Abschließend fügte sie noch hinzu, dass man ja ohnehin nichts machen könne, so lange die Politiker alles aussäßen und nicht zu Potte kämen, schämen müsse man sich so langsam, und dann fragte Sie mit dem geübten Blick einer Frau, die jahrelang in der Kantine des Landesvermessungsamtes gearbeitet hat, ob Karin mit ihrem neu gepflanzten Rosenbusch auch tatsächlich die vorgeschriebenen fünfzig Zentimeter Abstand zum Grenzzaun eingehalten habe.
Wir lachten uns schlapp bei der Vorstellung, wie die alte Kampnagel mitten in der Nacht bei gelöschtem Licht am gekippten Fenster saß, um den Krimi nebenan in allen Details mitzubekommen, damit auch nur nichts an verwertbaren Informationen verloren ginge.
Jedenfalls spürte ich so etwas wie ein Gefühl der Einigkeit zwischen uns. Alles war in Ordnung und die Atmosphäre schien einfach perfekt, um in dieser Situation häuslichen Friedens die Katze aus dem Sack zu lassen. Ich konnte die Rufe der Tickets, die ich jetzt in einem Briefumschlag in meinem Arbeitszimmer versteckt hielt, förmlich hören. Jetzt war der Moment für den ganz großen Hammer gekommen. Wir verstanden uns prima, wir redeten sogar miteinander, wir waren – wie man so schön sagt – auf einer Wellenlänge. Sie freute sich darauf, zuzuschauen, wie ich unserem Garagentor zu neuem Glanz verhelfen würde? Ich würde ihr etwas geben, worauf man sich wirklich freuen konnte.
Sommer, Sonne, Schirmchendrinks! Wenn ich ihr die Tickets jetzt nicht zeigen würde, wann dann?
Ich entschuldigte mich kurz, lobte wohl zum dritten Mal an diesem Abend ihre Kochkünste, murmelte möglichst nebensächlich irgendwas von wegen »Ich bin gleich wieder da... muss nur schnell was nachsehen...« und holte den Briefumschlag. Sein Innenleben bestand, neben den beiden Tickets, aus einer Hochglanzbroschüre mit wunderschönen Fotos der Ziele, die wir auf unserer Route anlaufen würden, einer Landkarte, auf der ich schon mal den etwaigen Verlauf der Kreuzfahrt eingezeichnet hatte, sowie einem beeindruckenden Foto unseres Schiffes, der Sonne des Südens. Welch passender Name.
Als ich wieder den Raum betrat, tupfte sich Karin gerade mit einer Papierserviette etwas Soße aus dem Mundwinkel und nahm noch einen Schluck Wasser.
»Ist alles okay, Schatz?«
»Ja, alles gut. Ich war nur schnell im Arbeitszimmer, etwas nachsehen. Oder besser gesagt: Ich wollte etwas holen.«
Ich versuchte, möglichst geheimnisvoll dreinzuschauen und machte eine völlig übertriebene Geste, wie ein Magier, der vor einem faszinierten Kindergartenpublikum einen Strauß Blumen unter einem Tuch hervorzieht, doch sie war schon wieder mit ihrem Abendessen beschäftigt und bekam von meinen Bemühungen überhaupt nichts mit. So verharrte ich in affiger Pose im Esszimmer und wartete darauf, dass Karin zu mir hochschaute, doch als sie nach etwa fünf Sekunden noch immer mit Ihren Gemüse beschäftigt war, kam ich mir blöd vor und setzte mich zurück zu ihr an den Tisch.
»Hhm.«
»Du, Karin...?«
Sie schaute auf. »Ja?«
»Also... ich...«
»Robert, ist wirklich alles in Ordnung mit dir? Du bist auf einmal so komisch...«
»Ja, alles in Ordnung! Wirklich! Es ist nur... Na ja... Weißt du, unser Streit neulich hat mich ganz schön ans Nachdenken gebracht, und ich wollte...«
Sie lächelte verständnisvoll. »Robert, es ist schon gut! Du hast es ja auch irgendwie gut gemeint, und ich kann auch verstehen, dass du mal eine anständige Reise machen wolltest. Lass es gut sein, Schatz, okay? Jetzt komm her und iss auf. Ich denke, es schmeckt dir so gut...«
»Ja, tut es auch. Sehr lecker. Wirklich.«
Ich setzte mich und nahm noch einen Bissen, dann legte ich mein Besteck wieder hin und platzierte ohne ein weiteres Wort den Umschlag auf den Tisch zwischen uns.
