Stella stellte einen Teller und eine Tasse für ihn auf den Tisch und lachte. «Es ist schon zehn Uhr. Die Kinder lärmen sicher seit sieben, du musst einen Schlaf wie ein Schweizer Murmeltier im Winterschlaf haben!»
Ben war das peinlich! Er schaute zu Boden und stotterte: «Ach, du meine Güte, ich bin sonst kein Langschläfer!»
Stella lachte. «Wie geht es deinem Kopf ?»
«Danke, viel besser.»
Sie nahm ihn bei der Hand, schüttelte entschuldigend den Kopf und zog ihn mit sich, während Josh noch immer auf ihrem Arm hockte. «Du möchtest sicher zuerst einmal duschen, komm, ich zeig dir alles.»
Sie schien Gedanken lesen zu können! Sie ließ seine Hand wieder los. Eigentlich schade , dachte er.
Stella führte ihn in das einfache kleine Badezimmer und drückte ihm ein Duschtuch in die Hände. «Nimm dir alles, was du brauchst. Duschgel, Shampoo und keine Ahnung, was Männer sonst noch so nötig haben. Bedien dich einfach bei Phils Zeug, okay?»
«Super, vielen Dank!», sagte Ben erleichtert.
Stella blieb im Bad stehen und Ben räusperte sich.
«Ach, du meine Güte, entschuldige, bin schon weg.» Stella errötete und verschwand schnell um die Ecke.
Ben musste schmunzeln. Sie war echt süß.
Er genoss die Dusche wie wohl noch keine vorher. Vorsichtig ließ er das Wasser auch über seine verschwitzten und blutverkrusteten Haare fließen. Die Wunde brannte noch ein wenig. Die Kopfschmerzen waren aber wie weggeblasen.
Unterdessen machte Stella das Frühstück für Ben. Sie selber hatte schon lange mit den Kindern, Julia, Phil und Taonga gegessen.
Die drei waren danach an ihre Arbeit gegangen. Julia war jeden Morgen in einer Klinik beschäftigt und die Männer hatten auf dem zukünftigen Campingplatz viel zu tun. Stella war für die vier Wildfänge zuständig, bis Julia wieder zurück war. Die Mädchen hatten gerade Weihnachtsund Sommerferien, die bis Ende Januar dauerten, und die Jungen waren immer zu Hause, da sie noch nicht zur Schule gingen.
Ben trat frisch geduscht und mit neuen Kleidern ins Esszimmer.
«Vielen Dank für alles!»
Stella lächelte ihn fröhlich an. «Kein Problem.»
Dieses Lächeln! Ben konnte seinen Blick kaum von Stella wenden. Sie war wunderschön, sogar in den etwas seltsamen Kleidern, die sie trug. Heute war es ein geblümtes ärmelloses Kleid, unter dem sie kurze Leggins trug. Ihr Haar hatte sie zu einem Zopf geflochten. Ben schaute zu Boden, es war unhöflich, sie so anzustarren.
Stella schien es zum Glück nicht bemerkt zu haben. «Magst du nichts essen? Du bist schon um dein Abendessen gekommen, da du so schnell eingeschlafen bist.» Sie schien fast ein bisschen besorgt zu sein.
Ben griff herzhaft zu, er hatte tatsächlich eine ganze Weile nichts mehr gegessen.
Phil schaute kurz vorbei und vergewisserte sich, dass alles in Ordnung war. Er wollte auch hören, wie es Ben ging.
«Alles in Ordnung, vielen Dank, Phil», sagte Stella lächelnd.
«Ja, herzlichen Dank», stotterte Ben.
Josh krabbelte am Boden herum. Stella hatte ihr Gesicht in die Hände gestützt und schaute Ben beim Essen zu.
Er schien wirklich Hunger zu haben und Stellas New Zealand Breakfast zu mögen. Seine Haare waren noch nass und deshalb nicht so wild wie am Vortag. Nur hier und da kämpfte sich eine vorwitzige Locke heraus. Er hatte kräftige Arme und Hände.
Stella überlegte sich, was er von Beruf sein könnte. «Arbeitest du auf dem Bau oder so?»
Ben schaute erstaunt auf. Wie war sie plötzlich auf diese Frage gekommen? «Wieso meinst du?»
Stella zeigte lächelnd auf seine Oberarmmuskeln und sagte: «Ich überlege mir gerade, wie du wohl zu denen gekommen bist.» Sie lächelte ihn wieder an und fügte hinzu: «Im Büro bekommt man die wohl nicht und auch nicht im Studium, oder?»
Ben erzählte von seinem Job in der Zimmerei und davon, dass er gerne kletterte. «Eigentlich würde ich jetzt, wenn es nach meinem Vater ginge, in irgendeinem Hörsaal sitzen, aber ich konnte mich bis jetzt für kein Studium erwärmen.»
