Karl Olsberg
Das Dorf
Band 11: Der Graf
Copyright 2017 Karl Olsberg
ISBN 9783741895029
Published by epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
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Gewidmet Johannes Reker
in dankbarer Erinnerung.
„Geld ist ein guter Diener,
aber ein schlechter Herr.“
Francis Bacon
1. Ein seltsamer Besucher
„Musst du deine Sachen überall rumliegen lassen!“, schimpft Golina. „Wie soll ich denn hier saubermachen, wenn du den ganzen Kram einfach überall fallen lässt, statt ihn ordentlich wegzuräumen?“
„Das ist kein Kram“, verteidigt sich Primo, „das sind meine Rüstung und mein Flammenschwert und die Elytren, die ich von Charon bekommen habe, und der Unsichtbarkeitstrank, den mir Ruuna geschenkt hat, nachdem ich das ganze Dorf aus dem Ende befreit habe ...“
„Du hast uns befreit?“ Golina stemmt wütend die Arme in die Hüften. „Und wer hat sich aus Charons Fähre in die Tiefe gestürzt, ohne irgendwelche Flügel auf dem Rücken, und ist auf dem Enderdrachen geritten?“
„Also gut, wir haben das Dorf gemeinsam befreit ...“
„Ja, aber komischerweise sind es nicht wir gemeinsam, die versuchen, dieses Haus in Ordnung zu halten, sondern immer bloß ich, während du im Dorf herumstolzierst!“
„Aber Linchen, ich muss doch aufpassen, dass das Dorf in Sicherheit ist. Auch wenn Artrax jetzt im Ende gefangen ist, kann man nie wissen.“
„Nenn mich nicht Linchen! Du weißt, dass ich das nicht mag. Und Dorfbeschützer hin oder her, du könntest ruhig deine Sachen wegräumen.“
„Aber wo soll ich sie denn hinräumen? Die Kisten, die wir haben, sind voll von Vorräten und Nanos Spielzeug und deinen ... äh, wunderschönen Kleidern und ... und wir haben nun mal keinen Platz, um noch eine weitere Kiste aufzustellen.“
Golina seufzt. „Ja, das ist genau das Problem. Wir haben keinen Platz. Dieses Haus ist viel zu eng für uns drei. Und außerdem ...“
„Was, außerdem?“
„Na ja, es ist ein bisschen ... einfach.“
„Einfach? Was meinst du damit?“
„Einfach eben. Es ist nichts ... Besonderes an diesem Haus.“
„Nichts Besonderes? Aber das Haus hat eine Schmiede! Kein anderes Haus im Dorf hat eine.“
Golina wirft die Hände in die Luft. „Großartig! Das ist wirklich eine tolle Besonderheit dieses Hauses!“ Sie schüttelt den Kopf. „Ihr Männer habt einfach kein Gefühl für die schönen Seiten des Lebens.“
„Ich verstehe dich nicht, Linch... äh, ich meine, Golina. Ich habe mein ganzes Leben hier gewohnt, und mir hat nie etwas gefehlt. Was stört dich denn an diesem Haus?“
„Du meinst, außer dem Gehämmere deines Vaters, das ich den ganzen Tag ertragen muss, und der Tatsache, dass wir keinen Platz für den ganzen Krempel haben, den du überall rumliegen lässt, und keine Bilder an den Wänden und kein bisschen ...“
Sie wird durch aufgeregte Rufe unterbrochen, die von draußen erklingen.
„Ein Fremder! Ein Fremder kommt!“
„Quatsch, das ist kein Fremder. Der hat eine Nase wie wir.“
„Aber ich kenne ich ihn nicht, und er ist nicht von hier, und deshalb ist er ein Fremder, und außerdem, guck mal, wie der aussieht!“
Primo greift sich rasch seine Diamantrüstung und sein Flammenschwert.
„Das sehe ich mir besser mal an“, sagt er, froh, der Diskussion mit Golina entkommen zu können.
Draußen stehen Olum, der Fischer, und Kaus, der Bauer, und blicken über den Fluss Richtung Osten. Von dort nähert sich tatsächlich eine seltsame Gestalt. Wie Olum gesagt hat, ziert eine große Nase ihr Gesicht, doch ihre Haut wirkt grau. Am seltsamsten aber ist die Kleidung des fremden Dorfbewohners: Er trägt eine dunkle, vornehm aussehende Jacke mit silbernen Knöpfen über einer grün gestreiften Hose.
„Der sieht aber elegant aus“, schwärmt Golina, die hinter Primo aus dem Haus getreten ist, gefolgt von Paul, dem Wolf, der ihr kaum von den Fersen weicht.
