Albert geht zu Jean und flüstert ihm zu: „Was ist mit dir los, geht es dir nicht gut? Du sitzt so verkrampft da?“ „Nein alles bestens, ich habe jetzt Plan B eingeschlagen, um Sophie zu bezirzen. Ich bin jetzt der Schüchterne, der sich nicht traut, sie anzusprechen. Bei dir hat es schließlich auch mit Isabell geklappt!“ „Da muss ich dir leider sagen, dass das nur funktioniert, wenn du sie vorher nicht schon unnachgiebig gejagt hast. Das nimmt dir doch niemand ab, dass du schüchtern bist.“ „Tief im inneren bin ich schüchtern. Wenn ich Gefühle zulasse, kommt bei mir kein Wort mehr raus.“ „Also hast du bei Sophie Gefühle zugelassen?“ „Bist du verrückt? Ich habe doch gesagt, dass ich dann kein Wort mehr herausbekomme. Ich muss sie erst erobern, bevor ich Gefühle zulasse.“ „Ich befürchte, das wird so nicht funktionieren. Eine Frau wie Sophie kannst du mit so einer Charade nicht vor dem Ofen hervorlocken.“
Bevor die beiden über dieses Thema weiterphilosophieren können, öffnet sich die Türe und Isabell erscheint in frisch erblühter Pracht. Man merkt an ihrem Äußeren nichts mehr von den Strapazen der letzten Tage. Während sie den Raum betritt, wirft Jean nochmal einen verstohlenen Blick aus den Augenwinkeln auf Sophie, die das jetzt bemerkt hat und ihn sofort demonstrativ ignoriert.
„Hallo Albert und hallo Jean! Wie schön, ihr habt euch schon so früh Zeit nehmen können, um mich zu besuchen“, begrüßt Isabell die beiden Herren. Jetzt wo Albert seine Isabell wieder sieht, muss er daran denken, wie er im Keller des Theaters durch das Astloch sah und Isabell erblickte - nackt wie Gott sie schuf. Als ihm dieser Anblick wieder durch den Kopf geht, kann er ihr aus Scham fast nicht in die Augen sehen und bringt nur krächzende Laute raus, die wohl ein Hallo bedeuten sollten. „Albert was ist los, hast du dich gestern erkältet?“ bemüht sich Isabell um ihren Geliebten. Albert schafft es das Bild aus seinem Kopf zu verbannen und seiner Angebeteten wieder normal in die Augen zu schauen. Es ist nun mal passiert, er kann es nicht ungeschehen machen, es war ja nicht so, dass er wie ein Spanner vor einem Fenster gelauert hätte. Es ist aber sicherlich besser, es bleibt sein kleines Geheimnis. Dieser Anblick war das Schönste, was er je in seinem Leben gesehen hat, aber er darf nicht mehr daran denken, das geziemt sich nicht.
„Ach was, mir geht es gut. Ich hatte nur einen Frosch im Hals. Aber wie geht es dir? Was hat der Arzt gesagt, wie lange sollst du dich ausruhen?“ „Eigentlich geht es mir blendend, aber ich soll noch zwei Tage Bettruhe einhalten, und das in einer Stadt wie Paris! Ist das nicht grausam?“ „Ich denke, heute solltest du dich auf jeden Fall noch ausruhen, vielleicht hat der Arzt Erbarmen und lässt dich morgen mit mir die Stadt unsicher machen.“ „Das wäre toll, ich hatte dich so sehr vermisst! Aber heute sollte ich wirklich noch ein bisschen kürzertreten.“
Nachdem die beiden Kommissare sich vergewissert haben, dass es den beiden Damen gut geht, will Albert auch noch bei Marie vorbeischauen und sich für die Hilfe bedanken, ebenso auch bei Pastor Koch. Da sie Marie bei Jean zu Hause nicht antreffen, mutmaßen beide, dass sie diese bei Pastor Koch auf der Missionarsausstellung antreffen werden.
