So saß ich da und wartete auf Karins Rückkehr.
Allzu lange würde es ja sicherlich nicht dauern. Ich glaubte keine Minute daran, dass sie wirklich den weiten Weg bis zu ihrer Mutter fahren würde, nur um mir ein schlechtes Gewissen zu bereiten. Sie würde bald zurückkommen, um sich mit mir einen richtig schönen altmodischen Schlagabtausch zu liefern, da war ich sicher. Wahrscheinlich würde sie mit einem Spruch eröffnen, wie: »Ich sehe gar nicht ein, dass ich zu meiner Mutter fahren soll, nur damit du hier auch noch in Ruhe den Junggesellen raushängen lassen kannst, mein Freund! Ich hab keinen Mist gebaut, Robbielein, das warst immer noch du!«
So was in der Art.
Anschließend würde sie mir dann all die guten Argumente und sorgfältig zurechtgelegten Sprüche um die Ohren hauen, die sie sich ohne jeden Zweifel – während ich arme Sau zuhause saß und auf sie gewartet hatte – vorformuliert haben würde. Komplett mit jeweils passendem Gesichtsausdruck und Tonfall, jeden Einschlag ihrer Satzgranaten auf maximale Wirkung programmiert.
Langsam wurde es dunkel und Karin war noch immer fort. Als der Film um viertel nach acht vorbei, und noch immer kein Lebenszeichen meiner Gattin in Sicht war, machte sich schleichend ein ganz neuer Gedanke in meinem Kopf breit: Sie war vielleicht, nur vielleicht, wirklich zu ihrer Mutter gefahren! Ja, war diese dusselige Kuh denn jetzt völlig übergeschnappt? Scheinbar wollte sie diesen theatralischen Blödsinn tatsächlich bis zum bitteren Ende mit mir durchziehen! Unfassbar!
Na gut. Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Natürlich versuchte ich sofort, sie in Wanne-Eickel anzurufen. Das Gespräch mit dem Domizil meines heißgeliebten Schwiegertieres lief in etwa folgendermaßen ab:
Tuuut..... Tuuuut.....
Tuuut..... Tuuuut.....
»Hauser, hallo?«
»Ja, hallo! Ich bin es, Robert! Grüß dich! Sag mal, ist Karin bei dir? Ich weiß, die Frage muss dir komisch vorkommen, aber...«
»Die Karin ist noch nicht hier, und ich weiß auch nicht genau, wann sie ankommen wird. Aber ihr Bett ist schon frisch bezogen! Sie hatte sich doch zu Weihnachten ein neues Smartphone von dir gewünscht! Ihr altes Telefon fällt ins Spülwasser, in dem meine Tochter deine dreckigen Teller abwäscht, und du vertröstest meine Karin auf den nächsten Sonder-Rabattverkauf? Typisch Buchhalter! Mein Lieber Robert... wenn du ihr damals so ein Ding gekauft hättest, könntest du sie jetzt selbst anrufen und sie fragen, wann sie ankommt! Jedes Kind hat heute so ein Ding! Kein Mensch rennt mehr ohne so ein blödes Handy durch die Gegend, zwölfjährige Mädchen haben so was, aber der Herr Buchhalter schaut natürlich auf die Mark, wenn es um seine Frau geht! In der Fernsehwerbung sagen sie immer für null Euro, Robert! Null Euro! Ist das noch immer zu viel für meine Karin, Robert? Ja? Null Euro sind zu viel für meine Tochter, ja?«
»Äh... ja! Nein! Ich meine natürlich nein! Hör´ mal Margot, kannst du ihr vielleicht was von mir ausrichten?«
KLICK.
Meine Schwiegermutter vertrat schon immer die Meinung, dass ich nicht die richtige Partie für ihren kleinen Engel war. Sie gehörte zu den Vertretern des weiblichen Stereotypen mit bläulich schimmernder Betonfrisur, die nachmittags im „Café Waldblick“ ihren Pudel unter dem Tisch mit Pralinen mästen und den Tierarzt verklagen, wenn die kleine Trixi an Herzverfettung stirbt.
In den vierhundert Jahren meiner Ehe hatte mein Schwiegermonster sage und schreibe vier dieser haarigen Trethupen ihrem Erschaffer zugeführt. Genauso oft hatte sie den Tierarzt gewechselt und hinterher eine regelrechte Hetzkampagne gegen ihn und seine Praxis geführt.
Das einzige Vergehen des jeweiligen Tierarztes hatte darin gelegen, meiner Schwiegermutter immer und immer wieder vorzubeten, dass es einen guten Grund dafür gibt, dass sich Hundefutter gerade unter Hunden solch hoher Beliebtheit erfreut, und Süßigkeiten doch eher was für Menschen seien.
