Während ich mit Walter gesprochen habe, scheinen Amissa und Damien in ein wichtiges Gespräch vertieft. Sie sitzen im Schatten der Mauer und stecken die Köpfe zusammen. Es sieht vertraulich aus, das freut mich. Benedikte hat recht, sie brauchen nur einen Schubs in die richtige Richtung. Ich hoffe wirklich die Reise wird sie zusammen bringen. Amissa hat nach Bern und das ist dreitausend Tage her, kein Männchen mehr angeschaut, es würde ihr gut tun, Damien näher zu kommen. Wenigsten glaube ich das, ohne Cito kann ich mir mein Leben nicht mehr vorstellen. Ich glaube daran, dass es zu zweit einfach schöner ist als allein. Aber ich bin auch romantisch veranlagt und kuschelsüchtig.
*
„Es ist ja immer noch richtig warm in der Sonne, ach Anorex, ich bin froh, dass wir hinausgegangen sind,“ sagte Joana zu ihrem Mann. Sie bekam keine Antwort, denn ohne jede Vorwarnung waren sie plötzlich von riesigen Ratten umringt, sie hatten nichts gehört und sie auch nicht kommen sehen, auf einmal waren sie einfach da. Joana drückte sich ängstlich an Anorex.
„Was wollt ihr?“ Anorex sprach sie an.
„Sieh mal einer an, die Maus kann sprechen. Was wir wollen? Nun, wir kundschaften euer Land aus, damit wir es später besser überfallen können.“ Die große Ratte hatte einen gemeinen Gesichtsausdruck, Anorex wusste, das konnte nicht gut ausgehen, wenn die Ratte ihre Pläne verriet, würde sie Joana und ihn vermutlich töten, damit sie nicht redeten. Er gab Joana eine Schubs und schrie:
“LAUF!“ Aber sie schaffte es nicht, eine der Ratten hob sie am Genick hoch und schüttelte sie, bis sie ohnmächtig zwischen seinen Pfoten hing.
„Joana...“ er konnte nichts tun, Anorex fühlte sich hilflos und noch kleiner als sonst.
„Den da auch,“ sagte der Anführer und zwei Ratten packten ihn.
„Was sollen wir mit ihnen machen, Hauptmann?“ Wollten sie wissen. Der Hauptmann überlegte kurz.
„Mitnehmen, alle zwei. Wir werden sie daheim gründlich verhören, da wäre es doch gelacht, wenn wir nicht alles über dieses kleine Land herausfinden würden.“ Dann schlug er Anorex hart auf den Kopf und alles wurde schwarz um ihn.
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In der Herberge waren alle in heller Aufregung, Joana und Anorex sind verschwunden. Sie wollten, noch einmal vor dem Winter, frische Sachen zum Essen holen, und sind nicht mehr zurückgekommen. Bene machte sich heftige Vorwürfe.
„Wenn ich den Brunnen nicht hätte reparieren müssen, wäre ich selbst gegangen. Das ist alles meine Schuld, ich hätte verhindern müssen, dass Joana und Anorex Grünzeug sammeln gehen.“ Er raufte sich das Fell.
„Bene, Du kannst nichts dafür, für Anorex war das die willkommene Abwechslung, Du weißt doch, wie gerne er sammelt.“ Auruma versuchte ihn zu trösten.
Das stimmte natürlich, Sammeln war Anorex´ Leidenschaft
„Wir müssen sie suchen!“ Sagte Bene und lief aus dem Bau. Bellusa und Auruma folgten ihm nach draußen. Gemeinsam suchten sie den gesamten Bereich um den Nussbaum ab. Sie gingen sogar noch in den Nutzgarten der Menschen, aber, von Joana und Anorex fehlte jede Spur.
„Wer weiß, was ihnen passiert ist, hoffentlich nichts Schlimmes.“ Sagte Bellusa, aber Bene hatte ein sehr schlechtes Gefühl. Anorex kannte sich hier aus, er lebte schon ewig hier bei Custos, lange bevor sie selbst herkamen, und er hat immer in dieser Gegend gesammelt. Nein, etwas Furchtbares musste passiert sein. Er nahm sich fest vor, wenn er bis heute Nachmittag nichts gehört hätte, einen Spatzen zu Maxi zu schicken.
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Je weiter wir nach Osten kommen, um so mehr hören wir von Deumtineo. Im Osten ist der Informationsfluss geringer, die Leute wohnen weiter auseinander. Die Spatzen fliegen auch eher nach Westen oder Süden. Die Familien hier sind verunsichert, sie wissen nicht, was sie von diesem neuen Gott und dem Teufel halten sollen. Ich kläre sie auf und hoffe, dass sie mich verstehen. Außerdem teile ich ihnen die geänderten Trinkzeiten im Kloster mit.
