Bald fanden sich auch die letzten Flattergeister und Irrlichter auf den Bäumen am Bachufer.
Die Verständigung der Nachtgesellen untereinander erfolgte durch Blicke, Handzeichen und Kopfnicken, während die Irrlichter Funksignale aussandten.
Setzte die Elfenkönigin zu einer Rede an, reckten die dunklen Männer ihre Schwanenhälse, während Nachtalpen die großen Pinselohren spitzten und Irrlichter aufblinkten.
Missfallen wurde bei den Nagajennen durch Abwinken ausgedrückt, Ablehnung durch Beklopfen der Oberschenkel, teils mit geballten Fäusten.
Als sich die Tanzfläche füllte, machten sich die Schattenjungen einen Spaß daraus, sich im Beinchen Stellen bei Tanzenden zu übertrumpfen, die sich dem Dickicht annäherten. Pfeilschnell sprangen sie hervor und zwischen Elfenbeinen hin und her.
Die hektische Amme, die Mefilux nirgends finden konnte, stand plötzlich wie von Zauberhand oben neben ihrer Königin, als diese die Geburt ihres Kindes ankündigte.
Die Schattenmänner schauten sich ratlos und betroffen an.
Aber Kontrax handelte schnell. Umgehend winkte er Irrlichter und Nachtalpen von den Bäumen, um sie durch Gesten anzuweisen, dem Begleittrupp der Elfenkönigin nachzustellen. Als die Elfen und ihre Verfolger außer Sichtweite waren, zogen sich die Agenten zur Beratung in ein abgelegenes Gebüsch zurück. Währenddessen schlossen Jungen Wetten ab, wann grünes Licht für den Spuk gegeben würde, dem alle entgegen fieberten.
Diejenigen, die auf Pünktlichkeit setzten, nickten sich angetan zu, als noch in der Zeit erste Nachtalpen angeflattert kamen, wenn auch zerzaust und völlig aufgelöst.
Konfilux schlich sich mit zwei Freunden an die Büsche an, um zu belauschen, was ihre Reittiere den Agenten dort mitzuteilen hatten.
Enttäuscht abwinkend kehrten sie zu den Anderen zurück.
„Ein Windgeist hat sie alle in die Flucht geschlagen. Kontrax will abwarten, bis der letzte angekommen ist.“ Konfilux zuckte bedauernd mit den Schultern. „Bevor sie nicht wissen, was bei der Elfengeburt abgelaufen ist, können wir nicht loslegen.“
Die Reaktion fiel gemischt aus. Die wenigsten kehrten wie Mefilux an ihren Platz zurück, sondern mischten sich entweder unter die Männer, die hinter den Brenn-Nesseln in Gruppen beieinander saßen, oder unter die Tanzenden, die sich, überdreht wie sie waren, als willige Opfer erwiesen.
Immer wieder waren Schreckensausrufe zu hören.
Wieder wollte die Zeit für Mefilux nicht vergehen, bis der letzte Nacht Alp wiederkehrte, den sein Papa wie die anderen abfing und im Flüsterton befragte.
Dann zog er sich mit seinen Agenten zur Beratung ins Gestrüpp zurück. Wieder hervortretend wies Kontrax die eine Hälfte und leiser Stimme an, hier zu verweilen, und die andere sollte ihn zur Schattenburg begleiten, um Nagajana von den Ereignissen in Kenntnis zu setzen.
Vor seinem Aufbruch tauschte er sich mit Konfilux aus und übergab ihm Mefilux.
Ein Aufatmen ging durch die Jungenreihen, als sein Papa den anderen Vätern unter den Seinen freies Licht für den Mitternachtsspuk mit ihren Söhnen bei den Buchen gab.
Auf sein Handzeichen bestiegen die Jungen zu zweit einen Nachtalpen.
Lautlos erhoben sich die Flattergeister mit ihren beiden Reitern hoch über die Wipfel.
Die Väter, die die Vor- und Nachhut bildeten, entfalteten mit weit ausgebreiteten Armen mächtige, fächerförmige Flügel in der Luft, schattenschwarz wie ihre Kleidung.
Sie flogen in Windeseile, nahezu unhörbar und unsichtbar durch die Dunkelheit, im Mondlicht verschanzt hinter ziehenden Wolken.
Da sie von ihren Verstecken die Elfenwachtposten wohl bemerkt hatten, waren die Nagajennen auf der Hut und schauten sich immer wieder prüfend um.
Bald bedeutete ihnen die Vorhut durch triumphierendes Zunicken: keine Verfolger in Sicht. Unterwegs malte sich Mefilux in den buntesten Farben die grässlichsten Alpträume mit den tollsten Gruseleffekten für seine Elfenkinder aus.