Karin schaute verdutzt. »Was ist denn in dem Umschlag?«
»Ich habe da eine Kleinigkeit für dich, Schatz.«
Sie schien erfreut. »Was? Ach, Robert! Du sollst doch nichts für mich...«
»Es ist eigentlich etwas mehr als nur eine Kleinigkeit. Aber nach unserem Streit dachte ich, wir sollten einfach mal Ruhe einkehren lassen und uns selbst einen kleinen Tapetenwechsel verordnen, weißt du?«
Karin war noch immer mit ihren Kartoffeln beschäftigt. Sie nahm sich noch ein Stück, und noch während sie kaute, legte sich ihre Stirn in Falten. »Sag mal, was genau meinst du denn mit Tapetenwechsel?«
Es lag unzweifelhaft etwas Skeptisches in ihrer Stimme, aber immerhin hatte sie noch nicht ihr Besteck niedergelegt. Es war noch immer ein nettes Gespräch beim Abendessen. Nichts weiter. Trotzdem machte sich bei mir langsam Verunsicherung breit.
Der Umschlag lag noch immer unangetastet zwischen uns auf dem Tisch. Karin schien ihn absichtlich zu ignorieren.
»Tapetenwechsel? Was ich damit meine? Na, ja... Ich dachte halt, jetzt sind wir schon so lange zusammen und haben noch immer nichts von der Welt gesehen, meinst du nicht auch? Und du hast ja selbst gesagt... du weißt schon... Das verlängerte Wochenende oder die Tour mit dem Auto... und... also, da dachte ich, wenn du doch auch so urlaubsreif bist, wie ich... ähm..., dann sollten wir es auch gleich richtig angehen! Ich meine, der Moment ist günstig, das Geld ist da, und auch, wenn ich noch was drauf packen musste, denke ich, du wirst dich freuen.«
Ich tippte auf den noch immer unbeachtet zwischen uns liegenden Briefumschlag.
»Hier, mein Schatz. Für dich! Schau doch mal rein!«
Sie legte langsam, sehr langsam, ihr Besteck auf den Teller und schaute mich nachdenklich an.
Dann schaute sie auf den Umschlag.
Dann wieder zu mir.
Sie nahm die Serviette, tupfte sich den Mund ab und legte sie auf ihren Teller. Sie nickte in Richtung des Umschlags.
»Robert, was ist das?«
Ihre Stimme zischte leise. Es klang ein wenig nach einem angerissenen Streichholz in einer Feuerwerksfabrik.
»Was ist was?«
»Verkauf mich nicht für blöd, Robert. Der Umschlag. Ich will von dir wissen, was in dem komischen Umschlag ist.«
»Mach ihn doch mal auf! Ist für dich! Oder auch für uns, wenn du so willst!«
Karin schob den Teller beiseite und nahm den Umschlag an sich. Sie klappte ihn auf und zog langsam eines der Tickets so weit hinaus, dass der Bug eines Schiffes sichtbar wurde.
»Tataa!«, rief ich.
Karin stand auf und sagte: »Ja. Tataa. Heute kannst du ja mal abräumen, wenn es dir nicht allzu viel ausmacht.«
Mit diesen Worten rauschte sie an mir vorbei und verschwand im Schlafzimmer.
Karin fuhr nicht mit mir in die Karibik. Sie fuhr zu ihrer Mutter nach Wanne-Eickel, was ja auch ein schönes Fleckchen Erde sein soll.
Innerhalb weniger Minuten hatte sie ein paar Klamotten in den alten Koffer gepackt. Dann hatte sie ihre Mutter angerufen, den Bahnhof angerufen, ein Taxi bestellt (wobei sie betonte, sie würde unten an der Ecke auf den Wagen warten) und schließlich – ohne sich auch nur noch einmal umzudrehen – die Tür hinter sich zu geknallt. Das alles ging so schnell, dass ich noch immer, mit meiner Serviette in der Hand, in der Diele stand und nach passenden Worten suchte, um einer Situation zu begegnen, die längst vergangen war.
So schnell kann es gehen. Gefühlte vierhundert Jahre Ehe. Und jetzt war sie weg.
Nachdem ich noch eine ganze Weile lang die geschlossene Tür vor mir bestaunt hatte, entschloss ich mich, Karin ein wenig Zeit zum Nachdenken zu geben. Irgendwie konnte ich sie sogar verstehen. Ich meine, schließlich hatte sie ja so reagieren müssen, wollte sie mir gegenüber ihr Gesicht nicht verlieren. Okay, sie war dagegen, das Geld auszugeben. Okay, wir hatten darüber geredet. Okay, ich hatte noch ganz schön draufzahlen müssen. Okay, sie war sauer. Okay, das Ding war nach hinten losgegangen.
Okay, okay, okay.
Ich ging ins Wohnzimmer, setzte mich auf die Couch und legte die Tickets vor mir auf den Tisch. Diese dämlichen Papierschnipsel hatten mir eine Menge Ärger eingehandelt. Den größten Ärger seit dem Bestehen unserer Ehe.
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