»Ich danke Dir, Walter. Ich melde mich.«
Hans Martin und der amtierende Bundespräsident der Republik, Walter Schlinger, kannten sich schon seit vielen Jahren. Als Hans Martin noch im Außendienst arbeitete, war Walter Schlinger als Innenminister bei mehreren Undercover-Operationen sein Vertrauensmann. Die beiden verband auch ein Geheimnis aus dieser Zeit, das Hans Martin den Bürojob im Bundesministerium für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung bescherte.
Beim Gedanken daran kam Hans Martin auch wieder Camilla in den Sinn.
Es wird Zeit, diese alten Geister für immer los zu werden, entschied er. Sein nächster Anruf galt Camilla. Er versprach ihr, am Abend vorbeizukommen.
»Das freut mich, mein grauer Hase. Aber Du klingst so, als gäbe es dafür einen bestimmten Grund?«
»Ja, weil ich gerne bei Dir bin, ganz einfach«, gestand er ihr.
Lisa Paschke war vom Arzt mit einem starken Beruhigungsmittel versorgt und in ihre Wohnung gebracht worden. Sie wohnte mit ihrer Schwester zusammen, die versprach, sich um sie zu kümmern.
Hans Martin beschloss, sie alleine aufzusuchen, damit Gabriele beim Aufbau der Computer anwesend war. Er wurde von Lisas Schwester Lydia begrüßt und in die Küche begleitet.
»Lisa liegt im Schlafzimmer. Trotz der Beruhigungsmittel ist sie nur am Heulen. Es muss schrecklich gewesen sein, was sie gesehen hat.«
Sie reichte Hans Martin eine Tasse Kaffee und stellte einen Aschenbecher auf den Tisch.
»Ich habe von Lisa schon einiges über Sie gehört, Herr Gross. Unter anderem, dass Sie Raucher sind und ein zäher Hund. Deshalb hoffe ich, dass Sie dieses Schwein finden.«
»Das habe ich vor. Lisa und Omar, wie lange lief das zwischen den beiden schon?«, erkundigte er sich. Obwohl er ein sehr umgänglicher Chef war und viel über seine Mitarbeiter wusste, war ihm das Privatleben seiner Kollegen egal. Solange es ihre Arbeit nicht beeinflusste, hielt er sich aus diesen Angelegenheiten heraus.
»Schon über ein Jahr. Zunächst war es nur eine freundschaftliche Beziehung, aber mit der Zeit hat sich Lisa schwer verliebt. Omar war immer recht verschlossen und es hat lange gedauert, bis er sich ihr gegenüber öffnete. Sie haben sich auch fast immer hier getroffen und nur selten in seiner Wohnung. Ich fand das etwas komisch, immerhin wohnt er alleine und wir sind zu zweit hier.«
»Hat Omar jemals erwähnt, dass er in Schwierigkeiten steckt?«
»Nicht zu mir.«
»Dann muss ich mit Lisa sprechen.«
Die Vorhänge im Schlafzimmer waren fast vollständig zugezogen. Hans Martin betrat den Raum und sah Lisa wach in ihrem Bett liegen. Sie wirkte wie ein weinendes Kind, war trotz ihrer achtundzwanzig Jahre von kindlicher Statur. Sie war recht klein gewachsen und auch ihr Gesicht ähnelte mehr einem Teenager, als einer erwachsenen Frau. Hans Martin fiel ihr erster Arbeitstag ein, als sie sich bei ihm vorstellte. Er hatte ihren Ausweis verlangt und ließ sich mehrmals bestätigen, dass diese Person wirklich schon über zwanzig war.
»Hallo Chef. Ich habe schon gewartet, bis Sie kommen und mich ausfragen«, begrüßte sie ihn mit weinerlicher, leiser Stimme.
»Bleib liegen, ich habe nur ein, zwei Fragen dann bin ich wieder weg. Es ist schlimm, was passiert ist und wir arbeiten schon daran, den Mörder zu finden. Hat Omar in letzter Zeit von irgendwelchen Problemen gesprochen?«
Lisa schüttelte den Kopf.
»Wir wollten gestern noch etwas zusammen unternehmen, aber ich hatte schon mit Lydia ausgemacht, dass wir unsere Eltern besuchen. Gestern Abend habe ich ihn nicht mehr erreicht, mir aber nichts dabei gedacht. Omar war öfters am Abend nicht erreichbar. Er hat mir gesagt, dass er dann diese Onlinespiele spielt und dabei sein Telefon nicht hört.«
»Und heute wolltest Du nachsehen, was mit ihm ist, weil er nicht zur Arbeit gekommen ist?«
Lisa nickte, wieder kamen Tränen aus ihren Augen.
