Als er fertig gesprochen hatte, machte er noch einen Schritt auf Naidraug zu und verharrte. Naidraug glaubte in den hellbraunen Augen des Fremden stumme Verzweiflung erkennen zu können. Der junge Mann tat ihm leid und gleichzeitig faszinierte er ihn. Der Fremde hatte ein Schwert, war verzweifelt vor Hunger und traf mitten in der Nacht einen alten Mann, der alleine im Wald an einem Lagerfeuer saß. Viele andere hätten schon längst ihr Schwert gezogen und versucht sich damit ihr Essen zu verschaffen. Doch der Fremde schien nicht einmal mit dem Gedanken zu spielen.
Naidraug griff lächelnd in seine Tasche.
„Natürlich Junge, du kannst etwas von meinem Proviant haben. Setz dich zu mir, du siehst ja ganz abgemagert aus.“
Mit einem Nicken deutete Naidraug auf einen weiteren Baumstumpf an der Feuerstelle. Währenddessen zog er ein Papierpäckchen aus einer seiner Manteltaschen. Er schob das Papier auseinander und enthüllte den Inhalt. Pökelfleisch. Der junge Mann macht unwillkürlich einen weiteren Schritt auf Naidraug zu als der das Pökelfleisch sah. Der Duft des Fleisches breitet sich rasch aus. Das Knurren seines Magens konnte Naidraug bis zu Feuerstelle hören. Dennoch rang, der Fremde mit sich.
„Aber… Ich, ich kann mich doch nicht zu Euch setzen. Ich bin ein Bettler. Ich würde euch nur den Abend verderben.“
„Nicht doch. Du würdest mir nicht den Abend verderben. Ich sitze ohnehin nicht gerne alleine am Lagerfeuer. Deine Gesellschaft würde mich sehr erfreuen.“
„Aber…“
Sein nächtlicher Besucher war hartnäckiger als er gedacht hatte. Er schien sich selbst für schäbig zu halten.
„Nun gut, lass uns einen Handel abschließen. Du bekommst von mir etwas zu essen, wenn du dich zum Lagerfeuer sitzt und mir im Austausch dafür deine Geschichte erzählst. Was hältst du davon?“
Naidraug hielt dem Fremden das Pökelfleisch entgegen und holte mit der anderen Hand noch etwas Brot hervor.
„…Abgemacht.“
Der junge Mann ging mit zögerlichen Schritten auf Naidraug zu und nahm das Pökelfleisch und das Brot entgegen. Danach setzte er sich gegenüber ans Lagerfeuer. Gierig begann er über das Fleisch und das Brot herzufallen. Naidraug sah ihm dabei schweigend zu. Es dauerte nicht lange und Brot und Pökelfleisch waren verzehrt. Der Fremde hob den Kopf und blickte Naidraug über das Lagerfeuer hinweg an. Ob er wohl ein Soldat war? Seine Kleidung und das Schwert würden dies nahelegen. Warum befand er sich aber dann halbverhungert mitten in der Einöde?
„Wie heißt du Junge?“
„Erif“
„Erif. Mein Name ist Naidraug.“
In Erifs Blick lag Dankbarkeit, aber Naidraug konnte auch erkennen, dass dieser noch lange nicht satt war. Naidraug sammelte seine magische Energie und leitete Sie durch seine Beine in die Erde, direkt zu einer Stelle neben Erif. Dort begann nun langsam eine kleine grüne Pflanze zu sprießen. Sie wuchs immer weiter und hatte schon bald die ersten Blätter. Als das Gewächs schließlich so groß wie die Sträucher am Rande der Lichtung war, hörte es auf zu wachsen. Stattdessen bildeten sich kleine Kugeln in verschiedenen Farben an den Ästen der Pflanze. Nach kurzer Zeit konnte man erkennen, dass es sich bei diesen bunten, kugelförmigen Auswüchsen um Früchte handelte.
Naidraug konnte Staunen im Gesicht seines Gegenübers lesen. Als die Früchte ausgereift waren, befanden sich Äpfel, Birnen, Orangen, verschiedene Beerensorten und noch anderes Obst an dem Strauch.
„Ihr seid ein Erdmagier.“
Die Mundwinkel des alten Mannes zuckten nach oben.
„Anscheinend. Bediene dich und versuch deinen Hunger zu stillen.“
Erif griff unsicher nach einem der Äpfel und zog daran. Die Frucht löste sich leicht vom Strauch. Sofort begann dort die nächste Frucht zu reifen. Dies kostete Naidraug zwar magische Energie, allerdings hielt sich diese Anstrengung in geringen Grenzen.
