Leider war mein Schulweg nicht weit genug. Nach zehn Minuten kam ich bereits zu Hause an.
Wir wohnten in einer kleinen Siedlung am Stadtrand. Idyllisch und ruhig. Aber alles hat Vor- und Nachteile. Denn hier wollte quasi jeder über jeden Bescheid wissen. Freundlich grüßen und gute Laune, egal wie man drauf war oder ob man sie überhaupt leiden konnte. Immer dasselbe Spiel.
Ich stieg vom Motorrad ab und parkte es auf dem Stellplatz. Die Nachbarn schauten schon wieder und ich grüßte höflich mit einem Nicken. Dann nahm ich meinen Helm ab und zog die Handschuhe aus. Die Sonne schien mir dabei direkt ins Gesicht. Was für ein herrlicher Tag. Blauer Himmel, keine einzige Wolke. Nur die Sonne.
Unter der Jacke wurde es in diesem Moment ziemlich warm. Deswegen entschloss ich mich, reinzugehen und mich umzuziehen. Bis um vier hatte ich noch genug Zeit, meine Hausaufgaben zu erledigen. Beides nicht unbedingt meine Stärken, aber ich kämpfte mich durch.
Ich war bereits vor dem Fitnessstudio, als Lisy dort eintraf. Sie nahm ihren Helm ab und rief mir gleich zu: »Na, bist du wieder mal eher da?«
»Klar!«, grinste ich vor mich hin: »Lass uns reingehen!« Wir betraten das Studio. Lisy stupste mich mit dem Ellenbogen an: »Die Jungs sind auch wieder da! Und sie starren uns an!«
Mit ‚die Jungs’ meinte sie Eric, Mike und Rey. Eigentlich waren sie vollkommen unterschiedlich, aber trotz allem traten sie stets als Gruppe auf. Ich glaube, das Einzige, was »die Jungs« miteinander verband, war Stene.
Mike war ungefähr 1,80 m groß, schlank und durchtrainiert. Seine dunklen Haare fielen ihm bis in den Nacken, hingen aber seltsamerweise nie im Weg. Er fiel nie besonders auf, weil er mehr beobachtete als redete. Ganz im Gegensatz zu Eric. Er war eher der Frauenheld. Alles, was lange Beine und einen ordentlichen »Vorbau« hatte, war nicht sicher vor ihm. Er hatte ein wahnsinniges Talent im Umgang mit Frauen und auch sein Äußeres war ein wahrer Hingucker.
Eric war kleiner als Mike, aber ebenso muskulös. Die blonden Haare trug er stets kurz. Das Faszinierendste an ihm war sein charmantes Lächeln. Die Mädchen schmolzen reihenweise dahin.
Aber ich hatte nur Augen für Rey.
Gegenüber Lisy nannte ich ihn immer ‚mein Rey’. Neben dem Mann aus meinen nächtlichen Träumen war Rey der Einzige, der mich in seinen Bann ziehen konnte. Sobald ich ihn sah, überkam mich ein unglaubliches Kribbeln, das den gesamten Körper einhüllte. Nicht so stark wie jenes aus dem Traum, aber ebenso fesselnd.
Rey trainierte nicht so häufig. Trotzdem war er genauso schlank und durchtrainiert wie die anderen beiden. Sein Charme war sein unbeschreiblicher Blick aus diesen tiefen, wunderschönen blauen Augen. Seine Haare waren blond und reichten bis zur Schulter. Er band sie beim Training zusammen.
Während Lisy weiter fasziniert die Jungs anstarrte, wandte ich mich dem Trainer zu, der uns schon begrüßte: »Na, Mädels, auch wieder da? Hier habt ihr die Schlüssel.«
»Danke!«, sagte ich schnell und nahm die Schlüssel in meine linke Hand. Mit der Rechten fasste ich Lisy am Arm und zog sie zu den Umkleideräumen.
»Du solltest ihn endlich ansprechen?«, sagte Lisy zu mir, während sie ihre Sportschuhe anzog.
»Ist klar«, antwortete ich patzig. »Ich geh zu den drei Kerlen und sage: ‚Hi Rey, willst du mit mir ausgehen?’«
Lisy kicherte: »Soll ich die anderen zwei irgendwie ablenken?«
Ich verzog das Gesicht: »Dir ist schon klar, dass die nur im Rudel auftreten?«
»Ja«, lachte Lisy: »Deshalb ja die Ablenkung.«
Ich seufzte leise: »Und wie willst du das anstellen? Du weißt schon noch, dass du meistens kein Wort herausbekommst, wenn du mit Männern zusammen bist?«
Lisy stupste mich vielsagend an: »Das dürfte sie für eine Weile ablenken.«
Bei dem Gedanken an dieses seltsam, abstruse Bild mussten wir beide lachen.
