Gerhard Gröner
Rotes Moor
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Inhaltsverzeichnis
Titel Gerhard Gröner Rotes Moor Dieses ebook wurde erstellt bei
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Prolog
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4.Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
Impressum neobooks
Ohrenbetäubend donnerten zivile Cargoflugzeuge und Kampfjets über das graue Rollfeld des Köln-Bonner Flughafens. Der kastenförmige Kleinbus mit weißem Kreuz und der Aufschrift „Bundeswehr“ konnte seine Passagiere nicht vor dem ungewohnten Lärm schützen.
Eng aneinander gekauert saßen in dem Zwanzigsitzer ein Paar mittleren Alters, gekleidet in unauffälligen Farben. Die bleiche Frau rieb unruhig mit dem rechten Absatz über den gummierten Fahrzeugboden. Die Knöchel beider Hände leuchteten weiß durch die Haut, so fest hielt sie die Griffstange am Vordersitz.
„Unser politisches Ideal ist Frieden, Thomas“, Gabriela Geyer redete wie in Trance, „weshalb nur wollte unsere Alexa Soldatin werden.“
„Gabriela, wir haben darüber lange, schlaflose Nächte geredet, bis wir seelenleer in den nächsten Tag stolperten“, zart wischte Thomas Geyer seiner Frau mehrere langsam kullernde Tränen und einen silbernen Haarstrang von der Wange, „wir sollten jetzt nicht über Kanonen und Drohnen reden, wir müssen stark sein für unsere Tochter. Wir beide lieben sie doch.“
Der Fahrer des Busses, die Kampfuniform der Bundeswehr schien frisch gebügelt, hielt an, stieg aus und reichte Gabriela Geyer die Hand. Er sprach in knappen Sätzen: „Kommen sie. Sehen sie das Rolltor dort. Mittig dieser großen Halle. Die Tür links daneben, da eintreten.“
Sehen grottenhässlich aus, diese grauen Bundeswehrhandschuhe, dachte Thomas Geyer als der Soldat seinen Zeigefinger zum Hangar ausstreckte.
Gabriela Geyer drehte langsam den Kopf und schaute sich unsicher um. Thomas Geyer hakte ihren Arm unter und dennoch schlürften bei den ersten Schritten ihre Sohlen und Absätze über den Boden.
Nur noch zehn Schritte höchstens, zum olivmatt gestrichenen Hangar. Gabriela Geyer blieb abrupt stehen.
Leicht nach vorne gebeugt sprach sie, nahezu lautlos, ohne die Lippen zu bewegen: „Ich geh da nicht rein, ich kann das noch nicht! Sag Thomas, ist es nicht ungeheuerlich, immer noch Gesundheit und Leben unserer Kinder am Hindukusch zu opfern, obwohl der Kriegsgrund Osama bin Laden bereits im Mai 2011von einer amerikanischen Spezialeinheit erschossen wurde. Keine fremde Macht wird Afghanistan befrieden, keine.“
„Lehn dich an mich und hole tief Luft“, flüsterte ihr Mann und legte fest seinen Arm um ihre Schultern als wolle er sie beschützen.
„Warum, Thomas, drängte unser einziges Kind dickköpfig zum Militär und wird uns nach wenigen Wochen in einem Rollstuhl zurückgegeben? Zurück aus einem wie sie sagen „friedenzwingenden Einsatz“. Ein Dutzend Jahre nach Kriegsbeginn. Warum? Wir beide haben an jeder bedeutenden Friedensdemo mitgewirkt, dein Vater war durch knallharte Erfahrungen im zweiten Weltkrieg zum Pazifisten geworden. Mein Vater und meine Mutter sind Kriegsgegner. Warum meldete sich unser Kind auch noch zum Kampf gegen die Taliban?“
„Komm, Gabriela, komm mit zu deiner Alexa. Sie lebt! Sie braucht uns, jetzt. Mehr denn je. Denke an deinen Enkel Marlon. Eltern müssen sich lebenslang ihrer Aufgabe stellen. Auch wir. Wir müssen stark sein und Zuversicht zeigen.“ Und wieder streichelte er über ihre Wangen.
