DEINE MUTMACHERIN
ILONA FRIEDERICI
WEISHEITEN DES
LEICHTEN LEBENS
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Copyright der ersten Auflage © 2018 Pro BUSINESS GmbH, erschienen unter dem Titel »Samira, die alte Frau mit dem roten Rucksack«mit der ISBN 978-3-96409-009-6
»Hamanyalas« ist als Wortmarke beim DPMA im Markenregister eingetragen.
Copyright © 2020 Verlag »Die Silberschnur« GmbH
ISBN: 978-3-89845-664-7
eISBN: 978-3-89845-686-9
1. Auflage 2020
Lektorat: Birgit Rentz
Gestaltung & Satz: XPresentation, Güllesheim
Umschlaggestaltung: XPresentation, Güllesheim; unter Verwendung eines Motivs von © Velychko Viktoriia; www.shutterstock.com
Verlag »Die Silberschnur« GmbH · Steinstr. 1 · 56593 Güllesheim www.silberschnur.de· E-Mail: info@silberschnur.de
Prolog
Nichts ist mehr, wie es einmal war
Auf dem Hügel
Träume, Sehnsüchte und Leidenschaften
Sei du selbst
Wiedersehen im Biergarten
Du bist ein Original
Freundinnen
Sprachen der Liebe
Durch die Augen des anderen
Im Eiscafé
Wiedersehen am Bachlauf
Ein Blick über den Rand der Komfortzone
Du bist genau richtig, wie du bist
Der Unfall
Als wäre es der letzte Tag
Ein Abend ohne die Kinder
Weniger ist manchmal mehr
Epilog
Hamanyalas
Danksagung
Die Autorin
Es gibt Momente, die verändern dein Leben. Manche weniger, manche mehr. Was mein Leben außergewöhnlich verändert hat, ist die Begegnung mit Samira. Eine alte Frau, von der ich nicht viel mehr weiß, als dass sie Samira heißt. Zumindest hat sie sich mir so vorgestellt. Das erste Mal begegnete ich ihr vor mehr als dreiundzwanzig Jahren.
Ich saß auf einem großen Felsbrocken an einem breiteren Bachlauf. Es führte kein direkter Weg dorthin, ich war einfach über eine Wiese gelaufen und hatte mich dann durch ein paar Büsche hindurchgeschlichen. Ich suchte einen Ort der Stille, wollte niemanden sehen oder hören, einfach nur allein sein. Völlig am Boden zerstört saß ich da und weinte. Ich hatte wohl schon mindestens das zehnte Taschentuch vollgeschnauft und fühlte mich einfach elend, einsam und verlassen. Meine Welt war zerrüttet, ich sah keine Zukunft mehr. Vor einem halben Jahr hatte ich mit gerade mal sechzehn Jahren meine Mutter verloren, und vor drei Wochen war mein Vater schwer erkrankt. Er sei nun ein Pflegefall, hatte man mir an diesem Tag gesagt, und werde sich nie wieder allein versorgen können.
Die Verzweiflung machte sich in mir breit, und ich wusste nicht mehr, was ich tun sollte. Was wird nun, wo kann ich bleiben? Ich wollte einfach nur weg, es hatte alles keinen Sinn mehr. Das ganze Leben schien mir ohne Sinn und Zweck. Ich fühlte mich so allein und einsam. Überlegte, ob ich von der Brücke springen sollte. An der Talbrücke hatte sich schon einmal jemand umgebracht, das hatte mir mein Freund Toni erzählt. Das wäre doch ganz einfach und ich würde niemandem, besonders nicht meinem Vater, zur Last fallen. Wer würde mich schon noch wollen?
Plötzlich hörte ich eine Stimme hinter mir: »Darf ich mich zu dir setzen, junge Frau?«
Erschrocken drehte ich mich um. Total überrascht, denn ich hatte niemanden kommen hören. Hinter mir stand eine alte, grauhaarige Frau. Sie hatte etwas dunklere Haut, was mir sofort auffiel. Ich konnte nicht erkennen, ob sie Ausländerin war oder einfach nur viel Zeit in der Sonne verbracht hatte. »Oh«, entfuhr es mir, »ich habe Sie nicht kommen hören. Ich dachte, ich wäre hier allein.«
Jetzt überkam mich aber doch kurz die Panik, ich war schließlich ganz ohne Begleitung. Wenn die Frau mir etwas tun wollte, dann hörte mich nicht mal jemand, falls ich schrie. Aber dann lächelte sie mich an, und ohne ein weiteres Wort zu sagen, setzte sie sich neben mich auf den Felsbrocken.
