»Dein Programm zum Ausfiltern der Polizeinachrichten ist zuverlässig und treffsicher. Ich glaube aber, Herr Gross hat wenig Ahnung, was ich ihm erklärt habe.«
Im Gegensatz zu ihrem Auftritt gestern war sie nun in eine dicke Daunenjacke gehüllt.
»Hans Martin will sich nicht wirklich mit Computern auseinandersetzen. Dafür ist er auf anderen Gebieten ...«
»Das wäre meine nächste Frage. Du und Hans Martin, was läuft da? Egal ob Kollegin oder Sekretärin, ihr zwei seid sehr vertraut miteinander.«
»Das stimmt. Hans Martin ist nicht nur mein Chef, er ist über die Jahre zu einem guten, väterlichen Freund geworden. Wir haben auch privat viel Kontakt, zusammen mit unseren Partnern.«
»Verstehe.«
»By the way, mich würde auch etwas interessieren. Hat Tobias Dich ausgesucht?«
»Wenn er mich ausgesucht hätte, dann wahrscheinlich wegen meiner Brüste. Aber es war vielmehr so, dass ich zugeteilt wurde. Von oberer Stelle und selbst für mich überraschend, aber diese Chance konnte ich mir nicht entgehen lassen«, antwortete Mia und verblüffte Gabriele.
»Ernsthaft? Ist das Dein erster Fall?«
»Ja. Ich bin erst mit dem Lehrgang fertig geworden. Ich habe ihn natürlich mit Auszeichnung abgeschlossen, obwohl ich meinem Vorgesetzten mehrmals … Ich hatte Meinungsverschiedenheiten mit ihm und er konnte nicht gut mit Kritik umgehen.«
Gabriele fragte nicht weiter nach, begann aber zu grübeln. Diese SOKO bestand nicht gerade aus den besten und erfahrensten Männern und Frauen, musste sie sich eingestehen.
Die Wohnung lag im zweiten Stock des Altbaus, ohne Aufzug und mit einer breiten Wendeltreppe. Einige Bewohner waren durch die Polizei aufgeweckt worden und standen neugierig in ihren Türen. Hans Martin beachtete sie nicht und überhörte die Fragen. Vor der angelehnten Tür erwartete sie eine Polizistin.
»Tobias Iger, Mordkommission.«
»Nur hereinspaziert. Ich werde diese Wohnung nicht betreten.«
»So schlimm?«
»Wenn meinen Kollegen schlecht wurde, dann ja.«
Hans Martin erwartete ein ähnliches Schlachtfeld, wie in der Wohnung der Reichsfreunde. Im Vorzimmer war noch kein Blut zu sehen, dafür war es verwüstet worden. Ein Kleiderständer lag vor ihm, Schlüssel, Briefe und Schuhe lagen im Raum verteilt.
»Die Wohnung gehört Hannes Hintermayer, 54, Parlamentarier der Grünen. Als ehemaliger Anästhesist zuständig für Gesundheitsfragen. Alleinstehend und unbescholten, soweit ich von Gabriele erfahren habe«, sagte Tobias leise. Ihm war die Nervosität anzuhören. Hans Martin nickte und ging an ihm vorbei in den nächsten Raum. Dort fand er die Leiche des Mannes, dessen Anblick selbst ihn zurückschrecken ließ.
Hannes Hintermayers Körper lehnte kniend an der Couch. Auf dem Holzboden vor ihm stand mit Blut geschrieben: REMEMBER YVONNE. Daneben lag ein abgetrennter Finger in einer trockenen Blutlache.
»Vermutlich wurde damit der Text geschrieben«, überlegte Tobias leise.
Die Hände des Opfers waren mit Kabelbinder hinter dem Rücken festgebunden. Zwei abgebrochene Glasstiele ragten aus seinen Augen. Sie waren offensichtlich tief in ihn hineingerammt worden und gehörten zu zwei Weingläsern, deren restliche Scherben auf dem niedrigen Couchtisch verteilt lagen. Aus den Augen war das inzwischen getrocknete Blut wie dunkelrote Tränen über sein Gesicht geronnen. Der Mund des Mannes war weit aufgerissen, ein gelblicher Schaum füllte ihn aus. Bei näherer Betrachtung erkannte Hans Martin, welches Material verwendet worden war.
»Ihm wurde PU-Schaum in den Mund gesprüht. Montageschaum, der schnell aushärtet.«
»Dann ist der Mann erstickt. Was für ein perverses Schwein hat sich hier ausgetobt?« Tobias war schockiert.
