„So, so ein mündliches Verhör wolltest du mit Albert nochmal durchgehen, etwa das vom Montmartre, auf den Stufen des Sacre Coeur?“ will Sophie wissen. „Hm, das wäre schön, wenn wir das nochmal durchgehen könnten, aber dann ohne euch.“ „Du bist aber ein unanständiges Mädchen.“ „Naja, vielleicht bekomme ich zur Strafe dafür lebenslänglich?“ Sophie lacht nur über diese Aussage und nach kurzem Beraten, entschließen sich die beiden, das nachzuholen, was sie eigentlich die ganze Zeit schon in Paris machen wollten – Kleider kaufen!
„So Monsieur Boularouz, wissen Sie, wieso Sie hier sind?“ beginnt Jean das Verhör. „Mittlerweile habe ich erfahren, dass es nicht erlaubt ist, was ich gemacht habe. Ich bin Hobbyfotograf und mir haben diese neumodischen elektronischen Apparate so gut gefallen, ich musste sie einfach fotografieren. Können Sie nicht ein Auge zudrücken? Ich händige Ihnen auch die Fotoplatten von den verbotenen Motiven aus.“ „Das liegt leider nicht in meinem Ermessen, der Aussteller entscheidet, ob er Sie anzeigt oder nicht. Ich habe ihre Platten heute Morgen schon zum Entwickeln gebracht, mal sehen, ob die Exponate der Stuttgarter Elektrogeräte Fabrik die einzigen sind, die Sie aufgenommen haben?“ „Lassen Sie etwa alle meine Fotos, die in meiner Tasche waren, entwickeln? Könnten Sie da vielleicht auch jeweils einen Abzug für mich mit machen?“ „Sie sind mir vielleicht ein Scherzbold, das können sie schön selbst machen.“ Anscheinend wurde hier wirklich nur ein Hobbyfotograf verhaftet und kein Industriespion, aber Jean wartet bis er von einem der Flicks die Abzüge gebracht bekommt und setzt dann das Verhör fort.
„So Monsieur Boularouz, dann lassen sie uns die Bilder anschauen. Zunächst die Fotos, wegen denen sie hier sind. Ah da haben wir schon das erste, naja so toll haben sie die Exponate nicht getroffen, da steht ja eine Frau davor und verdeckt alles mit ihrem Hintern. Und beim nächsten sind die Exponate auch nicht zu erkennen, sie haben den Fokus auf das Dekolletee von der Dame zuvor gerichtet, als diese sich herunterbeugte, um die Elektrogeräte zu begutachten!“ Jean staunt nicht schlecht, als er sich die Fotos weiter anschaut. Fast auf jedem Bild ist eine Frau zu sehen, zumindest Körperteile von ihnen. Der Fotograf hat sich anscheinend darauf spezialisiert. „Wollen sie etwas zu ihrer Verteidigung sagen? Ich denke die Bilder sprechen für sich!“
„Ich weiß gar nicht, was Sie haben? Ich habe doch nichts Verbotenes gemacht! Ich habe die Fotos in aller Öffentlichkeit gemacht, nicht versteckt oder so. Außerdem sind auch keine Exponate auf den Fotos zu erkennen. Das war es doch, weswegen ich festgehalten wurde, oder?“ „Naja die Exponate der Frauen, die Sie fotografiert haben, sind schon zu sehen, allerdings nicht die der Aussteller.“ Jean schaut sich die Bilder weiter durch und muss feststellen, der Fotograf versteht sein Handwerk, auch wenn er es missbraucht. Jedes einzelne Foto ist in dem Bereich, in dem der Focus lag, scharf und nicht verwackelt.
Allerdings ist sich Jean nicht sicher, ob das, was der Gute aufgenommen hat strafbar ist, oder sich einfach nur nicht schickt?
„Na, was haben wir denn da? Da haben Sie doch tatsächlich auch ein nützliches Foto gemacht, es ist zwar wieder eine Dame im Vordergrund, aber was hinter ihr ist, interessiert mich doch etwas mehr.“
Beim Durchschauen fällt dem geschulten Auge des Kommissars ein Mann auf, der auf einer Mauer mit drei verdeckten Karten herumhantiert und davor ein armer Trottel, der sein Geld verspielt. „Ich denke mit diesem Foto haben Sie uns eine Menge Arbeit erspart. Der Trickbetrüger ist hier gut getroffen, dann können wir uns heute Nachmittag so manche Zeugenaussage sparen. Da Sie keine Ausstellungsstücke unerlaubt fotografiert haben und dafür dieses tolle Foto gemacht haben, will ich mal ihr kleines Hobby mit dem Fotografieren der „Vorzüge“ der fremden Damen vergessen. Vorausgesetzt, Sie versprechen mir, dass das nicht wieder vorkommt, haben wir uns verstanden? Außerdem habe ich damit bei Ihnen noch etwas gut, wenn ich mal einen Fotografen brauche, einverstanden?“ Monsieur Boularouz stimmt dem zu und ist froh wieder auf freien Fuß zu kommen.
