>>Vor zwei Monaten erzählte Ulfmarr mir etwas Ungewöhnliches. Der Kapitän eines römischen Schiffes hatte seine Tochter mit. Ich glaube ihr Name war Melina. Sie überwachte die Übergabe der Ladung. Gunnrik als mein Ältester war für den Hafen und die Ladungen zuständig. Soweit ich weiß, traf er sie. Ulfmarr sah die beiden zusammen, wusste aber keine Einzelheiten, wie er sagte. Einen Tag später legte das Schiff ab und das war auch der Tag, an dem er sich plötzlich verändert hatte. All der Ärger und die Trauer müssen mich blind gemacht haben. Aber...all das wegen einer Frau?.<< er schüttelte den Kopf
>>Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.<<
Grimnir sah ihn ruhig an und zuckte mit den Schultern >>Wer weiß? Menschen sind manchmal unberechenbar, wenn es um die Liebe geht.<<
>>So viele Menschen sind täglich in meiner Stadt. Schiffe kommen und fahren. Wenn es so gewesen sein sollte, wieso konnte er dann nicht mit mir reden? <<
>>Vielleicht hatte er Angst, dass du ihm seine Gefühlsduselei als Schwäche auslegst. Vielleicht glaubte er, dass du ihn nicht mehr für einen guten Anführer halten könntest. Gründe, die Menschen in die Verzweiflung treiben, können vielfältig sein. Aber das sind alles nur Spekulationen und Hirngespinste. Ásgeirr war möglicherweise nur ihr wahrer geliebter. Wir können nicht wissen, ob es wirklich so war. Und auch ich werde jetzt wieder meiner Wege gehen. Vielleicht kreuzen sich unsere irgendwann wieder.<<
Inzwischen waren von dem Moorhuhn nur noch Knochen übrig. Grimnir nahm Erde vom Boden auf und warf sie in das Feuer, um es zu löschen. Nachdem es nur noch glimmte trat er ein paar mal mit seinem Fuß darauf, bis alles aus war.
Valdr reichte Grimnir zum Abschied die Hand.
>>Mögen die Götter dich schützen. <<
Grimnir seinerseits tat dasselbe und wünschte Valdr von Herzen alles Gute. Der Fürst hob noch schnell den angespitzten Speer auf, doch Grimnir war schon fort. Es schien als hätte er sich einfach ins Nichts aufgelöst. Gerade so wie der Nebel, der scheinbar zusammen mit Grimnir verschwunden war.
Als Valdr gegen Mittag zur Festung zurückkehrte, schien zunächst alles wie immer zu sein. Männer behielten von den Wehrtürmen aus die Umgebung im Blick und beäugten auch Valdr skeptisch, als sich dieser der Stadt näherte, trug er doch noch immer den alten Umhang und hatte sich bei seiner Rückkehr die unscheinbare Kapuze tief ins Gesicht gezogen. In den alten, verschlissenen Kleidern, mit denen er sich am Morgen hinausgeschlichen hatte, erkannte ihn niemand sofort. Doch Normalität schien nur außerhalb der Stadttore zu bestehen. Es herrschte heller Aufruhr, als er die Festung durch das nördliche Tor betrat. Etwas war während seiner Abwesenheit geschehen, dass spürte er deutlich. Er versuchte in der Masse seinen Sohn zu finden, während ein Großteil seiner Krieger versuchte die Leute zu ordnen, die begannen sich um seinen Sohn Ulfmarr zu scharen. Alle sprachen durcheinander.
Der Fürst schlug seine Kapuze zurück, löste die bronzene Fibel, die den Umhang zusammen hielt und ließ seine Verkleidung auf den Boden fallen. Darunter trug er sein eigentliches Gewand: eine mit blauen Borten verzierte, grüne Tunika aus fein gewebtem Wollstoff, eine einfache Hose aus Leinenstoff und einen grauen Mantel aus grober Wolle, der ebenfalls mit bemusterten Borten verziert war und von einer runden Bronzefibel vor seiner Brust zusammen gehalten wurde. An seinem Gürtel hing ein Schwert, ohne das er die Stadt niemals verlassen hätte. Es erinnerte an die römischen Schwerter, auch Spathae genannt. Im Schwertheft, dem Griff, waren Messing, Holz und Hornteile verarbeitet. Es besaß eine kurze Parierstange und war länger als die römischen Schwerter. Anders als die Spathae der Römer besaß es zwei Schneiden und eine ausgeprägte Hohlkehle.
