Karl Olsberg
Das Dorf
Band 9:
Die Reise zum Mond
Copyright 2016 Karl Olsberg
ISBN 9783741851421
Published by epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
www.karlolsberg.de
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Gewidmet den Apollo 13-Astronauten
Jim Lovell, Jack Swigert und Fred Haise,
die nie auf dem Mond gelandet sind.
Die Morgensonne färbt den Himmel orangerot. Ein neuer Tag bricht an in dem kleinen Dorf am Rand der Schlucht. Noch hört man das vereinzelte Stöhnen der Nachtwandler in der Nähe, doch schon bald wird die Sonne sie in ihre dunklen Höhlen zurücktreiben, und diejenigen, die es nicht rechtzeitig schaffen, werden zu wandelnden Fackeln.
Primo streckt sich genüsslich. Er hat gut geschlafen und freut sich darauf, seine schimmernde Diamantrüstung anzulegen und damit durchs Dorf zu stolzieren. Als offizieller Beschützer ist er jetzt einer der wichtigsten Dorfbewohner, und das fühlt sich irgendwie gut an. Noch besser fühlt es sich allerdings an, dass er jetzt endlich mit Golina verheiratet ist! Er dreht sich auf die Seite und schließt die Augen. Nur noch ein kleines bisschen dösen ...
Paul, der Wolf, kratzt an der Tür.
„Lässudenwolfraus?“, murmelt Golina im Halbschlaf.
Primo seufzt, steht auf und legt seine Rüstung an. Paul knurrt, winselt und schnüffelt an der Tür. Vielleicht ist da draußen noch ein Nachtwandler, den er jagen will. Darin ist er inzwischen fast so gut wie Asimov, der Golem.
Als Primo die Tür öffnet, schießt Paul mit wildem Gebell hinaus. Doch es ist kein Monster, das er jagt, sondern Mina, die Katze, die gerade über den Kiesweg vor der Schmiede schleicht. Mina faucht und ergreift die Flucht, während Paul ihr kläffend nachjagt.
„Paul! Hierher!“, ruft Primo.
Doch der Wolf ist nicht zu bremsen. Genau in diesem Moment öffnet sich die Tür der Bibliothek auf der anderen Straßenseite, und der alte Lausius tritt heraus. Er hat einen großen Stapel Papier in der Hand. Mina macht einen Satz auf seinen Arm, um sich vor Paul in Sicherheit zu bringen, was den Wolf dazu veranlasst, ebenfalls an dem Alten hochzuspringen.
Durch die Wucht des Anspringens wird Lausius umgeworfen. Papiere fliegen durch die Luft. Die Katze jagt miauend davon und flüchtet sich auf den Kopf von Asimov, der in diesem Moment mit schweren Schritten die Dorfstraße entlang stakst. Paul rennt laut kläffend um den Golem herum, traut sich jedoch nicht, an ihm hochzuspringen.
„Pfui! Aus! Platz!“, erklingt Asimovs metallische Stimme. „Geh weg, du Untier! Und wehe, du hebst dein Bein an mir!“
Der Wolf ignoriert die Befehle und kläfft weiter. Primo läuft zu Lausius und hilft ihm, die Papiere wieder aufzusammeln.
„Kinder, ich kann so nicht arbeiten!“, stöhnt der Alte.
„Tut mir leid“, erwidert Primo. „Paul ist manchmal ein bisschen ungestüm.“
„Ich hab ja gleich gesagt, wir hätten ihn Jette in dem Dorf im fernen Osten schenken sollen“, grummelt Asimov und wirft dem Wolf einen finsteren Blick zu.
„Was ist denn jetzt schon wieder los?“, fragt Magolus, der gähnend aus der Kirche kommt. „Wie soll man denn bei diesem Krach schla..., ich meine, meditieren?“
Auch die anderen Dorfbewohner kommen jetzt aus ihren Häusern und beschweren sich über das Gebell.
„Der Wolf verscheucht mir meine Fische!“, meint Olum.
„Und meine Schafe jagt er auch immer quer über die Wiese. Die sind schon so nervös, dass ich sie kaum noch scheren kann“, meckert Jarga.
„Aber wenigstens hält er die Nachtwandler fern“, wendet Bendo ein.
„Dafür haben wir doch den Golem“, entgegnet Kaus. „Der macht jedenfalls nicht so einen Radau!“
„Ich frage mich manchmal, wie Primo das Dorf beschützen will, wenn er nicht mal seinen Wolf unter Kontrolle hat“, meint Hakun.
