„Sind Sie sicher, dass Sie mir die richtige Fahrkarte gegeben haben? Da steht erste Klasse drauf, das muss ein Missverständnis sein.“ „Das hat schon alles seine Richtigkeit Frau de Menier, die Fahrkarte, welches für Sie hinterlegt wurde, ist für die erste Klasse“, antwortet der Bahnbeamte als Alberts Mutter die Fahrkarte nach Paris abholen will. „Was ist nur in meinen Sohn gefahren, soviel Geld für mich auszugeben. Kaum ist er weg von mir, hat er verlernt, das Geld zusammenzuhalten. Kann ich die Fahrkarte nicht in eines für die zweite Klasse umtauschen, und Sie geben mir den Differenzbetrag?“ „Das ist leider ausgeschlossen, der Umtausch ist nicht gestattet. Ich denke Sie müssen wohl oder übel per erster Klasse reisen.“ „Nun gut, dann geben Sie mir das Ding, aber mein Sohn wird noch was von mir hören.“ Frau de Menier gibt sich geschlagen und begibt sich zur Gepäckabgabe, natürlich schleppt sie das Gepäck selbst, für einen Kofferträger muss man nicht noch mehr Geld rausschmeißen. Auch wenn sie sich über die Verschwendung ihres Sohnes ärgert, ist sie aufgeregt. So eine lange Reise hat sie noch nie gemacht. Sie muss sich eben noch um ihren Sohn kümmern. Kaum ist dieser weggefahren, darf sie schon hinterherreisen.
Frau de Menier geht zum Bahnsteig und steigt sogleich in den Zug, als dieser in den Bahnhof einfährt. Aha, das ist also die erste Klasse, aber wer braucht denn schon all den Schnickschnack, eine Holzpritsche würde auch reichen. So ist Alberts Mutter eben, sie sieht alles ein bisschen pragmatisch. Eigentlich hätte sich Albert das denken können, dass sie sich da nicht wohlfühlen wird, aber den Fahrschein hatte ja Herr Schubert besorgen lassen.
Kurz nachdem sie sich gesetzt hat, kommt schon eine aufgetakelte Dame zu ihr ins Abteil, die ein bisschen versnobt von oben herabschaut, als diese Alberts Mutter erblickt. Frau de Menier hat eben nicht diese teuren Kleider und was sonst noch in der ersten Klasse üblich ist. Aber auch wenn diese Dame etwas Besseres zu sein scheint, vergisst Frau de Menier nicht ihre gute Stube und stellt sich vor: „Gestatten Margot de Menier.“ Die Dame erwidert kurz angebunden: „Angenehm, mein Name ist Eleonore Schubert“, und mustert dabei Alberts Mutter kritisch.
Damit hat sich das Gespräch auch schon wieder erledigt, die beiden Damen haben das Nötigste an Höflichkeit getauscht, und jede kümmert sich um ihren eigenen Kram.
Nach kurzer Zeit betritt ebenfalls ein gutgekleideter Herr mit Monokel und Zylinder das Abteil.
„Gestatten, wenn ich mich vorstellen darf, mein Name ist Graf Georg der Erste zu Limburg.“ Mit diesen Worten hat er die Aufmerksamkeit der beiden Frauen im Abteil geweckt, ein echter Graf reist mit ihnen. Frau Schubert ist gleich hin und weg, als dieser reizende Herr sich tief vor ihr verbeugt und ihr die Hand küsst. Ebenso Frau de Menier, die sich zuvor noch vor der versnobten Dame abgewandt hatte. Der Graf ist ein sehr redseliger Mensch und verstrickt die beiden sehr eloquent in ein Gespräch. „Ach wenn es Sie so interessiert, ich fahre zu meiner Familie nach Paris, zu meinem Mann und meiner Tochter, die Arme hatte schlechte Erfahrungen machen müssen. Sie wurde doch tatsächlich entführt. Mich hatte es wie ein Schlag getroffen, ich war nicht in der Lage zu reisen. Zum Glück bekam ich die Nachricht, dass es ihr gut geht und sie befreit wurde. Jetzt muss ich einfach so schnell wie möglich zu ihr. Ich hasse das Reisen, man ist immer so lange unterwegs und dann trifft man auch immer so komische Leute“, sagt Frau Schubert und blickt flüchtig zu Frau de Menier herüber. „Natürlich sind Sie da eine Ausnahme Herr Graf. Wo ist denn Frau Gräfin abgeblieben, reist sie etwa nicht mit Ihnen?“ „Aber nein, ich bin noch nicht verheiratet, ich habe bisher noch keine passende und würdige Frau gefunden. Mein Vater drängt mich schon, dass ich mir zu viel Zeit lasse.“ „Ach dann sind Sie ja wie mein Sohn, der macht auch keine Anstanden sich zu vermählen“, mischt sich nun auch Alberts Mutter mit ein. „Obwohl, ich bin auf den Weg zu ihm und soll ihm den Ring seiner Großmutter mitbringen. Ich könnte mir vorstellen, dass er nun doch ein nettes bodenständiges Mädel kennengelernt hat.“ Während sie das erzählt, kramt sie aus ihrer Tasche ein kleines Reisealbum heraus, welches sie immer in ihrer Tasche hat. „Sehen sie das ist mein Albert!“ und zeigt stolz die Fotos. Von einem Klassenfoto seines Schulabschlusses bis hin zu einem einigermaßen aktuellen Foto ist alles dabei. Zum Glück wird Albert nie erfahren, dass seine Mutter bei jeder Gelegenheit diese Bilder zeigt, sie ist eben stolz auf ihren Jungen. Schließlich kramt sie weiter in ihrer Tasche und holt den Ring hervor, unteranderem, um damit vor dieser Frau Schubert ein bisschen anzugeben.