Stella hörte interessiert zu. «Dann bist du sozusagen nach Neuseeland geflüchtet vor den Plänen deines Vaters?»
«So ungefähr.»
Stella schaute ihn lange nachdenklich an. «Aber da ist noch mehr, oder?»
Ben hätte sich fast verschluckt. Diese junge Frau konnte wohl wirklich Gedanken erraten. Er erzählte ihr einiges, was ihn schon lange bedrückte, sogar von Naemi. Er konnte es selbst fast nicht glauben, aber er redete und redete und Stella hörte geduldig und interessiert zu und stellte sehr einfühlsame Fragen. Er hatte sich noch nie jemandem so anvertraut, aber er merkte, dass es guttat. Er erzählte ihr sogar, wie sehr er vom Glauben enttäuscht war und dass er ziemlich sicher nie mehr eine Kirche betreten würde.
Stella schaute ihn traurig an. «Das tut mir leid. Menschen können so verletzen. Wenn sie dann auch noch Christen sind, schmerzt es noch viel mehr. Von Christen erwarten wir einfach mehr, ist es nicht so?» Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. «Ja, Menschen enttäuschen uns, aber Gott ist anders!»
Ben schwieg. Sie war also anscheinend auch Christin.
Stella musste zwischendurch immer wieder nach den Kindern sehen, einen Streit schlichten oder ihnen etwas zu trinken einschenken. Sie machte dies mit einer Ruhe und Freundlichkeit, die ihn faszinierten.
«Und du bist Erzieherin?», fragte er sie mehr zum Scherz.
«Genau!», schmunzelte sie. «Ich habe meine Ausbildung in einer Kindertagesstätte im letzten Sommer, also im Schweizer Sommer, abgeschlossen.»
Sie senkte ihren Blick und schwieg einen Moment. Dann schaute sie Ben traurig an.
«Was ist passiert?», fragte er.
«Ich konnte meine Ausbildung dort als Einzige ohne ein vorheriges Praktikum beginnen, was zwar erlaubt, aber in diesem Beruf unüblich ist. Na ja, die Chefin fand einfach, dass ich sehr geeignet für den Beruf bin. Meine Kolleginnen waren aber immer eifersüchtig und haben mich das spüren lassen. Ich war deswegen natürlich auch die Jüngste, sie nannten mich das Baby . Als ich dann von meiner Chefin als frisch Ausgebildete die Gelegenheit bekam, als Gruppenleiterin zu arbeiten, wurde ich von meinen Mitarbeiterinnen gemobbt. Es war so schlimm, dass ich am Ende des Herbstes kündigen musste, ich hielt es einfach nicht mehr aus!»
Ben war schockiert und wütend gleichzeitig. Er warf Stella einen ermutigenden Blick zu, damit sie weitererzählte.
«Da fragte mich Julia an, ob ich ihr hier mit den Kindern und dem Haushalt unter die Arme greifen könnte. Ich könnte gleichzeitig Englisch dabei lernen. Sie konnte so eine gute Arbeitsstelle bekommen, bei der sie jeden Morgen in einer Klinik arbeitet. Es ist in ihrem Beruf keine Selbstverständlichkeit, regelmäßig arbeiten zu können, deshalb war sie froh, diese Tätigkeit annehmen zu können, natürlich auch aus finanzieller Sicht. Tja, und jetzt bin ich hier.»
Stella schaute auf die Uhr und erschrak. Es war fast Mittag und sie sollte doch das Mittagessen für alle zubereiten. Ben half ihr und gemeinsam schafften sie es, etwas Leckeres auf den Tisch zu zaubern, bis Julia, Phil und Taonga eintrafen.
Beim Essen sprachen sie darüber, dass sie dringend Mitarbeiter bräuchten, aber das Geld fehlte, um sie zu bezahlen.
«Wir brauchen Hilfe, sonst schaffen wir das nicht. Solange wir den Campingplatz nicht eröffnen können, haben wir keine Einnahmen. Und die benötigen wir dringend», klagte Phil.
Er arbeitete von Montag bis Mittwoch als Englischlehrer an einer höheren Schule und auch Taonga hatte verschiedene zusätzliche Jobs, um das Einkommen etwas zu verbessern, doch es kam einfach zu wenig zusammen.
Phil schaute ernst drein und sogar Taonga fehlte heute das Lachen. «Wir sind mit allen Projekten im Rückstand. Die Surfschule ist nicht so weit wie geplant. Dein Laden, Julia, ist noch eine Baustelle. Unsere kleine Kirche, die auf unserem Land steht, hätte dringend eine Renovierung nötig. Es sind einfach zu viele Projekte auf einmal und wir sind alle etwas chaotisch veranlagt, wir bräuchten jemanden, der das Ganze planen und leiten könnte.»
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