»Wer sind Sie?«, fragte ich. »Was machen Sie hier?«
Daraufhin musste die Grauhaarige lachen. »Das sollte ich lieber dich fragen, Ilona.«
Ich stutzte. »Woher kennen Sie meinen Namen? Kennen wir uns?« Ich konnte mich nicht erinnern, die Frau jemals gesehen zu haben.
»Ich kenne deinen Namen. Ich bin übrigens Samira«, erwiderte sie und reichte mir ihre rechte Hand.
Ich zögerte. Irgendwie war das gerade alles sehr merkwürdig. Samira wirkte unauffällig, trug Jeans, eine Bluse und schlichte Lederschuhe. Diese Schuhe, die Indianer oft trugen, Mokassins. Ihr roter Rucksack wirkte etwas fehl am Platz, er passte meiner Meinung nach so gar nicht zu ihr, zu einer so alten Frau. Aber dann reichte ich ihr doch meine Hand und traute mich, noch einmal zu fragen: »Was machen Sie hier?«
Mir tief in die Augen schauend meinte sie: »Ich bin deinetwegen hier.«
Wieder stutzte ich. »Meinetwegen?«
»Ich bin hier, weil ich Dinge gut sehen kann. Andere Menschen können gut singen oder zeichnen. Und ich kann gut sehen. Sehe mehr aus unterschiedlichen Perspektiven«, erklärte sie.
»Ich versteh nur Bahnhof«, schoss es aus mir heraus. Ich merkte, dass ich unhöflich wurde und mein Ton unangebracht war, aber irgendwie kam mir die Situation ein wenig lächerlich vor. Etwas Misstrauen kam auch noch dazu. Was soll das hier werden?, fragte ich mich.
»Ich werde versuchen, es dir zu erklären, aber vorher lade ich dich zu einem Festessen ein«, sagte Samira, während sie anfing, in ihrem knallroten Rucksack herumzukramen. Zum Vorschein kamen zwei Weizenbrötchen, ein Apfel, der in zwei Hälften geschnitten war, und eine Flasche Wasser.
Hm, dachte ich, unter einem Festessen hätte ich mir aber etwas anderes vorgestellt. Dennoch nahm ich das angebotene Brötchen und den Apfel an. Auf einmal registrierte ich, dass ich sehr hungrig war, zumal ich heute auch noch nichts gegessen hatte. Das war mir vorher noch gar nicht so aufgefallen.
So saßen wir eine ganze Weile nebeneinander und aßen. Eigenartigerweise stellte ich fest, dass ich neben der fremden Frau immer ruhiger wurde. Auch wenn ich mich weiterhin fragte, was das hier eigentlich sollte, entspannte ich mich allmählich.
Nach einiger Zeit des Schweigens fragte Samira mit einem schelmischen Blick in meine Richtung: »Na, wie war das Festessen, junge Frau?«
»Also, ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber unter einem Festessen stelle ich mir etwas anderes vor. Trotzdem vielen Dank.«
»Ja, vielleicht haben wir nicht das Gleiche gegessen. Was hast du denn gegessen?«
Was sollte die Frage? Verwundert antwortete ich: »Wir haben doch beide das Gleiche gegessen.«
»Das finden wir nur heraus, wenn du mir sagst, was du gegessen hast.«
Jetzt war ich verwirrt. »Ich weiß nicht, wie Sie das meinen! Wir haben doch beide ein trockenes Brötchen und jeweils einen halben Apfel gegessen.«
Samira fing an zu lachen. Ich war mir nicht sicher, ob ich jetzt wütend war oder einfach nur genervt. Langsam ging mir das Ganze hier auf den Geist. Ich wollte doch nur meine Ruhe haben. Deshalb hatte ich mich ja durch die Sträucher gequält.
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