»Jemand mit viel Wut. Jedenfalls wird es nicht leicht, diese Person ausfindig zu machen. Du hast Dir nicht gerade eine einfache Sache für Deinen ersten Fall ausgesucht.«
»Ich weiß. Außer dem Schriftzug scheinen keine Parallelen zu bestehen. Gabriele ist doch so gut am Computer, sie soll alle Opfer bis ins kleinste Detail durchleuchten. Irgendwelche Überschneidungen muss es ja geben.«
Hans Martin sah sich noch weiter um, fand aber keine Hinweise auf den Mörder und seine Motive.
»Lass uns an die Arbeit gehen, Tiger. Erstens fragst Du die Nachbarn aus, ob ihnen etwas aufgefallen ist. Zweitens wird sich Gabriele an ihren Wunder-PC setzen und die Opfer überprüfen und vergleichen. Drittens muss Mia etwas vorbereiten. Wir können das nicht einfach so der Presse vorwerfen, die würden daraus die ärgsten Horrorgeschichten spinnen.«
Hans Martin stand vor Gabriele und den Kollegen und blickte unruhig auf seine Armbanduhr. Camilla war mit seinem Anruf nicht sehr glücklich gewesen, aber sie hatte zugestimmt, alleine mit Juliana zum Rathaus zu fahren. Dort wollte er sie treffen, und zwar in einer halben Stunde.
»Mia, wie sieht es aus? Was hast Du für die Presse?«
Mia erhob sich.
»Wir haben bislang zwei Morde. Ein Büroangestellter aus dem Innenministerium und einen Politiker. Grausige Morde, die aufgrund der brutalen Vorgehensweise und der gefundenen Indizien zusammengehören. Die Suche läuft auf Hochtouren, mehr kann man im Moment nicht sagen. Hannes Hintermayer war bekannt für seine angriffslustigen Wortmeldungen, darauf werden sich die Berichterstattungen konzentrieren. Kein Wort über die Nazigruppe, keine Erwähnung des Schriftzuges.«
»Gut mitgedacht. Damit können wir vorläufig halbwegs ungestört weitermachen. Gabriele, was hast Du?«
Gabriele schüttelte resignierend den Kopf.
»Als wäre das Motiv des Mörders, Leute auszusuchen, die überhaupt nichts gemeinsam haben. Es sind alles Männer, das ist aber auch schon alles. Er geht äußerst brutal vor, die Waffen sind aber zufällig. Die Pistole, mit der Omar erschossen wurde, stammt aus der observierten Wohnung, sie ist auf Andreas Schieder registriert, einem der Neonazis. Brauchbare Fingerabdrücke gibt es bei keinem Tatort.«
Tobias schaltete sich ein.
»Ebenso unerfreulich und unergiebig war die Befragung der Nachbarn. Bei unseren Nazifreunden war es immer laut, bei Omar El Ahmadi war nur kurz etwas zu hören, was den Nachbarn nicht auffällig genug war. Und bei unserem Politiker wurde zwar die Nachbarin durch laute Geräusche munter, aber die waren nach einigen Sekunden wieder vorbei.«
Hans Martin strich sich nachdenklich über seinen Schnurrbart und blickte erneut zur Uhr.
»Gabriele, Du und Mia, ihr durchleuchtet das Privatleben von Omar und Hannes Hintermayer. Alle Mittel sind erlaubt, wenn Du verstehst.«
»Jawohl Chef«, antwortete Gabriele mit entschlossener Miene. Für sie bedeutete das, sich wieder in Datenbanken einzuhacken, auch wenn diese gut gesichert waren. Bislang war sie noch nicht dabei erwischt worden und sie wollte auch, dass es so blieb.
»Tobias, Du erkundigst Dich bei Deinen Kollegen. Gab es ähnliche Fälle, nicht nur in Wien? Sagt jemandem der Text etwas?«
»Ich werde mich sofort darum kümmern.«
»Sehr gut. Ich muss jetzt eine private Erledigung machen und habe nachher noch einen Termin mit dem Bundespräsidenten. Er war so nett und hat diese SOKO ohne viel Papierkram genehmigt. Dafür muss ich ihm noch danken. Wir treffen uns morgen wieder.«
Hans Martin erhob sich und schnappte sich seine Jacke.
»Ach ja, wenn nicht gerade wieder jemand ermordet wird, dann reicht es auch, mich um neun Uhr in der Früh zu wecken.« Dabei blickte er Mia an.
»Jawohl, Herr Gross.«
»Und hör auf mit diesem Herr Gross. Ich weiß selber, dass ich hier der Älteste bin. Nenn mich Hans Martin.«
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