswandels – ohne dass es sich um deterministische Einflüsse handeln würde (nicht anders als in der Kultur, der Politik, der Religion). Eine ganze Reihe von Wirtschaftsphänomenen lassen sich, wie zu argumentieren ist, auf diese Weise besser – oder überhaupt – verstehen. Auch solche, die Konjunkturverläufe betreffen. Doch genauer:
0.2. Zyklen in vielen anderen Zivilisationsbereichen – koextensiv
Neuer breiterer Ansatz
Von Anfang an – bereits von Kondratieff selbst – wurde der gewissermaßen „interdisziplinäre“ Charakter der Konjunkturzyklen bemerkt, gehen sie doch mit kulturellen, wertmäßigen, strukturellen und offenbar selbst politischen Veränderungen einher. [6] D.h., das Thema der großen Zyklen in der Wirtschaft
weist von Anfang an über die wirtschaftliche Konjunktur
und sogar über die Wirtschaft hinaus.
Wie im ersten Teil zu zeigen ist, kennzeichnet dies den Erklärungsbedarf: nämlich den an sinnvolle Erklärungen gestellten Anspruch. Entsprechende Anstöße gab es bereits. [7] D.h., die Zivilisationsforschung wäre schon seit langem am Zug; doch es ist die Aufgabe unserer Zeit, dass man interdisziplinäre Ansätze entwickelt.
Zyklen auch in vielen weiteren Zivilisationsbereichen zu beobachten
Der Autor möchte zu dieser Diskussion auf der Basis eigener – qualitativer, interdisziplinärer – Forschungen, beitragen. Denn wer andere Zivilisationsbereiche auf ihre „Prozesseigenschaften“ hin analysiert – von der Kultur über die Ideengeschichte bis zur Politik – macht frappierende Beobachtungen:
Auch dort gibt es zyklische Vorgänge (die natürlich in eine „lineare“ Entwicklung einbeschrieben sind).
Und legt man diese „Geschichtsstränge“ gewissermaßen „übereinander“ (= Abgleichungsforschung), so zeigt sich, dass sie eine verwandte Gestalt besitzen: In den unterschiedlichsten Bereichen treten, jeweils zeitnah, charakteristische Brüche (Neuerungen, Wendungen) ein.
Folglich ist die Wirtschaft in einen übergreifenden, in Zyklen strukturierten Zivilisationswandel einbezogen.
Zyklen des menschlichen Wandels
Der Gedanke liegt nahe, dass hier eine gemeinsame Ursache – für diesen gesamten Zivilisationswandel – am Werk sein muss. Doch die „üblichen“ Erklärungsmuster – politische, ökonomische, kulturelle, soziologische – greifen nicht wirklich. Sie sind rasch widerlegbar.
Schließlich führen weitere Analysen zu folgender Ursache: Man wird gewahr, dass in den unterschiedlichsten Zivilisationsbereichen ein verwandter Stand des Menschen zum Ausdruck und zur Auswirkung kommt. Aus forschungsgeschichtlicher Sicht sei an dieser Stelle angemerkt, dass dies bereits von der entstehenden Geschichtsforschung des 19. Jahrhunderts bemerkt worden war (Hippolyte Taine) – die oft noch einen wacheren Sinn für interdisziplinäre Zusammenhänge besaß als spätere Zeiten; wir heutigen AnalytikerInnen sind gerade dabei, uns diese interdisziplinäre Sicht wieder anzueignen – nun jedoch mit neuen, besseren Methoden.
U. a. regelmäßige Orientierungskrisen
Und weiter: Durch geeignete (diachronische) Analysen stellt man fest, dass dieser Stand des Menschen einem zyklischen Wandel unterliegt:
So zeigt sich, dass unterschiedliche Zeiten ein ganz verschiedenes Lebensgefühl aufweisen. Es gibt Zeiten eines verzagten, krisenhaften – und Zeiten eines selbstbewussten, beflügelten, zuversichtlichen Menschseins.
Viele weitere Merkmale des Menschseins sind davon ebenfalls betroffen: Bedürfnisse, Verhaltensweisen, die Neigung zu Kooperation oder Konflikt.
Diese Veränderungen des Menschseins folgen einem festen Schema: Sie sind zyklischer Natur.
Und sie strahlen machtvoll auf Gesellschaft, Wirtschaft, Politik aus.
Die – für das menschliche Selbstverständnis – ungünstigen Zeiten lassen sich auf Orientierungskrisen zurückführen, die günstigen Zeiten hingegen auf deren Bewältigung (durch eine Neuorientierung). Im Übrigen befinden wir uns derzeit (seit 2015) am Beginn einer solchen Krisenphase. – Krisenphasen münden immer – nach einer Abfolge von festen Stadien – in eine Neuorientierung.
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