»Aber mal ehrlich«, sagte sie schließlich, nachdem wir uns beruhigt hatten: »Du starrst ihn jetzt seit fast vier Wochen nur an. Wir haben extra unsere Sportzeiten verlegt, um sie regelmäßig zu sehen. Du musst langsam einen Schritt auf ihn zumachen, sonst wird das nichts.«
»Ich glaube nicht, dass er auf mich steht«, antwortete ich seufzend: »Wieso können Männer eigentlich nicht den ersten Schritt machen? Das wäre viel einfacher.«
Lisy schmunzelte: »Wenn du es nicht angehst, wirst du es nie herausfinden, Süße.«
»Sagt diejenige, die überhaupt keinen Ton herausbekommt«, lachte ich und half ihr auf.
»Hey, das ist was ganz anderes. Ich hab einfach eine Blockade, wenn ich auf Männer treffe«, ermahnte sie mich, bevor wir uns nach draußen auf die Laufbänder begaben. Eigentlich waren die Geräte nur für Aufwärmübungen gedacht, doch wir nutzen sie gerne länger. Vor allem weil sie einen sehr guten Blick auf die Jungs an den Hantelständen boten.
»Er schaut immer noch!«, war das Erste, was Lisy herausbrachte: »Der will wirklich was von dir, Cara. Da bin ich mir sicher!« Dabei hatte sie ein so breites Grinsen im Gesicht, dass man es wahrscheinlich durch den ganzen Raum sehen konnte.
»Toll und was bringt mir das? Vom Anschauen kann ich mir auch nichts kaufen!«, erwiderte ich patzig.
»Er ist eben schüchtern!«, versuchte sie es weiter.
Um sie abzulenken, hielt ich dagegen: »Wo ist denn dein Kerl?« Da verschwand ihr Grinsen wieder.
Sie blickte sich im Raum um, während sie auf dem Rad strampelte: »Keine Ahnung! Scheint noch nicht da zu sein! Seltsam.« Dabei runzelte sie nachdenklich die Stirn.
Sie wartete auf Stene. Er war eigentlich ganz gewöhnlich. Dunkle, kurze Haare, trainierter Körper, eben wie die anderen. Aber etwas an ihm war anders. Es schien fast so, als sei er ihr Oberhaupt, ihr Anführer.
Nur für was? Was tat dieser Mann wirklich?
Verschiedene Blickwinkel
schaffen unterschiedliche Welten.
(Lisy)
» Was meinst du, ob die Mädels gerade über uns reden?« Eric schaute Mike auffordernd an.
»Keine Ahnung! Du weißt, was Stene gesagt hat: ‚Beobachtet sie’. Nicht mehr und nicht weniger!« Mike war genervt. Er mochte Eric eigentlich nicht. So ein Frauenheld, dachte er immer. Dennoch musste er gezwungenermaßen mit ihm auskommen. Er gehörte zur Gang. Egal, was er über ihn dachte.
»Ich frage mich, was er von den beiden will?«, Eric ließ nicht locker. Er wollte Mike unbedingt in ein Gespräch verwickeln.
»Was wohl! Es ist alles vorbereitet! Stene meinte, sie sind perfekt«, antwortete Mike sofort.
»Du meinst, er will es an ihnen ausprobieren?«, Eric war sichtlich erfreut, dass Mike nun doch mit ihm redete. »Anscheinend! Allerdings eher an der Schwarzhaarigen. Wie hieß sie gleich?«, Mike wandte sich Eric zu und blickte ihn an.
»Cara!«, entgegnete Eric.
»Ach, ja!«, fuhr Mike weiter fort: »Na, ob das was wird? Sie sehen nicht so aus, als würden sie es freiwillig machen!«
»Dann müssen wir eben nachhelfen!«, grinste Eric auf einmal.
Mike schoss hoch und baute sich vor ihm auf: »Ich hab aber keinen Bock, wieder im Knast zu landen!«
»Musst du ja gar nicht! Stene weiß schon, wie er sie rumkriegt!«, Eric versuchte, ihn zu beruhigen.
»Wenn ich diesen Bunker noch einmal von ihnen sehen muss, dreh ich durch«, fügte Mike mürrisch hinzu.
»Mach dich mal locker. Jeder von uns war bereits im Knast. Ich weiß auch, wie das ist. Aber Stene hat einen Plan. Auf die Burg wird uns keiner folgen«, versuchte Eric, Mike zu beschwichtigen.
»Ich hoffe, du behältst damit recht«, antwortete Mike grummelnd und blickte auf die Mädchen: »Eigentlich sind sie viel zu schade. Ich steh auf diese langen schwarzen Haare.«
Eric boxte Mike in die Seite: »Sie steht aber leider auf unseren schmächtigen Rey. Du wirst bei ihr also nicht landen können.«
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