Er wollte im Jungenschlafsaal der Krippe den kleinen Sengor aufsuchen und später bei den Mädchen dem Nacht Alp bei Sangrina Unterstützung leisten. Die beiden könnten Geschwister sein und hatten sich als erste Wahl erwiesen. Sie waren derart schreckhaft, dass sie bei der leisesten Berührung zusammenzuckten und wie am Spieß nach ihrer Mutter schrien.
Schon von weitem waren die pilzartigen Silhouetten der drei Buchen zu erkennen, die sich im milchigen Mondlicht dunkel abzeichneten.
Bei ihrer Ankunft stellte sich Mefilux grienend die Reaktion der ausgesuchten Kinder auf den grässlichen Entführungstraum vor, der ihm vorschwebte.
Die Truppe verständigte sich durch Kopfnicken und Handzeichen über ihre jeweilige Zielbuche, um sich dort von herunter pendelnden Zweigen in die Schlafsäle gleiten zu lassen.
Vor jedem Baum bezog ein Vater den Wachposten.
Mefilux schwang sich an den Seilen des Korbbettes vom kleinen Sengor herunter. Auf dessen Bettdecke hockend strich er dem Jungen leicht über die Stirn - keine Reaktion. Auch an seinen Lidbewegungen konnte er befriedigt feststellen, dass er tief und traumlos schlief.
Im Versuch, seine Vorstellungen wie einen Film auf den Kleinen zu übertragen, ließ Mefilux Scharen dunkler Gestalten mit furchterregenden Masken anstürmen, die ihn einkesselten und wilde Buschtänze um ihn herum aufführten, bevor sie ihn an den Haaren hochzogen und durch Blitz und Donner im rasanten Flug in ein finsteres Nirgendwo davontrugen.
Dabei hielt er den Jungen stets im Auge, um seine Reaktion zu testen.
Sein Vorhaben schien von Erfolg gekrönt, denn Sengor wurde zusehends unruhiger und fing an, sich schweißtriefend hin und her zu wälzen.
Doch bevor er seinen Alptraum weiterspinnen konnte, wurde Mefilux von hinten unwirsch am Kragen gepackt und sehr hoch gehoben.
Eine tiefe Stimme schnaubte leise triumphierend über ihm:
„Na, was haben wir denn da für ein wackeres Bürschchen? Es macht dir wohl Spaß, kleinen Elfenjungen den Schlaf zu vergraulen?“
8. Walfreds erster Einsatz
In bin a l l e s
umspanne die Weite
durchflute das Meer
begleite die Winde
bezwinge den Sturm.
Ich bin ein Nichts
unter vielen
ein winziger Tropfen
ein flüchtiger Hauch
ein Wurm
der das Erdreich
Steine aufschichtend ertastet.
Doch durchschwingt
jeden Tropfen
der Himmel, das Meer
die Erdensaat sprießt durch
überschreitet
ausgeweitet den Wurm.
Leise fluchend hielt sich Walfred die schmerzende Hand. Der kleine Rabauke, den er zuletzt erwischte, hatte so fest zugebissen, dass der Zahnabdruck zu sehen war und die Wunde zu bluten begann! Das wild um sich schlagende, strampelnde und tretende Bürschchen wäre ihm sonst wohl kaum entwischt. Er sprang hinaus und riss auf der Wiese ein Löwenzahnblatt aus, das er sich mit Spucke befeuchtet als notdürftigen Verband anlegte.
Erstaunt bemerkte er, dass seine Handfläche schwarze Streifen aufwies.
Das konnte nur bedeuten, dass der kleine Schlawiner gar kein echter Nagajenne und nur dementsprechend geschminkt war. Sein Gesicht war im Dunkeln kaum auszumachen; doch war ihm aufgefallen, dass er rundlich war, und beim Zupacken hatten ihn struppige Haare gekitzelt. Das passte alles nicht zu einem Nagajennen!
Wie alt mochte der Bursche wohl gewesen sein? Er wirkte wie ein Kleinkind.
Walfred wischte die Gedanken unwillig fort. Es gab noch viel zu tun.
Er hatte kürzlich die Prüfung zum Wachtmann mit Auszeichnung absolviert und war nun jüngstes Mitglied der königlichen Wachtmannschaft, einer Art Elfenpolizei.
Sein erster Einsatz bei einem hohen Elfenfest erfüllte ihn mit Stolz, und er wollte sein Bestes geben, um die Teilnehmer vor Schaden zu bewahren.
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