Als die beiden die Kollektive Missionarsausstellung rechts neben dem Trocadéro-Palast hinter den portugiesischen Kolonien erreichen, sehen sie, wie Marie im Arm von Pastor Koch eingehängt, über die Ausstellung spaziert. „Hallo Herr Pastor, ich hoffe wir stören sie beide nicht?“ ruft Jean. „Ach wo denken Sie denn hin? Ich wollte Marie gerade all die schönen Sachen zeigen, die es in den Kolonien gibt. Ich hoffe Sie finden es nicht unangebracht, dass ich ihr Fräulein Schwester herumführe?“ Eigentlich passt es Jean nicht wirklich, da er langsam Angst bekommt, dass Marie Gefallen an all dem findet und am Ende noch mit dem Pastor weg geht. Wer kümmert sich dann um das Elternhaus? Aber das kann Jean ja nicht sagen, und so bleibt nur eine Antwort übrig: „Natürlich nicht, ich freue mich, wenn meine Schwester mal aus dem Haus rauskommt. Wenn ihr wollt, könnt ihr gerne auch in die Oper gehen, dann muss ich das nicht machen.“ „Moment, Moment, so leicht kommst du mir nicht davon, du schuldest mir noch einen Opernbesuch.“ „Vielleicht könnt ihr das mit der Oper später klären“, unterbricht Albert die beiden. „Ich wollte mich noch bei euch beiden für die tolle Unterstützung bedanken. Ohne eure Hilfe, wäre Isabell irgendwo auf der Welt verschollen und ich hätte sie nie wiedergesehen.“ „Da brauchen Sie sich doch nicht zu bedanken. Man hilft doch, wo man kann. Wenn Sie beide Lust haben, würde ich Sie gerne dazu einladen, mit mir und Marie die Kolonien hier auf der Ausstellung zu erkunden, vielleicht kann ich Ihnen noch manche Neuheit erzählen.“ Albert winkt ab. „Ich würde mich euch gerne anschließen, aber ich muss mich noch um ein paar Angelegenheiten kümmern. Vielleicht will Jean euch begleiten.“
Albert muss sich auch von Jean losreisen, da er nur heute die Möglichkeit hat, seiner Mutter zu schreiben. Außerdem muss er sich um eine Unterkunft für sie kümmern. Wieso hat er eigentlich das Angebot abgeschlagen, dass Herr Schubert sich auch um eine Unterkunft kümmert, der übernimmt jetzt nur die Zugfahrt. Naja das kann er nicht mehr ändern, er muss heute auf die Suche gehen. Morgen, wenn Isabell womöglich wieder fit ist, will er lieber mit ihr zusammen sein. Natürlich nur, wenn ihm die Arbeit dazu Luft lässt.
Jean nimmt die Einladung des Pastors an, allerdings eher, um Anstandsdame zu spielen, nicht dass seine Schwester noch schneller verschwindet, als er denkt.
Albert macht sich zum nächsten Telegraphenamt auf, um seiner Mutter zu schreiben, obwohl er schon seit dem 13.04., also seit knapp 11 Tagen hier in Paris ist, hat er außer der Nachricht, er sei gut angekommen nichts mehr von sich hören lassen – das wird Ärger geben. Da er aber ein Telegramm schickt, hat er leider keine Möglichkeit sich großartig zu entschuldigen oder auch viel zu erklären, da jedes Wort eine Menge Geld kostet. Sein erster Entwurf sieht folgendermaßen aus:
Liebe Mutter,
verzeihe mir, dass ich mich erst so spät melde.
Mir geht es gut, komme doch bitte morgen
nach Paris und bringe den Ring von Großmutter
mit. Ich habe eine Überraschung.
Die Fahrkarte wird am Anhalterbahnhof hinterlegt.
Ich hoffe du kannst deinen Laden für mehrere
Tage schließen.
Liebe Grüße dein Albert
„So, das sind 52 Wörter zu 15 Centime pro Wort, das macht dann 7,80 Franc.“ Teilt der Postangestellte Albert am Telegraphenamt mit. „Was! So viel? Für die paar Worte? 7,80 Franc? Vielleicht sollte ich das ein bisschen anders schreiben.“ Auch wenn er seine Mutter liebt, muss er doch ein bisschen auf das Geld achten, er will schließlich einer Frau einen Antrag machen und das kann ganz schön teuer werden. Also überarbeitet er die erste Fassung:
Mutter,
komme mit Großmutters Ring nach
Paris – Fahrkarte morgen –
Anhalterbahnhof hinterlegt
Albert
„Ich denke doch, dass ich mich verständlich ausgedrückt habe, oder?“ will Albert von dem Postangestellten wissen. Dieser zuckt nur mit den Schultern. „Och ich habe schon unverständlichere Nachrichten verschickt, aber lassen Sie uns das ganze nochmal nachrechnen. Das sind 12 Worte zu 15 Centime, das macht 1,80 Franc.“ Na also, so konnte Albert die Kosten reduzieren, da kann er nur hoffen, dass seine Mutter auch alles versteht. Jetzt braucht er nur noch eine Unterkunft, die Fahrkarte lässt Herr Schubert wohl seinen Fahrer Klaus besorgen.
Das mit der Unterkunft erweist sich als schwerer wie gedacht, die meisten Hotels sind entweder ausgebucht oder unbezahlbar. Na zur Not, muss seine Mutter bei ihm übernachten.
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