„Iaahh.“ Der Esel hob den Kopf und sah Befana entgegen. Ob er sich wohl noch daran erinnerte, dass sie seine Wunde geheilt hatte? Beim letzten Gabenbringer-Treffen hatte einer der Schimmel, mit denen Sinterklaas und sein Gefolge reisten, den alten Esel in den Hals gebissen. Die Wunde hatte stark geblutet und Befana hatte Kräuter auf die Wunde gelegt, damit sie sich nicht entzündete.
„Na Grauer, wollen die anderen immer noch nichts mit dir zu tun haben?“, fragte sie ihn und kraulte ihn hinter seinen langen Ohren. „Erkennst du mich noch, ich bin‘s, Befana.“ Beim letzten Treffen hatte sie den alten Esel oft besucht und ihm ihr Leid geklagt. Er hatte zugehört, stumm und, wie ihr schien, verständnisvoll. Denn er war genauso allein wie sie. Die Pferde und Kamele hatten Abstand gehalten. Sie hatten hochmütig auf den Esel herabgeblickt und sich über ihn lustig gemacht. Wenn er versuchte, sich ihnen zu nähern, traten sie aus oder galoppierten einfach davon. Der alte Esel schien einen Moment nachzudenken. „Iaah“, antwortete er dann. Er machte einen Schritt auf sie zu, stupste sie mit seiner Nase vorsichtig an und hielt ihr seinen Hals hin. Der Biss hatte eine Narbe hinterlassen. Das Fell war an dieser Stelle nicht mehr nachgewachsen. Befana streichelte sanft über die Stelle. Der Graue hielt einen Moment still, dann versuchte er, seine Nase in die Tasche ihrer Jacke zu stecken. Befana lächelte.
„Daran erinnerst du dich also auch noch. Aber ich habe jetzt keine Mohrrübe dabei, ich bin gerade erst gelandet, weißt du. Aber ich komme morgen wieder und bringe dir was mit, versprochen.“ Der alte Esel nickte verständnisvoll und blies ihr seinen warmen Atem ins Gesicht.
Befana trat in die Hotelhalle und schaute sich um. Keine Frage, der Verband hatte sich nicht lumpen lassen. Kein Vergleich zu dem alten schäbigen Gasthaus, in dem damals die erste Versammlung stattgefunden hatte. Befana betrachtete sich kritisch in einem der raumhohen Spiegel, die die Eingangshalle größer und weiter erscheinen ließen: Sie war eindeutig underdressed. Ihre langen Haare quollen wirr unter dem Schal hervor, den sie sich um Hals und Kopf geschlungen hatte. Die gefütterte Lederjacke, die sie immer beim Fliegen unter dem Flugumhang trug, war zwar sündhaft teuer gewesen. Sie hatte sie von einer der besten Ledernäherinnen anfertigen und mit Schaffell füttern lassen, damit sie beim Fliegen in den langen Winternächten nicht fror. Aber nach so vielen Jahren sah die Jacke recht abgetragen aus. Ihr Kleid war nach dem langen Flug verknittert und auch ihr Rucksack hatte schon bessere Zeiten hinter sich. Aber er war praktisch und geräumig, es passte alles hinein, was sie für ein paar Tage brauchte. Vielleicht hätte sie für den Aufenthalt in diesem Hotel doch ein paar mehr Sachen einpacken sollen. Aber der Koffer, den sie gekauft hatte, ließ sich auf dem Besen nur schlecht transportieren, obwohl er ausdrücklich als Hand- und Fluggepäck angepriesen worden war.
Befana schüttelte den Kopf, als könne sie so die lästigen Gedanken abschütteln. Beim Fliegen kam es nicht auf Schönheit an, sondern es musste warm und bequem sein. Und schließlich war sie nicht zu ihrem Vergnügen hier, sondern zu einem Arbeitstreffen – wenn auch in einer angenehmen Umgebung.
Sie ging zum Empfangsschalter. Der Portier tippte eifrig auf seinem Smartphone und bemerkte sie gar nicht.
„Guten Abend, Signore“, grüßte sie freundlich.
Der junge Mann sah gelangweilt hoch und musterte sie abschätzig von oben bis unten.
„Wir brauchen keine Putzfrau“, sagte er dann. „Und außerdem müssen unsere Mitarbeiterinnen ihre Arbeitsgeräte nicht mitbringen. Ihr Besen wäre ohnehin nicht zur Reinigung unserer Räume geeignet. Wir haben fast überall Teppichböden.“
„Ich …“, stotterte Befana, aber der junge Mann ließ sich nicht unterbrechen.
„Wir brauchen wirklich niemanden, junge Frau. Verlassen Sie bitte das Hotel“, forderte er sie jetzt energischer auf.