Eine Familie erzählt uns von einem Einsiedler, er käme ab uns zu vorbei, um beim Abendessen zu schnorren, aber er spricht nicht viel. Man könne ihn immer wieder irgendwo still herumsitzen sehen, aber was er will, weiß niemand. Ich habe noch nie etwas von ihm gehört, und frage wo er lebt. Ganz weit im Osten wahrscheinlich, ist die Antwort. Genauer kann es keiner beschreiben.
Wir machen einen Zwischenstopp bei Bene. Normalerweise genießen wir den Luxus seiner Herberge, er bewirtet uns immer ausgezeichnet. Aber heute sind seine Neuigkeiten verstörend, Joana und Anorex sind spurlos verschwunden. Eine Suche hat nichts gebracht. Auch die Befragung der Anwohner ist ergebnislos verlaufen.
„Was können wir denn noch tun?“ Bene ist total verzweifelt.
„Bene, Du hast schon alles getan, wir müssen einfach abwarten. Mir graut auch schon davor, es Mama zu erzählen, vor allem weil man nichts mehr tun kann außer warten. Ich könnte die Spatzen bitten, auch noch nach ihnen zu suchen, die kommen viel weiter herum als wir.“ Wo sind sie nur? Was ist ihnen passiert?
„Ja, Maxi, das ist wenigstens noch eine Möglichkeit, mach das bitte.“
Danach besprechen wir noch ein paar andere Sachen, ich frage nach dem Einsiedler. Auch hier hat man von ihm gehört, aber beim Clan des großen Nussbaumes ist er noch nicht aufgetaucht. Wir verabschieden uns mit Kummer im Herzen und gehen weiter nach Osten, drei Familien noch, dann geht es wieder zurück Richtung Westen. Ich mache mir Gedanken um Joana und Anorex, was könnte da nur vorgefallen sein?
Alle Familien, die wir noch aufsuchen sind gut versorgt und gesund. Auch sie erzählen vom Einsiedler, aber keiner kennt seinen Namen. Langsam bin ich wirklich neugierig auf ihn, wer er ist, woher er kommt.
Als wir am Rhabarber vorbeikommen sitzt eine Maus reglos in der Sonne. Ich kenne sie nicht, vielleicht der Einsiedler?
„Guten Tag, ich bin Maxi, die Hohepriesterin der Mäuse in diesem Land, wie ist Dein Name?“
Er schaut auf und man hat das Gefühl, er kommt von sehr weit her.
„Entschuldige, ich war in Gedanken. Ich bin Ragnarson, der Sohn von Ragnar, dem Denker, ich komme von weit her aus dem Norden, Hohepriesterin, aber ich habe schon von Dir gehört.“ Ich stelle Amissa und Damien vor und erkundige mich, was er beim Rhabarber macht.
„Ich denke nach, man hat so selten seine Ruhe und hier sah es so friedlich aus, ganz so, als würde ich allein sein können.“ Ich höre einen leichten vorwurfsvoller Unterton heraus. Ich muss lachen.
„Es tut mir leid, wenn wir Dich stören, aber Du sitzt mitten im Zaunweg, es wundert mich, das nicht mehr hier vorbeigekommen sind. Das ist im Sommer ein beliebter Spazierweg.“ Er schaut mich verdutzt an, dann lacht er, ein voll tönendes, fröhliches Lachen, das sehr ansteckend ist.
„Hohepriesterin, es tut mir leid, ich bin schon so lange allein, weil ich mich immer gestört fühle, wenn meine Gedanken unterbrochen werden. Deshalb war ich eben auch etwas unhöflich, ich hoffe Du verzeihst mir, dass ich für einen Augenblick meine Manieren vergessen habe.“ Ich nicke.
„Dennoch würde es mich interessieren, woher genau Du kommst, Ragnarson, ich kenne eigentlich alle Mäuse im Land und wenn nicht, bemühe ich mich sie kennenzulernen. Ich denke, es ist meine Pflicht als Hohepriesterin, alle zu kennen und zu unterstützen.“ Er legte den Kopf schräg.
„Das ehrt Dich, Hohepriesterin, aber ich bin, wie gesagt, aus dem Norden, aus den Bergen dort und nur zu Besuch im Land. In zwei Tagen werde ich zurückgehen, ich glaube, ich weiß jetzt, wie ich meinem Volk vielleicht weiterhelfen kann. Wir werden uns wahrscheinlich nie mehr sehen. Darum, mach Dir keine Sorgen um mich.“
Ich nicke ihm zu und lächle dabei.
„Dann wünsche ich Dir eine gute Heimreise und einen schönen Tag, Ragnarson.“ Ich habe das Gefühl, dass wir ihn wiedersehen werden. Meine Gedanken beschäftigen sich mit Ragnarson. Sein Verhalten war irgendwie ungewöhnlich, ich kann es nicht einordnen.
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