Nun ist es so, wir könnten heute sterben oder wir könnten heute nicht sterben – wir wissen es nicht. Wenn wir aber jeden Tag denken: «Ich werde heute nicht sterben», dann täuscht uns dieser Gedanke, denn er entsteht aus unserer Unwissenheit. Wenn wir jedoch stattdessen jeden Tag denken: «Ich könnte heute sterben», dann täuscht uns dieser Gedanke nicht, denn er entsteht aus unserer Weisheit. Dieser Gedanke ist hilfreich, denn er verhindert die Faulheit der Anhaftung und ermutigt uns, uns auf das Wohl unserer zahllosen zukünftigen Leben vorzubereiten oder uns wirklich zu bemühen, den Pfad zur Befreiung zu betreten. Auf diese Weise geben wir unserem Leben als Mensch einen Sinn.
Erlange dauerhafte Befreiung von den Leiden des Todes
MEDITATION
Als vorbereitende Übung rezitieren wir die Gebete für die Meditation und konzentrieren uns dabei auf ihre Bedeutung. Dann kontemplieren wir:
Ich werde mit Sicherheit sterben. Es gibt keine Möglichkeit, meinen Körper vor dem endgültigen Zerfall zu bewahren. Tag für Tag, Moment für Moment zerrinnt mein Leben. Ich habe keine Ahnung, wann ich sterben werde. Der Zeitpunkt des Todes ist völlig ungewiss. Viele junge Menschen sterben vor ihren Eltern. Manche sterben bei ihrer Geburt. Es gibt keine Sicherheit in dieser Welt. Zudem gibt es unzählige Ursachen eines vorzeitigen Todes. Das Leben von vielen starken und gesunden Menschen wird durch Unfälle zerstört. Es gibt deshalb keine Garantie, dass ich heute nicht sterben werde.
Haben wir mehrmals über diese Punkte nachgedacht, wiederholen wir immer wieder den Gedanken: «Ich könnte heute sterben. Ich könnte heute sterben», und konzentrieren uns auf das Gefühl, das dies in uns hervorruft. Wir verwandeln unseren Geist in das Gefühl «Ich könnte heute sterben» und verweilen einsgerichtet so lange wie möglich darauf. Wir wiederholen diese Meditation, bis wir Tag für Tag spontan glauben: «Ich könnte heute sterben.» Schließlich kommen wir zu dem Schluss: «Da ich diese Welt schon bald verlassen muss, ist es sinnlos an den Dingen dieses Lebens zu hängen. Stattdessen werde ich von jetzt an mein ganzes Leben der reinen und aufrichtigen Dharma Praxis widmen.» Dieser Entschluss ist das Objekt unserer Meditation. Wir halten ihn, ohne ihn zu vergessen und verweilen einsgerichtet so lange wie möglich darauf. Wenn wir das Objekt der Meditation verlieren, erneuern wir es, indem wir uns sofort an unseren Entschluss erinnern oder die Kontemplation wiederholen.
Am Ende der Meditationssitzung widmen wir die durch die Meditation angesammelten Tugenden dafür, die Verwirklichung des Todes zu gewinnen und Erleuchtung zum Wohle aller Lebewesen zu erlangen.
In der Meditationspause sollten wir unsere Faulheit überwinden und uns bemühen, Dharma zu praktizieren. Wir erkennen, dass uns weltliche Vergnügen täuschen und davon abhalten, unser Leben auf sinnvolle Weise zu nutzen. Deshalb sollten wir die Anhaftung daran aufgeben. Auf diese Weise beseitigen wir das Haupthindernis für reine Dharma Praxis.
3. DIE GEFAHREN NIEDERER WIEDERGEBURT
Das Ziel dieser Meditation ist, uns zu ermutigen, nach Schutz vor den Gefahren einer niederen Wiedergeburt zu suchen. Wenn wir dies nicht jetzt tun, während wir dieses menschliche Leben mit all seinen Freiheiten und Ausstattungen haben, wird es zu spät sein. Haben wir erst einmal eine der drei niederen Wiedergeburten angenommen, dann ist es äußerst schwierig, erneut ein solch kostbares menschliches Leben zu gewinnen. Es wird gesagt, dass Menschen leichter die Erleuchtung erlangen, als Wesen in den niederen Bereichen, zum Beispiel Tiere, eine kostbare menschliche Wiedergeburt. Diese Meditation ermutigt uns Nichttugend aufzugeben, Tugend zu praktizieren und Zuflucht zu den heiligen Wesen zu nehmen. Das ist der eigentliche Schutz vor einer niederen Wiedergeburt. Nichttugendhaftes Handeln ist die Hauptursache für eine niedere Wiedergeburt, wohingegen Tugend zu praktizieren und Zuflucht zu den heiligen Wesen zu nehmen die Hauptursachen für eine höhere Wiedergeburt sind.