Befana hob die Augenbrauen. Früher hätte sie ihm einen Hexenschuss verpasst, aber das war guten Hexen durch die Blocksberger Konventionen längst verboten. Befana seufzte. Manchmal bedauerte sie es wirklich, eine gute Hexe zu sein. Sie überlegte kurz, ob sie nach draußen gehen, sich ins Smartphone des Jünglings einhacken und es lahmlegen sollte. Da sie das bei vielen Handys ganz ohne Zauberei schaffte, verstieß das nicht gegen die Regeln für gute Hexen, die einzuhalten sie sich verpflichtet hatte. Doch dazu hatte sie jetzt keine Zeit. Anders als die junge Frau aus dem Arbeitskreis IT, die ihr den Umgang mit Computern beigebracht hatte, brauchte sie dazu noch ziemlich lange. Jetzt wollte sie duschen und sich umziehen, um pünktlich zum Abendessen im Speisesaal zu sein. Sie hasste es, wenn Leute zu spät zum Essen kamen und die Gerichte warmgehalten oder gar aufgewärmt werden mussten. Außerdem wollte sie den drei Königen keinen Anlass zu weiteren blöden Bemerkungen geben.
„Junger Mann“, sagte sie mit strenger Stimme. „Sie brauchen wohl eine Brille.“
Der Portier sah sie fragend an. Mit so viel Widerstand hatte er nicht gerechnet. Ältere Frauen, die so ärmlich aussahen, zogen sich meist zurück, sobald sie energisch aufgefordert wurden.
„Mit einer richtigen Brille würden Sie sicher sehen, dass ich keine junge Frau mehr bin. Und im Übrigen: In einem solchen Hotel hätte ich besseres Benehmen erwartet – und mehr Respekt“, sagte Befana streng.
Der junge Mann wurde rot und sah sich um, ob sein Chef in der Nähe war. Der legte großen Wert auf gutes Benehmen, auch gegenüber Lieferanten und Leuten aus dem Dorf.
„Entschuldigen Sie, Signora“, sagte er kleinlaut. „Es tut mir wirklich leid, aber wir brauchen niemanden. Versuchen Sie es doch mal bei dem Bio-Bauern auf der anderen Seeseite, der uns frische Milch, Käse und Eier liefert. Der sucht eine Frau, die ihm den Haushalt führt und ihm in der Käserei hilft. Da können Sie sicher auch wohnen“, sagte er etwas freundlicher und wandte sich wieder seinem Smartphone zu.
„Sie sind wohl nicht von hier?“, fragte Befana.
Der Portier schüttelte den Kopf. „Nein, ich komme aus Deutschland. Ich studiere Tourismusmanagement und mache hier ein Praktikum. Um Auslandserfahrung zu sammeln und natürlich auch, um die Sprache zu lernen“, erzählte er eifrig.
Befana nickte. „Das ist eine Erklärung, aber keine Entschuldigung, junger Mann“, sagte sie streng. „Wenn Sie aus Italien wären, würden Sie mich kennen. Ich bin Befana, die Weihnachtshexe. Ich nehme am internationalen Gabenbringer-Treffen teil. Für mich ist ein Zimmer reserviert.“
Der junge Mann starrte sie mit offenem Mund an. „Bbbitte entschuldigen Sie, Signora Befana!“, stammelte er verlegen und zupfte verlegen an seiner Krawatte. „Ich, ich ...“
„Ich gebe zu, ich bin für dieses Hotel sicher nicht ganz passend gekleidet. Und mein Besen eignet sich überhaupt nicht zum Fegen. Er hat ganz andere Qualitäten“, kam Befana ihm zur Hilfe. „Aber es war nett von Ihnen, dass Sie mir einen Job und eine Unterkunft vorgeschlagen haben. Maria, Josef und das Baby hätten sich damals über ein solches Angebot sicher gefreut."
Der junge Mann sah sie verwirrt an und schaute auf den Monitor, der vor ihm auf dem Tresen stand. „Ihr Zimmer ist gebucht, Signora Befana“, sagte er dann freundlich. „Zimmer 413, mit Seeblick, direkt neben der Dachterrasse. Aber sonst kann ich niemanden finden. Maria, Josef und ein Baby sagten Sie?“, fragte er nach und schüttelte dann bedauernd den Kopf. „Tut mir leid. Für die drei ist definitiv kein Zimmer reserviert“, sagte er dann. „Und wir haben wirklich nichts mehr frei.“ Dann schaute er sich suchend um und senkte die Stimme. „Außerdem sind Babys und kleine Kinder hier im Haus nicht so gerne gesehen. Wir sind ein Wellnesshotel. Unsere Hauptzielgruppe sind die Silver agers.“
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