„Habe ich nicht anders erwartet“, sagte die Hausherrin lächelnd. „Auf der Terrasse steht dir bereits ein Aschenbecher zu Verfügung.“
„Dann könntest du in der Zwischenzeit etwas Luft aus unseren Gläsern rauslassen“, regte Evelyn Stanicki gut gelaunt an. Am langen Arm hielt sie ihr leeres Proseccoglas über den Tisch.
Verena Gruber, die Gastgeberin, fasste sich nach einer unerwartet langen Unterbrechung als erste. „Sabine verschlingt wohl zwei Rauchstengel. Lasst uns noch einen leckeren Schluck japanischen Pflaumenwein nehmen. Oder möchte noch jemand ein Gläschen Prosecco?“
Niemand antwortete. Sie warteten alle auf die nächste Runde verheißungsvoller Glückskekse.
Vor sich hin hüstelnd trat alsbald die Fischerin wieder in den Raum.
„Nun ihr Lieben. Der nächste Umlauf mit treffenden oder nichtzutreffenden Sinnsprüchen ist eröffnet. Bei diesem wird es dann Waldemar hoffentlich nicht mehr so hart erwischen.“ Die Hausherrin verteilte ungefragt den Rest Pflaumenwein auf die sechs Gläser.
Verena Gruber griff wieder als Erste in die Schale. „Steht mir, wie ihr alle vorher angeregt habt, als Ausrichterin des Abends zu“, lächelte sie. Schnell überflog sie den Papierstreifen aus dem Glückskeks, um ihn dann zufrieden lächelnd, laut vorzulesen: „Auf dass alle deine Träume in Erfüllung gehen werden.“ Begeistert schob gleich nach: „Ja, ja, ja!“
„Dieser Glücksspruch passt am heutigen Tag wunderbar auf die Gastgeberin“, sagten alle unisono und klatschen laut Beifall. Verena Gruber nickte wieder dankend Evelyn Stanicki zu.
Georg Gruber las danach vor: „Glücklich wird, wer den Kopf nicht in den Sand steckt.“
„Stimmt, ist haargenau auf dich zugeschnitten“, sagte Sabine Fischer und las nun: „Glaube an dich und du musst die Zukunft nicht fürchten.“
Ihr Mann Thomas legte nach: „Mit Lächeln vertreibst du jeden Feind.“ Auch dieser Spruch passte nur bedingt zu seinen riesigen Fäusten.
Evelyn Stanicki war nun wieder an der Reihe: „Lache viel und du bleibst gesund“, gab ihr der kleine, selbst verfasste Zettel aus dem Glückskeks mit, in diesen mit einem schlimmen Ende aufwartenden Abend.
Ihr Mann Waldemar, dessen eigenhändig gezogener Text ihn beim ersten Durchgang sehr negativ berührt hatte, nahm den nächsten Glückskeks mit spitzen Fingern aus der Schale. Während er vorlas, erschrak er: „Wer viel lacht, bleibt viele Jahre jung. Wer wenig lacht, wird schneller dem Ende entgegensehen.“
Mächtig angesäuert, leerte der stets ernst in die Welt schauende Mann, in einem Zug, sein Likörglas.
„Ups“, überspielte die Hausherrin die aufkommende Nachdenklichkeit, „sollte ja nur ein lustiger Auftakt zu unseren Spielen sein. Nichts mit tiefer Bedeutung. Eben nur ein netter Spaß. Lasst uns nun auf einen Appetithappen in die Küche gehen. Ich habe eine breite Palette typisch asiatische Dips vorbereitet:
Alles spicy, mit verschiedenen Chilipasten, süße Ananas, Sojasoße und scharfem Wasabi. Dazu Garnelen und Streifen von der Hühnerbrust und Karotten, Fenchel und Selleriestangen. Und selbstverständlich eine Lage klassischer Sushis. Für dazwischen kredenzen wir ein passendes Getränk: Reiswein.
Kommt bitte an die Küchentheke, die Spiele im Wohnzimmer warten noch ein paar Minuten.“
Kaum saßen alle dicht gedrängt um die Theke, da läutete das Smartphone von Waldemar Stanicki. „Nun aber! Ausschalten oder in die Garderobe wegsperren“, grummelte die Hausherrin.
Doch Waldemar Stanicki stand hektisch auf, trat zwei Schritte zurück und lauschte mit wichtigem Mienenspiel. Er drehte sich um, stellt sich in die Ecke neben die Spülmaschine, mit dem Rücken zu den anderen Spieleteilnehmern. Eine volle Minute drückte er das Smartphone ans Ohr. Kein Wort, keine Silbe kam über seine Lippen. Zum Schluss nur: „Ja. Ja. Ich sehe ebenso die Dringlichkeit. Ich eile. Wie besprochen, bis gleich!“
Plötzlich, ohne weitere Erklärung, verabschiedete er sich ungelenk.