„Oh wie nett, ein Ring mit Rosenquarz, der ist aber niedlich.“ erwähnt Frau Schubert, als sie ihn sieht und Frau de Menier protestiert: „Nein da irren Sie sich, das sind echte Rubine, das ist ein echter kleiner Schatz.“ Der Graf begutachtet das Stück durch sein Monokel und beglückwünscht die Besitzerin zu diesem schönen Stück. „Seien Sie aber vorsichtig, nicht dass der noch geklaut wird.“
Der Zug fährt gemächlich Richtung Frankreich und der Graf verlässt ab und zu das Abteil, angeblich, um im Rauchersalon zu rauchen. Schließlich begleitet er noch Frau Schubert in den Speisewagen und Frau de Menier bleibt im Abteil, um ihre Käsestullen zu essen, die sie sich als Reiseproviant eingepackt hatte.
Als Frau Schubert und der Graf einige Zeit später wieder aus dem Speisewagen kommen, lachen beide herzhaft, anscheinend haben sie sich köstlich amüsiert. Da haben sich zwei gefunden, denkt sich Frau de Menier. Aber Frau Schubert hat ja gesagt, sie ist verheiratet und hat eine Tochter, naja wenn die so wie ihre Mutter ist, wird die wohl noch nicht unter der Haube sein. „Ich sehe, sie beide haben ein lustiges Thema. Es ist doch schön, wenn man sich auf einer Zugfahrt so gut kennenlernt, oder?“ nimmt Frau de Menier die Rückkehrer in Empfang. „Da haben Sie Recht, ich habe gerade noch zu Frau Schubert gesagt, wie schön es ist, zwei so reizende Begleiterinnen auf der langen Reise zu haben. Schade, dass Sie nicht mitgekommen sind.“ Mit diesen Worten zaubert der Charmeur Alberts Mutter doch ein kleines Lächeln ins Gesicht, vor allem deswegen, weil Frau Schubert bei diesen Worten das Lachen im Hals steckengeblieben ist.
„Habe ich schon gesagt, dass Sie uns in Paris unbedingt besuchen müssen. Sie müssen meinen Mann und meine Tochter kennenlernen.“ Aha, das war zu erwarten, jetzt wirft sie die Angel nach dem Grafen aus, um ihn für ihre Tochter an Land zu ziehen. Aber wieso auch nicht, wenn der Graf glücklich wird. Männer sind selber schuld, wenn sie sich die falsche Frau aussuchen, sie könnten ja auch eine andere nehmen.
„Das hört sich toll an, natürlich treffe ich mich gerne mit Ihnen und ihrer Familie in Paris. Wie sieht es mit Ihnen aus, wollen Sie sich nicht auch mit anschließen?“ wendet sich der Graf an Frau de Menier, während Frau Schubert über diesen Vorschlag nicht begeistert ist. „Das würde ich gerne, aber mein Sohn wird mir sicherlich keine Zeit lassen. Er wird mir die ganze Stadt zeigen wollen, da wird wohl nichts draus.“ „Aber da wird sich doch ein freier Moment ergeben, ich wäre beleidigt, wenn Sie nicht kommen würden“, redet der Graf Frau de Menier ins Gewissen. Frau Schubert hingegen ist froh, dass diese andere komische Frau abgesagt hat. Was will der Graf auch mit so einer, was hat die überhaupt in der ersten Klasse verloren?
Am Abend begibt sich Albert zu Isabell und freut sich schon, sie wiederzusehen. Seit ihrer Entführung ist auch Klaus zu ihrem Schutz immer mit von der Partie. Also hatte Albert auch nichts dagegen, dass Jean ihn begleitet. Der arme Jean braucht schließlich eine Aufmunterung, und da will er seinen Freund nicht alleine lassen, vor allem, wenn er daheim auf Marie mit Pastor Koch treffen würde. Er ist sich auch noch nicht sicher, ob er Isabell etwas von dem Treffen mit Konstanze erzählen soll. Eigentlich wäre es am besten, es gleich zu erzählen, er hat schließlich nichts zu verheimlichen und am Ende fällt ihm noch die Visitenkarte von Konstanze im unpassenden Moment aus der Tasche. Nein, nein, das Beste ist, er erzählt gleich alles, wenn er sie sieht.
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