„Findest du?“, fragt Primo. „Aber eine Diamantrüstung ist doch noch viel eleganter, meinst du nicht auch?“
„Hrmpf!“, macht Golina.
Der seltsame Besucher überquert in diesem Moment die Brücke zum Dorf. Paul knurrt.
„Sei still!“, zischt ihn Golina an, woraufhin der Wolf den Schwanz einzieht und winselt.
Der Fremde bleibt vor ihnen stehen, verbeugt sich und sagt: „Ich wünsche den Herrschaften einen guten Tag.“
„Welchen Herrschaften?“, fragt Olum und dreht sich suchend um.
„Ich glaube, der meint uns“, stellt Kaus fest.
„Wer bist du, und woher kommst du?“, will Primo wissen.
„Mein Name ist Igor, werter Herr. Ich komme im Auftrag meines Herrn, des Grafen.“
„Des was?“
„Aber ihr werdet doch sicher vom Grafen gehört haben, werter Herr?“
„Äh, nein“, sagt Primo, der sich ein wenig dumm vorkommt.
„Herzlich willkommen in unserem bescheidenen Dorf, Igor“, begrüßt Golina den Fremden. „Womit können wir dir helfen?“
Der Besucher sieht sich um und rümpft die Nase. „Ähem, ‚bescheiden‘ trifft es wohl recht gut, werte Dame. Nun, wie dem auch sei, ich bin hergekommen, um einzukaufen.“
„Einkaufen?“, ruft Kaus erfreut. „Das ist eine hervorragende Idee! Ich hätte da wunderbares Getreide, aus dem man herrliches Brot backen kann ...“
„Wer will schon so was Langweiliges wie Getreide kaufen?“, wendet Olum ein. „Der werte Herr möchte doch sicher viel lieber Fisch, erst letzte Woche frisch aus dem Fluss gefangen ...“
„Hat hier jemand was von Einkaufen gesagt?“, ruft Hakun, der Fleischer, der in diesem Moment den Dorfweg entlanggeeilt kommt. „Ich habe da leckeren Rinderbraten im Angebot ...“
„Ihr habt nicht zu fällig Wein?“, fragt der Besucher. „Ein Mouton Rothschild wäre angenehm, sofern es ein akzeptabler Jahrgang ist. Notfalls täte es auch ein guter Tropfen aus der Region Châteauneuf-du-Pape.“
„Was redet der da?“, fragt Hakun.
„Das muss irgendeine Fremdensprache sein“, gibt Olum zurück.
„Ich sehe schon, ich muss meine Ansprüche ein wenig zurückschrauben“, sagt der Besucher. „Habt ihr womöglich frischen Hummer? Austern? Nein? Kaviar vielleicht?“
„Was ist denn Kaviar?“, will Hakun wissen.
„Das sind Fischeier“, erklärt der Besucher.
Olum bekommt einen Lachkrampf. „Fischeier! Wuahaha! Seit wann legen denn Fische Eier? Das wären dann ja Fischhühner! Hahahahaha ...“
„Ich hätte frische Eier“, sagt Hakun. „Die sind zwar nicht von Fischen, aber auch sehr schmackhaft.“
„Ähem, nun, ich werde wohl nehmen müssen, was ich bekommen kann. Was sollen sie denn kosten, die Eier des werten Herrn?“
Hakun zuckt mit den Schultern. Er hat noch nie Eier verkauft und daher keine Ahnung, welchen Preis er dafür verlangen soll. „Äh ... einen Smaragd, würde ich sagen.“
Der Fremde kramt in seiner dunklen Jacke und holt eine Handvoll grün schimmernder Edelsteine hervor. „Na gut, ich nehme zehn Stück.“
Er reicht die Smaragde Hakun, der sie mit großen Augen anstarrt. „Ich dachte ... ich meinte eigentlich, ein Smaragd für ... äh, Moment, ich bin gleich zurück!“
Während er die Dorfstraße entlang rennt, sehen die anderen sich verwundert an.
„Dein Herr muss sehr reich sein“, vermutet Golina.
„Reich?“, fragt der Besucher. „Selbstverständlich ist er reich. Unermesslich reich sogar. Schließlich ist er ein Graf.“
„Und wo genau, sagtest du, lebt dieser Graf?“, fragt Primo.
Doch bevor er eine Antwort bekommt, hält Olum dem Besucher einige Fische hin. „Seht doch, werter Herr, hier, das sind echte Fischhühner! Sie haben zwar noch keine Eier gelegt, aber dafür sind sie fast ganz frisch!“
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