„Thomas, hilf mir. Die Menschen in Afghanistan sehnen sich bestimmt nach Frieden. Dienen Nato und ISAF nur dem Machterhalt? Ich habe kalte Hände. Will ich denn mit etwas konfrontiert werden wonach ich nie suchte?“
„Gabriela, werde in deiner Verzweiflung nicht ungerecht. Jetzt ist die Stunde unser Kind zu begrüßen, wie immer wir sie auch vorfinden. Wir sollten uns freuen sie lebend wieder zu sehen. Vielleicht hat Alexa die Gene ihres Urgroßvaters Hans geerbt, der war fanatischer Soldat und hat ihr seine Orden vererbt. Familiengeschichte geht auch an uns nicht spurlos vorbei. Doch nun, lass uns funktionieren, wie es Eltern müssen. Du bist doch der starke Rückhalt unserer Familie. Wir gehen auch diesen schweren Schritt gemeinsam.“
„Ja, wir müssen über unsere Familie reden. Ich weiß zu wenig über unsere Vorfahren. Für mein Verständnis brauche ich das nun.“
„Unsere Großeltern und Eltern hatten tausend Gesichter, Kriegstreiber und Friedensbotschafter. Doch nun komm, Gabriela, wir treffen endlich unsere Alexa, unser Kind. Wir müssen ihr zeigen, dass wir sie lieben, egal wie wir sie vorfinden. Wir müssen sie in unsere Arme nehmen, sie soll uns spüren.“
Der einsetzende Regen beschleunigte ihre Schritte.
Seit Menschengedenken waberten im Herbst dichte, Rheuma auslösende Nebel vom Donaumoor ins Dorf hoch. Schroffe, hellgraue Kalkfelsen, die hoch und zerklüftet aus der Humusdecke ragten, ächzten Jahr für Jahr unter winterlichen Frosteinbrüchen. Kälte und Nebel konnten von den gleichmäßig gewachsenen, immergrünen Wacholdersträuchern am Hommelberg nicht aufgehalten werden, veränderten in Menschen, was als Seele bezeichnet wurde. Zu allen Zeiten.
Unauffällig an den Aufstieg zur Schwäbischen Alb geklebt duckten sich zwei Dutzend Bauernhäuser einstöckig unter den scharf pfeifenden Westwinden. Keine Wand, kein Dach schützte wirkungsvoll vor überraschenden Temperaturstürzen und Stimmungsschwankungen im kargen Weiler Hattelfingen. Männer und Frauen fühlten sich dem wechselhaften Klima ausgeliefert. Dennoch trotzten sie laut als müssten sie unliebsame Geister verscheuchen:
„Bequem ist für faule Stadtleut“, riefen sich die „Älbler“ zu, wenn sie nach bitter kalten Nächten ihre Laufwege durch meterhohe Schneewehen frei schaufeln mussten. Sicheren Halt gaben klobige, aus Weiden geflochtene und grobem Holz gehobelte Schneebretter. Und dennoch waren Bauern und Knechte zufrieden. Bismarck hatte gerade Deutschland zusammengefügt und der Kanonendonner des ersten Weltkrieges brachte noch lange nicht das Trommelfell zum Zittern.
„Maria“, der Kopfbergbauer hob den gichtkrummen Zeigefinger, „den Händler mit den Kienspänen fürs Licht brauchst nicht mehr auf den Hof zu lassen. Die harzigen Holzspäne zum Licht anzünden sind mit fünf Pfennig pro Bündel mittlerweile zu teuer und qualmen mir zu sehr. Die neuen Petroleumlampen rußen weniger und die Flamme ist hinter dem Glaszylinder sicher.“
„Ist recht Bauer“, war die knappe Antwort und Magd Maria hoffte, dass auch sie in ihre Kammer helleres Licht bekäme. Dann kniff sie die Augen zusammen und schaute nach dem einzigen Fortschritt im Dorf, dem runden, indigoblauen Zifferblatt mit vergoldeten Zahlen am quadratischen, weiß getünchten Wehrturm der bulligen Kirche.
Dieser massig aufragende Fingerzeig bekundete weit sichtbar Hattelfingen. Wären die vier Zifferblätter blaue Augen gewesen, sie hätten durch den dicht und schwefelgelb aus den Schornsteinen quellenden Rauch der Torffeuer geschaut und bunte Bilder überquellender Freude, überschäumender Liebe aber auch tiefem Leid aufgesaugt. In jeder Epoche.
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