„Tut mir leid. Ich muss schnellstens weg. Wünsch euch einen Abend mit höchstmöglichem Glück bei diesen komischen Keksen. Tschüss.“
Oberflächlich, mit zwei Fingern, streichelte er im Vorbeigehen seiner Frau über die Schulter und stapfte mit großen Schritten aus dem Raum.
Neben der Garderobe drehte er sich ruckartig um und rief den verdutzt hinterher schauenden Zurückgebliebenen zu:
„Wer mir, das garantiere ich euch, dieses 'schnelle Ende' in meinem verfluchten Glückskeks untergeschoben hat, er oder sie werden es noch bitter bereuen! Hoffentlich bleiben die Sushis mit scharfem Dip nicht jemand im Hals stecken. Und noch einen Satz, sagt bitte zukünftig Waldemar zu mir, ich bin doch nicht euer Dackel mit dem Namen Waldi!“
Laut knallte die Haustür hinter ihm zu.
Alle schwiegen betreten. Nur seine Ehefrau Evelyn wirkte befreit. Sie hielt ihr Glas in Richtung Hausherrin: „Tu mir bitte auf diesen Schreck noch einen ordentlichen Schluck Prosecco rein.“
Verena Gruber, die Gastgeberin, schüttelte verständnislos den Kopf.
Noch ahnten die Mitspieler nicht, dass die unglücksverheißenden Worte im Glückskeks, „wird schneller dem Ende entgegensehen“, von der bitteren Realität weit übertroffen werden. Und dies unmittelbar innerhalb der nächsten Zehn Stunden.
Doch auf eine solch mysteriöse Weise die Welt verlassen zu müssen, das wünschte Waldemar Stanicki, außer sogenannten „politischen Freunden“, niemand.
Armin Schönfelder schaute auf seine Armbanduhr. Zehn Uhr Fünfzehn. Er nickte unmerklich. Die Zeit begleitete ihn, seit er vor vielen Jahren seinen Dienst als Polizist antrat, als wichtigsten Faktor. Eine, nein, die große Hilfe, seinen Tag zu strukturieren. Auch an dienstfreien Wochenenden.
Durch die Fenster auf dem mit schmucken Häusern bebauten Südhang, in Wallmenroth über der Sieg, strahlte bereits die Vormittagssonne. Sie wärmte kräftig, als wolle sie bereits um diese frühe Zeit, eine wohltuende Sonntagsstimmung zaubern.
Armin Schönfelder, Kriminalhauptkommissar der Inspektion Betzdorf und als Leiter der Mordkommission zuständig für die Städte am mittleren Lauf der Sieg, stand gutgelaunt vom Frühstückstisch auf. Er blinzelte zum offenen Fenster hinaus: Herrliches Wetter und Wochenendbesuch vom Enkel, was brauche ich mehr zur Entspannung?
„Heute Luca, nutzen wir das sonnige Wochenende. Ich zeige dir den einzigartigen Wasserfall der Sieg. Er sprudelt unerwartet breit, über grobe Felskanten“, schwärmte Armin Schönfelder, „er liegt in Windecker Ländchen, in Schladern. Das ist weit außerhalb meines Arbeitsbezirks und so kann auch ich dieses Wochenende schwerelos genießen.“
Der Großvater schaute in die Augen seines Enkels: „Würde dir ein Ausflug dorthin gefallen? Heute, jetzt gleich?“
Luca überlegte, die Einladung in ein Fußballstadion der Profiliga wäre mir lieber. Dann jedoch nickte er freudig, „ja, Opa, ja, ist gut.“
Nach einer kleinen Pause legte Armin Schönfelder nach: „Anschließend schauen wir im Besucherzentrum Videos über die Naturregion Sieg, schlemmen einen leckeren Eisbecher, räkeln uns in eine Hängematte in der Lounge daneben und sehen nach, welche Veranstaltungen demnächst in der alten Backsteinhalle von Kabelmetall stattfinden. Wäre auch dies nach deinem Geschmack?“
„Toll Opa, wird super, echt geil“, war die prompte Antwort. Enkel Luca und Opa Armin strahlten sich glücklich an.
Kaum war das euphorische Lob von Enkel Luca verklungen, da meldete sich unüberhörbar das Handy von Armin Schönfelder.
„Sorry“, beinahe wäre dem allzeit besonnenen Kriminalhauptkommissar das unschöne Schimpfwort mit „Sch...“ über die Lippen gerutscht, „ich muss da mal ran. Leider! Ist dienstlich.“
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