Sein Gegenüber betrachtete den Apfel kurz, bevor er ihn mit wenigen Bissen verschlang. Danach plünderte er den unerschöpflichen Obststrauch.
Naidraug warf währenddessen ein weiteres Stück Holz in die Feuergrube. Als er wieder aufblickte konnte er einen Schatten zwischen den Baumkronen am Rande des Lagerplatzes entdecken. Er versuchte zu erkennen, was sich da im Geäst verbarg doch dazu war es zu dunkel. Der Schatten erhob sich in die Lüfte und bewegte sich anmutig auf die beiden Lagernden zu. Nun konnte Naidraug erkennen was es war. Ein Vogel. Er hatte rotes Gefieder und einen kurzen von goldgelben Federn geschmückten Schwanz. Ein leichter Goldschimmer war in das Federkleid eingewoben. Mit kaum hörbaren Flügelschlägen kam er immer näher. Das Tier war etwa eine Elle groß und hatte einen etwas längeren Hals als die meisten Vögel und einen leicht gebogenen, spitzen Schnabel. Als der Vogel nahe genug war, ließ er sich auf Naidraugs Schulter nieder. Sogar durch seinen Mantel konnte der Erdmagier den sanften Druck der scharfen Krallen spüren. An die Anwesenheit dieser gefiederten Kreaturen hatte er sich mittlerweile gewöhnt. Sie begleiteten ihn seit dem Tag an dem er zum Wächter des Steines geworden war.
Es dauerte eine Weile bis er die Überraschung seines Gastes bemerkte. Erif hielt inne. Er hatte gerade eine angebissene Birne in der Hand. Den Rest der Frucht konnte Naidraug deutlich in seinem Mund erkennen.
Als er den Blick bemerkte schluckte Erif hinunter.
„Ein Feuerfalke. Ich dachte sei sind nur am Tag aktiv.“
Naidraug fuhr dem Feuerfalken sanft über das weiche Gefieder.
„Diese Tiere kümmern sich nicht um die Tageszeit. Sie sind wach wann immer ihnen danach ist. Man könnte sagen, sie unterwerfen sich dem Zyklus von Tag und Nacht nicht.“
„Gehört der Vogel euch?“
„Nein.“, Naidraug lachte leise, “Du musst wissen, dass Feuerfalken sehr intelligente Tiere sind. Sie wissen, dass niemand volle Gewalt über sie hat. Also kann sie auch niemand besitzen. Würdest du einen von ihnen fangen, so gelänge es dir nicht ihn zu zähmen. Egal wielange du ihn bei dir behalten würdest, bei der erstbesten Gelegenheit würde er flüchten.“
„Wie kommt es dann, dass dieser Vogel scheinbar Eure Nähe sucht? Soweit ich weiß sind Feuerfalken sehr scheue Tiere.“
Der alte Mann wandte seinen Blick vom Feuerfalken ab und sah sein Gegenüber eindringlich an.
„Das liegt daran, dass ich etwas habe, was ihm am Herzen liegt.“
Neugier spiegelte sich in Erifs Gesicht wieder.
„Und was ist es?“
Naidraug lächelte entschuldigend.
„Das kann ich dir leider nicht verraten.“
Erif schien nachhaken zu wollen, ließ es dann aber sein und nahm einen weiteren Bissen von der Birne.
„Schade. Aber wie kommt es eigentlich, dass Ihr hier ganz allein in einem Wald sitzt. Habt Ihr denn keine Begleiter?“
„Nein, ich reise alleine.“
„Das ist aber nicht ungefährlich. Habt Ihr denn nichts von den vielen Räuberbanden in dieser Gegend gehört?“
Der Erdmagier erneuerte sein Lächeln.
„Glaub mir, ich weiß mich zu verteidigen.“
„Das glaube ich Euch. Trotzdem solltet ihr vorsichtig sein. Die nächste Stadt ist einige Tage entfernt. Was ist Euer Reiseziel?“
„Genau genommen habe ich kein spezielles Ziel. Ich befinde mich auf der Suche nach jemandem.“
„Verzeiht mir meine Neugier, aber darf ich erfahren wen Ihr sucht oder könnt Ihr mir das auch nicht verraten?“
„Du hast es erraten, auch das kann ich dir nicht sagen.“
Erif seufzte und verschlang den Rest der Birne.
„Nun aber genug von mir. Die Abmachung war, dass du mir etwas über dich erzählst. Hast du deinen Hunger schon gestillt?“
Erif nickte langsam.
„Ja, ich danke Euch vielmals für Eure Großzügigkeit. Also was wollt ihr wissen?“
„Beginne einfach von vorne und lass ruhig die Stellen aus, welche du mir nicht erzählen möchtest.“
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