„Da hatten wir aber Glück“, stellt Isabell fest. „So kurzfristig bekommt man bei Monsieur Rossignol eigentlich keinen Termin!“ Da Albert arbeiten muss, genießt Isabell die Zeit mit etwas, wofür sie von jeder Frau beneidet wird. Sie lässt sich eine Garderobe von einem der großen Pariser Modeschöpfer kreieren. Sie waren zuvor auch schon in den Salons von Redferne, Rouff oder auch im Haus Vagancy, aber dort war beim besten Willen kein Termin zu bekommen „Mademoiselle, Sie haben aber wirklich Glück, wäre der Termin nicht kurzfristig frei geworden, hätten Sie mindestens 12 Wochen warten müssen“, nimmt sie die Premiere - die Leiterin des Ateliers in Empfang.
Die Premiere ist die Stellvertreterin des großen Meisters und sorgt dafür, dass dessen Wünsche realisiert werden. „Kaum zu glauben, jemand nimmt seinen Termin nicht wahr. Ich würde ihn nur dann nicht wahrnehmen, wenn ich tot wäre“, erwähnt Isabell. „Ja Mademoiselle, dies ist auch der Grund, wieso der Termin frei wurde. Die arme Madame Kovalski, sie hatte so lange auf diese Ehre gewartet und musste so ein schlimmes Ende nehmen!“ „Oh mein Gott, was sagen Sie da, ich wollte nicht pietätlos erscheinen“, entschuldigt sich Isabell. „Was ist denn der Ärmsten zugestoßen? Ich hoffe, dass dies kein schlechtes Omen ist, wenn ich jetzt ihren Platz einnehme?“ „Keine Sorge, Sie sind nicht die Erste, die vom Unglück anderer profitieren, das kommt häufiger vor. Wir hatten auch schon Hochzeitskleider, die keinen Abnehmer fanden, weil die Hochzeit nicht stattfand. Aber wer kauft ein Hochzeitskleid, welches für eine andere Braut kreiert wurde, nein, das geht nun wirklich nicht. Aber Madame Kovalskis Ableben war schon überraschend, und vor allem so grausam!“ „Grausam? Ich weiß nicht, ob ich das wirklich wissen will?“ „Ach das stand doch in allen Zeitungen, sie wurde gestern im Bois de Boulogne abends von einem wilden Tier angefallen, besser gesagt von einer Bestie, man konnte sie nur mit Glück identifizieren. Was glauben Sie, wie viele Jäger momentan dort unterwegs sind. Da muss man aufpassen, sonst wird man von denen noch erschossen, so nervös sind die alle.“
Sophie unterbricht die Schauergeschichte der Premiere, bevor das noch auf Isabells Gemüt schlägt. Am Ende lässt sie sich noch ein Trauerkleid schneidern. „Ich denke wir sollten mit der Kreation der Robe beginnen, sonst haben wir am Ende keine Zeit mehr.“ Während nun die beiden jungen Damen loslegen, konnten sie zuvor noch Klaus überreden, es sich in einem Café gegenüber, gemütlich zu machen. Hier stört nur ein Mann, der nicht bei der Sache und gelangweilt ist.
Endlich erscheint auch der große Meister Monsieur Rossignol persönlich und Isabell ist ganz aufgeregt, den Mann kennenzulernen, der schon so viele Frauen glücklich gemacht hat. Endlich ist es so weit, ihr Traum wird wahr, sie bekommt ein Kleid der Haut Couture.
Nachdem der große Meister ein Handzeichen gegeben hat, beginnt erst einmal das Schaulaufen der Probiermamseln, oder wie man hier in Paris sagt - Mannequins. Es wird eine kleine Auswahl der Kollektion gezeigt. Vielleicht gefällt den Damen schon etwas, ansonsten kann sich Isabell etwas schneidern lassen. Ein Kleid ist schöner als das andere und Isabell und Sophie sind in ihrem Element, wobei Sophie weiter von so einem tollen Kleid nur träumen darf.
Der Meister ließ sich von der Weltausstellung inspirieren und hat sich ein bisschen von den exotischen Ländern beeinflussen lassen. Die erste Kreation ist ein Traum in weißer Seide, eine Art Kimono aus dem fernen Japan. Auf dem Rücken ist ein Drache in blau und rot gestickt, welches eine Huldigung an die französische Flagge mit dem weißen Hintergrund bildet. Dazu gibt es den passenden Seidenfächer mit wunderbaren Malereien, oder alternativ einen passenden japanischen Papiersonnenschirm.
Читать дальше