MEDITATION
Als vorbereitende Übung rezitieren wir die Gebete für die Meditation und konzentrieren uns dabei auf ihre Bedeutung. Dann kontemplieren wir:
Wenn das Öl in einer Öllampe verbraucht ist, erlischt die Flamme, weil sie durch das Öl erzeugt wird. Stirbt jedoch unser Körper, erlischt unser Bewusstsein nicht, weil das Bewusstsein nicht vom Körper erzeugt wird. Wenn wir sterben, muss unser Geist diesen gegenwärtigen Körper, der nur eine zeitweilige Behausung ist, verlassen und einen anderen Körper finden, genauso wie ein Vogel sein Nest verlässt, um zu einem anderen zu fliegen. Unser Geist hat weder die Freiheit zu bleiben, noch kann er sich aussuchen, wohin er geht. Wir werden durch die Winde unserer Handlungen oder unseres Karmas (unser Glück oder Unglück) zum Ort unserer nächsten Wiedergeburt geweht. Ist das Karma, das zum Zeitpunkt unseres Todes reift, negativ, dann erfahren wir mit Sicherheit eine niedere Wiedergeburt. Schwerwiegendes negatives Karma führt zu einer Wiedergeburt in der Hölle, mittleres negatives Karma zu einer Wiedergeburt als hungriger Geist und geringes negatives Karma zu einer Wiedergeburt als Tier.
Es ist sehr leicht, schweres negatives Karma zu begehen. Beispielsweise einfach aus Wut eine Mücke zu töten ist die Ursache für eine Wiedergeburt in der Hölle. Während diesem und zahlloser früherer Leben begingen wir zahlreiche schwerwiegende negative Handlungen. Falls wir diese nicht bereits durch aufrichtiges Bekennen gereinigt haben, verbleiben ihre Potenziale in unserem Geisteskontinuum. Jedes dieser negativen Potenziale kann zum Zeitpunkt unseres Todes reifen. An all dies erinnern wir uns und fragen uns: «Wo werde ich morgen sein, wenn ich heute sterbe? Es ist gut möglich, dass ich mich im Tierbereich, unter den hungrigen Geistern oder in der Hölle wiederfinde. Würde mich heute jemand eine dumme Kuh nennen, könnte ich das schwer ertragen. Aber was mache ich, wenn ich tatsächlich eine Kuh, ein Schwein oder ein Fisch – Nahrung für Menschen – werde?»
Wir wiederholen diese Punkte immer wieder. Und weil wir verstehen, wie sehr die Lebewesen, zum Beispiel Tiere, in den niederen Bereichen leiden, entsteht in uns große Furcht vor einer solchen Wiedergeburt. Dieses Gefühl der Furcht ist das Objekt unserer Meditation. Wir halten es, ohne es zu vergessen; unser Geist sollte einsgerichtet und so lange wie möglich auf diesem Gefühl der Furcht verweilen. Verlieren wir das Objekt unserer Meditation, erneuern wir es, indem wir uns sofort an das Gefühl der Furcht erinnern oder die Kontemplation wiederholen.
Am Ende der Meditationssitzung widmen wir die durch die Meditation angesammelten Tugenden dafür, die Verwirklichung der Gefahren niederer Wiedergeburt zu gewinnen und Erleuchtung zum Wohle aller Lebewesen zu erlangen.
Auch in der Meditationspause vergessen wir niemals das Gefühl der Furcht vor einer Wiedergeburt in den niederen Bereichen. An sich ist Furcht sinnlos, doch diese Furcht, die durch die obige Kontemplation und Meditation entsteht, hat immense Bedeutung. Sie entsteht aus Weisheit, nicht aus Unwissenheit. Diese Furcht ist der Hauptgrund, warum wir Zuflucht in Buddha, Dharma und Sangha suchen, die wiederum der eigentliche Schutz vor jenen Gefahren ist. Sie hilft uns, achtsam und gewissenhaft zu sein und nichttugendhaftes Handeln zu unterlassen.
4. DIE PRAXIS DER ZUFLUCHT
Das Ziel dieser Meditation ist, uns dauerhafte Befreiung von niederer Wiedergeburt zu ermöglichen. Zur Zeit sind wir Menschen und frei von niederer Wiedergeburt. Das ist jedoch nur eine vorübergehende Befreiung, keine beständige. Wir müssen so lange in zahllosen zukünftigen Leben immer wieder niedere Wiedergeburt annehmen, bis wir die Zuflucht tief in uns verwirklicht haben. Wir erlangen dauerhafte Befreiung von niederer Wiedergeburt, indem wir uns aufrichtig auf die Drei Juwelen verlassen: Buddha – die Quelle aller Zuflucht, Dharma – die Verwirklichung der Lehren Buddhas, und Sangha – die reinen Dharma Praktizierenden, die uns in unserer spirituellen Praxis helfen. Dharma ist wie eine Arznei, die das Leiden der drei niederen Bereiche verhindert. Buddha ist der Arzt, der uns diese Arznei verabreicht. Sangha sind die Krankenschwestern, die uns unterstützen. Mit diesem Verständnis nehmen wir Zuflucht zu Buddha, Dharma und Sangha.
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