„PAUL, AUS!“, donnert Golinas Stimme durchs Dorf. „HIERHER, BEI FUSS!“
Augenblicklich hört der Wolf auf, zu kläffen, und läuft mit eingekniffenem Schwanz zu ihr.
„Vielleicht sollte Golina unsere Dorfbeschützerin sein“, kichert Kaus. „Die muss nur einmal brüllen, und alle Nachtwandler ergreifen die Flucht!“
Primo wirft ihm einen finsteren Blick zu, obwohl er zugeben muss, dass Kaus recht hat: Golina kann ganz schön furchterregend sein, wenn sie wütend ist. Während sich die Versammlung der Dorfbewohner allmählich wieder auflöst, hilft er dem vor sich hin murmelnden Lausius, die letzten Blätter aufzusammeln. Manche zeigen seltsame Zeichnungen, andere sind voller Zahlen, die in kleinen Kästchen angeordnet sind.
„Was bedeutet das?“, fragt er den Alten.
„Das verstehst du sowieso nicht“, murmelt dieser. „So ein Ärger! Alles durcheinander! Das dauert Stunden, die Berechnungen neu zu sortieren.“
„Was denn für Berechnungen?“, fragt Primo.
„Wenn ich einen Fehler mache, gibt es eine Katastrophe!“, erwidert Lausius, ohne auf Primos Frage einzugehen.
Primo schüttelt nur den Kopf. Der Alte ist eben ein bisschen wunderlich. Er hilft Lausius, die Blätter wieder in die Bibliothek zu tragen, die voll von Bücherstapeln und vollgekritzeltem Papier ist.
„Guten Morgen“, sagt er zu Kolle, Margi und Kolles Eltern, die zusammen mit Lausius in der Bibliothek wohnen, wodurch es hier ganz schön eng ist.
„Du solltest deinen Wolf wirklich ein bisschen besser unter Kontrolle halten“, meint Kolle. „Wir wollen doch nicht, dass wir bald wieder eine Diskussion darüber haben, ob Paul im Dorf bleiben darf.“
„Ach was“, tut Primo die Bedenken ab. „Der Wolf ist doch harmlos, und eigentlich mögen ihn alle. Ich habe gesehen, wie Hakun ihm heimlich ein Stück Hühnerbraten zugesteckt hat, und Jarga benutzt ihn sogar manchmal, um ein verirrtes Schaf zu suchen.“
„Trotzdem“, meint Kolle. „Es wäre gut, wenn er besser gehorchen würde. Dann könnten wir ihn vielleicht auf unser nächstes Abenteuer mitnehmen, und ...“
„Was für ein nächstes Abenteuer?“, fragt Margi scharf.
„Ich meinte, äh, falls wir ... also nur theoretisch ...“, stammelt Kolle, verstummt jedoch, als er ihren strengen Blick bemerkt.
Primo freut sich insgeheim, dass nicht nur er selbst es ist, der hin und wieder zurechtgewiesen wird. Andererseits ist es schon eine ganze Weile her, dass sie zur Ebene der Eistürme im fernen Osten gereist sind, und ein kleines bisschen vermisst er die Aufregung ihrer gemeinsamen Abenteuer. Seit er offiziell zum Dorfbeschützer ernannt wurde, gab es noch nicht viele Gefahren, vor denen er irgendwen hätte beschützen können. Der böse Enderman Artrax hat sich nicht wieder blicken lassen, und die Nachtwandler und Knochenmänner, die sich gelegentlich in die Nähe des Dorfs verirren, nehmen schnell Reißaus, wenn Paul oder Asimov hinter ihnen her sind. Manchmal kommt sich Primo trotz seiner schimmernden Diamantrüstung ein bisschen überflüssig vor.
Doch auch an diesem Tag passiert nichts Aufregendes mehr, und am nächsten ebenso wenig. Statt Primo ist es nun Golina, die Paul morgens vor die Tür lässt, und unter ihrem strengen Blick wagt er es nicht, die Katze zu jagen, obwohl diese mit erhobenem Schwanz an ihm vorbei stolziert, als wolle sie ihn ärgern.
Primo bringt Nano zum Unterricht bei Birta. Nachdem der hinterlistige Artrax sie in einen Nachtwandler verwandelt hatte und Ruuna sie wieder geheilt hat, ist Magolus‘ Gehilfin viel freundlicher geworden. Sie lächelt sogar, als sie Nano die Tür öffnet, und juckt sich an der Nase, wo ein großer blauer Punkt zu sehen ist.
Auf dem Rückweg kommt Primo gerade an der Bibliothek vorbei, als Kolle aus dem Haus tritt.
„Hast du Lausius gesehen?“, fragt sein Freund.
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