»Er hat nicht abgehoben und ich habe mir Sorgen gemacht. Ich bin zu ihm gefahren … einen Schlüssel für die Wohnung habe ich nicht, aber ich weiß, wie man eine Wohnungstür aufbricht. Ich habe geläutet und geläutet und als keine Antwort kam, bin ich hinein …«
Hans Martin fühlte sich unwohl, er wollte sie nicht länger mit den Erinnerungen quälen.
»Schon gut, ruh Dich aus. Du hast natürlich frei, nimm Dir die Zeit. Wenn Dir noch etwas einfällt, kannst Du mich jederzeit anrufen.«
»Bitte Chef, finden Sie den Mörder. Ich will …«
»Versprochen, Lisa. Und jetzt ruh Dich aus.«
Im Vorzimmer sprach Hans Martin noch mit Lydia. Ihm fiel auf, dass sie, obwohl sie jünger als Lisa war, weitaus älter aussah.
»Irgendwie passt Euer Alter nicht zu eurem Aussehen, wenn ich das so sagen darf.«
»Ich weiß, das sagen viele. Ich habe zu Lisa damals gesagt, sie hat den Vorteil bei Omar, dass er ihr wahres Alter kennt. Wenn wir ausgehen, kommt es sehr oft vor, dass Lisa ihren Ausweis zeigen muss. Die Türsteher schätzen sie meist auf sechszehn oder maximal achtzehn.«
»Bitte kümmern Sie sich gut um sie. Sobald es etwas Neues gibt, werde ich mich melden. Lisa soll sich so viel Zeit nehmen, wie sie braucht.«
Vor der Haustür blieb Hans Martin stehen, rauchte und überlegte seine weiteren Schritte. Der Wind hatte zugelegt, womit es noch kälter wurde. Sein nächstes Ziel war das neue Büro, wo inzwischen der Umzug im vollen Gange sein musste.
Im Gegensatz zu dem kleinen, abgenutzten Büro, in dem Hans Martin und Gabriele arbeiteten, war der neue Raum geräumig, hell und einladend. Von den großen Fenstern blickten sie direkt auf den Minoritenplatz und den achteckigen Glockenturm der Minoritenkirche.
Binnen kürzester Zeit waren Schreibtische und Computer in dem leeren Raum aufgestellt worden. Gabriele hatte sich gleich an die Arbeit gemacht, um ihren Computer auf den neuesten Stand zu bringen und die Informationen auszudrucken.
Tobias erschien mit einer Frau an seiner Seite im neuen Büro. Die groß gewachsene Frau fiel sofort durch ihre blasse Haut und ihre großen blaugrauen Augen auf. Sie entledigte sich ihrer Lederjacke, die sie Tobias in die Hand drückte, und präsentierte sich in einem schwarzen Trägerleibchen, das ihr üppiges Dekolleté nicht versteckte. Während sie ihre rotbraunen, schulterlangen Haare nach hinten strich und sich dabei streckte, konnte Tobias den Blick nicht von ihrer Oberweite nehmen.
»Darf ich vorstellen, Mia Kretschmar. Sie wurde uns als Jungermittlerin der SOKO zugeteilt, vor allem um uns bei der Kommunikation mit den Medien zu unterstützen.«
Hans Martin musterte sie kurz ohne Regung.
»Darf ich raten, Du trittst gern in diesem Aufzug auf und sorgst so dafür, dass die Leute eher vom Ausschnitt abgelenkt sind, als von den präsentierten Fakten«, meinte er und deutete auf ihre Oberweite.
»Sorry, aber ich bin nun einmal gut gebaut. Warum soll ich sie verstecken? Tobias hat zum Beispiel seine Augen nur schwer von ihnen losbekommen«, konterte Mia mit tiefer Stimme. Tobias zuckte kurz zusammen und blickte mit hochrotem Kopf zu Boden.
»Aber ich bin wohl nicht wegen meiner Figur hier. Ich arbeite seit drei Jahren als Pressesprecherin und habe vor in den Kriminaldienst zu wechseln. Ich kann abschätzen, wem ich was sagen kann und bin geübt darin, die Medien auf unsere Seite zu bekommen, damit sie das veröffentlichen, was wir wollen.«
»Und Du bist sehr von Dir überzeugt«, stellte Hans Martin fest.
»Ja, das bin ich. Ist das ein Problem, Herr Kommissar?«
»Ich bin kein Kommissar, einfach nur Hans Martin. Darf ich fragen, wie alt Du bist?«
»Zweiunddreißig«, kam die Antwort von Mia wie aus der Pistole geschossen.
Hans Martin strich über seinen Schnurrbart, ging zu seinem Platz und ließ sich in den bereitstehenden Sessel fallen.
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