Falls Sie sich die Frage stellen sollten: Nein, ich mochte meine Schwiegermutter nicht besonders. Ich weiß, es ist ein Klischee und wenn man sich hinsetzt, um Seiten mit Buchstaben zu füllen, sollte man sich nicht an der Aufrechterhaltung dämlicher Klischees beteiligen, aber was soll ich machen? Meine Schwiegermutter war ja selbst ein Klischee. Sie hier anders darzustellen, würde einer Lüge gleichkommen.
Dann doch lieber das Klischee.
Karin und ich hatten es bislang immer verstanden, unsere Eltern – und speziell ihre Mutter – aus unseren Diskussionen auszuklammern. Schon während der Flitterwochen waren wir zu dem Entschluss gekommen, es sei besser, unsere kleinen Kabbeleien ausschließlich unter uns auszufechten. Es waren private Dinge, die weder ihre noch meine Eltern etwas angingen. Hätten wir uns nicht immer an diesen Vorsatz gehalten, glauben Sie mir, wir wären schon geschiedene Leute gewesen, bevor wir überhaupt an eine Verlobung gedacht hätten.
Unsere Eltern kannten sich aus dem Kegelclub, doch die Clans der Kruses und der Hausers waren sich nie wirklich grün gewesen. Ich könnte Ihnen da, nur zur Verdeutlichung, die Geschichte von der Sitzordnung bei unserer Hochzeit zum Besten geben.
Die Gäste der Braut, vom Tisch des Brautpaares aus gesehen, links, die Gäste des Bräutigams rechts, und in der Mitte, wo eigentlich hätte getanzt werden sollen, zog sich ein unsichtbarer und unüberwindlicher Graben durch den Festsaal. Wir hätten auf der improvisierten Tanzfläche ebenso gut unter viel Tschingerassabumm den letzten noch lebenden Dodo grillen können, glauben Sie mir, niemand unserer Gäste hätte das Aussterben dieses bemerkenswerten Vogels bemerkt, denn das hätte die Gefahr unmittelbaren Blickkontaktes nach sich gezogen.
Ein tolles Fest war das damals. Sehr gemütlich, wirklich. Doch das nur am Rande.
Und wo stand ich jetzt? Vier Jahrhunderte nach diesem schicksalhaften Tag? So, wie es aussah, stand ich erst mal alleine im Flur.
Karin war verschwunden. Zu ihrer Mutter. Ausgerechnet zu der Pudelplätterin aus dem Ruhrpott war sie geflohen. Zu jedem anderen hätte sie gehen können. Zu einer Freundin, zum Beispiel. Das wäre wunderbar gewesen! Eine Freundin hätte sich verständnisvoll ihren Blödsinn anhören und später als Vermittlerin fungieren können. Aber nein, die ledrigen Fittiche des Drachen mussten es sein. Mutti, eben. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, was jetzt unter der für die Ewigkeit ausgehärteten Dauerwelle dieser Psycho-Oma vorging. Da war natürlich in erster Linie Bestätigung, denn Margot Hauser, die unerschrockene Bezwingerin großer Teile der Wanne-Eickel'schen Hundepopulation, war insgeheim natürlich schon immer der Meinung gewesen, der Pfennigfuchser aus dem Rheinland, dieser seltsamen Gegend, in der sich die Leute einmal im Jahr zum Amüsieren als Cowboy und Indianer verkleideten, und wo billige Süßigkeiten von Anhängern aus in eine besoffen grölende Meute geworfen wurden, sei nicht der richtige Mann für ihren kleinen Engel.
Nun war Karin wieder heimgekehrt.
Der geheime Traum des Köterkillers war nun endlich in der Realität angelangt.
Weitere Versuche, mit Karin Kontakt aufzunehmen, scheiterten auf die selbe klägliche Weise, wie mein erster Anlauf. So gingen die Tage langsam, unendlich langsam, ins Land, und der Termin der Abfahrt der Sonne des Südens rückte unaufhaltsam näher. Der verdammte Kahn sollte am fünfzehnten August auslaufen. Ausgerechnet an meinem Geburtstag. Als ich einige Zeit zuvor im Reisebüro die Buchung für unseren Urlaub klargemacht hatte, deutete ich dieses Datum als Omen. Als den Startschuss für den Neubeginn unserer leicht in die Jahre gekommenen Ehe. Mann und Frau gehen mit Problemen belastet an Bord eines Kreuzfahrtschiffes, welches mit Hilfe der Sonne des Südens zur Rettung ihrer Ehe und einem Wiederbeleben der gegenseitigen Liebe führen sollte.
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