Als Ulfmarr seinen Vater unter den ganzen Menschen erkannte, verschaffte er sich mit den Armen Platz, wobei er beinahe eine junge Frau mit ihrem Kind zu Boden gestoßen hätte. Doch er bemerkte seinen Fehltritt noch rechtzeitig und konnte schlimmeres verhindern, indem er mit einer Hand die Frau und mit der anderen ihre Tochter von vielleicht vier Jahren fest hielt. Dabei löste sich versehentlich eine der Fibeln, die das Gewand der jungen Frau über ihren Schultern zusammen hielt, und gab auf diese Weise den Blick auf ihr schlichtes, naturfarbenes Leinenunterkleid preis, das knapp über ihren Knöcheln endete.
>>Bitte verzeih.<< entschuldigte Ulfmarr sich und hielt die Hände der jungen Frau.
>>Schon in Ordnung.<< erwiderte sie kühl und wagte nicht Ulfmarr in die Augen zu sehen. Sie war angespannt, das konnte er deutlich spüren. Langsam zog sie ihre Hände zurück, drehte sich weg und ging.
Ulfmarr wollte sie aufhalten, doch dann ließ er sie ziehen als er seinen Vater auf sich zukommen sah.
Valdr schien nicht amüsiert über die Situation zu sein. Nur selten hatte er so ein Chaos in seiner Festung erlebt. Der Fürst sah seinen Sohn mit einem Blick an, der ernster nicht hätte sein können.
>>Was passiert hier?.<<
>>Ich weiß es nicht genau. Aber es hat wohl etwas mit dem Einsiedler aus den Mooren bei Fallward zu tun. Der Figurenschnitzer. Jedenfalls wurde es mir so gesagt. Ich habe den Mann vorhin gesehen, kurz bevor der Aufruhr begann.<<
>>Ist der hier?.<< wollte Valdr wissen, da stieß auch schon Bjorn, ein Rohling, aber einer seiner loyalsten und fähigsten Krieger, dazu.
Ulfmarr mochte Bjorn nicht. Er mischte sich seiner Meinung nach viel zusehr in familiäre Dinge ein, die ihn nichts angingen. Außerdem stellte er ständig seinen Schwestern nach, die offenkundig kein Interesse an dem Mann hatten. Aber, und das musste Ulfmarr sich eingestehen: Bjorn war durchaus ein fähiger Mann. Führungsstärke, Urteilsvermögen, die Fähigkeit mit Worten gut umzugehen und andere von seinen Zielen zu überzeugen, waren sicher Bjorns herausragendste Stärken. Aber auch Gefühlskälte und Gleichgültigkeit wurden ihm nachgesagt. Er wirkte auf andere oft einschüchternd, denn mit seinem schulterlangen, rotbraunem Haar, den dicken, buschigen Augenbrauen und dem dichten Vollbart wirkte er neben seinen breiten Schultern auf viele wie ein großer Bär, der sich bedrohlich vor seinen Feinden aufzurichten vermochte.
Nichtsdestotrotz hatte Ulfmarr nicht die Antworten parat, die der Fürst hören wollte, also wandte er sich an Bjorn, den Bären.
>>Was ist hier los?.<<
>>Der Einsiedler, Herr.<< begann Bjorn mit seiner gewohnt brummigen Stimme und hob die blutverschmierten Hände, nachdem er sein Schwert zurück in den Gürtel gesteckt hatte.
>>Er hat jemanden ermordet. Arnulf und einige andere bringen ihn und sein Opfer gerade zum Thingplatz.<<
>>Wer ist der Tote?<< hakte Valdr nach, während er Bjorn von oben bis unten musterte. Der Fürst konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass der alte Mann, der etwa sein Alter haben musste und noch dazu in den Mooren hauste, fähig war, einen Mord zu begehen.
>>Es ist ein Mann namens Ottmar. Er ist Händler und kommt ein- bis zweimal im Monat mit einem großen Karren her, um am Hafen seine Waren anzubieten. Meist begleiten ihn dabei Frau und Kind.<< erklärte Bjorn und wischte sich sie blutigen Hände an seiner Kleidung ab.
Valdr nickte kühl und sah zu seinem Sohn.
>>Berufe das Thing ein.<<
Die Thingstätte Fabiranums war Teil des zentral gelegenen ehemaligen Stabsgebäudes. Im hinteren Teil gab es einen kleinen Raum, der einst das Fahnenheiligtum gewesen war, wo sich nun aber ein Götteraltar befand. Normalerweise verbot Valdr, dass Frauen am Thing teil nahmen. In diesem Fall aber musste er eine Ausnahme machen, da Frau und Kind vielleicht etwas von den Geschehnissen gesehen hatten und wichtige Zeugen waren. Trotzdem war es ihnen nicht erlaubt selbst zu sprechen. Für solche Fälle gab es immer den sogenannten Fürsprecher. Ulfmarr bot sich gleich dafür an. Obwohl es auch jeder andere von Valdrs Männern hätte tun können bestand Ulfmarr darauf. Also ließ Valdr ihn gewähren.
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