Zu dumm, dass sie fast gleichzeitig ankamen. So, als ob sie sich abgesprochen hätten. Oder als ob eine höhere Macht ihre Hände im Spiel hätte. Father Christmas schaute vorwurfsvoll nach oben. „Das hätte nun wirklich nicht sein müssen“, seufzte er. Nun ja, jetzt war er ja hier – und wild entschlossen zu verhindern, dass es direkt wieder Krach gab wie beim ersten Gabenbringer-Treffen vor vielen Jahren. Damals war Befana wutentbrannt abgereist und hatte jahrelang den Kontakt zu ihm und seinen Kollegen abgebrochen.
Die Ursache für den Streit lag angeblich mehr als 2000 Jahre zurück. Was damals vorgefallen war, wusste niemand so genau. Von ihnen war ja niemand dabei gewesen, ja, es hatte sie noch gar nicht gegeben. Selbst Nikolaus, der älteste der übrigen Gabenbringer, war erst 300 Jahre später geboren worden.
„Herzlich willkommen zu unserem Weihnachts-Gabenbringer-Treffen.“ Father Christmas ging Befana und den Heiligen Drei Königen mit ausgebreiteten Armen am Eingang des Hotels entgegen.
„Schön, dass ihr es doch rechtzeitig geschafft habt. Ich hoffe, ihr hattet eine angenehme Reise“, begrüßte er die vier. „Ich weiß, für euch ist der Termin eigentlich nicht optimal, direkt nach eurem letzten Arbeitstag. Wir haben ja auch extra einen Tagungsort in Italien ausgesucht, damit ihr es nicht ganz so weit habt. Aber es war die einzige Möglichkeit, bevor alle in den verdienten Urlaub fahren. Und danach beginnt ja fast schon wieder die Vorbereitung auf die neue Saison. Ihr wisst ja: Nach Weihnachten ist vor Weihnachten.“
„Kein Problem“, sagte Caspar großzügig und seine beiden Kollegen nickten zustimmend.
„Für euch vielleicht nicht“, sagte Befana. „Ihr habt Personal, das hinter euch herräumt. Ich musste nach der Bescherung alles stehen und liegen lassen, um pünktlich hier zu sein. Wenn ich nach Hause komme, muss ich im Lager erst mal Ordnung schaffen.“
„Immer noch der gleiche Putzfimmel. Und ich dachte, du hättest in den letzten 2000 Jahren etwas dazugelernt“, sagte Melchior mit einem boshaften Lächeln.
Befana packte den Stiel ihres Besens so fest, dass ihre Knöchel ganz weiß wurden. Und einen Moment fürchtete Father Christmas, sie würde auf Melchior losgehen und ihm mit dem Besen eins überziehen. Er trat neben sie und berührte sie leicht am Arm.
„Befana, ich habe für dich ein Zimmer auf der Seeseite reserviert. Es ist zwar nicht besonders groß und es gibt auch keinen Aufzug bis in die oberste Etage. Aber dafür kommst du von deinem Zimmer direkt auf die Dachterrasse“, sagte er und lächelte sie an. „Und ihr wohnt natürlich in der Königssuite. Außerdem könnt ihr die Juniorsuite direkt daneben benutzen, weil es zu dritt in der Königssuite vielleicht doch etwas eng wird.“
„Vielen Dank, eine gute Idee“, sagte Caspar und nickte Father Christmas huldvoll zu. „Balthasar schnarcht immer so laut. Da ist es gut, wenn mein Schlafzimmer ein wenig abseits liegt.“ Dann sah er sich suchend um. „Wo sind denn die Diener, die unser Gepäck entgegennehmen?“, erkundigte er sich.
Befana verdrehte die Augen. Father Christmas räusperte sich. „Ich fürchte, das müsst ihr selbst tun. Wir haben das ganze Hotel gebucht – eigentlich sind hier Betriebsferien. Aus Kostengründen haben wir nur wenig Personal engagiert: ein paar Reinigungskräfte und natürlich die Leute vom Küchenteam. Ihr wisst, wir müssen mit den Mitgliedsbeiträgen sparsam haushalten.“
Caspar und Melchior wollten protestieren, aber Balthasar kam ihnen zuvor. „Kein Problem, wir kommen schon zurecht“, sagte er – und seinen königlichen Kollegen raunte er zu: „Nun stellt euch nicht an, es fällt euch schon kein Zacken aus der Krone, wenn ihr mal selbst anpackt.“
Befana grinste. Balthasar war offenbar immer noch der Vernünftigste – und das Verhältnis zu seinen Kollegen scheinbar immer noch nicht das Beste.
„Wahrscheinlich möchtet ihr zuerst auspacken und euch nach der langen Reise etwas ausruhen.“ Father Christmas‘ tiefe Stimme rief Befana in die Gegenwart zurück. „Wir treffen uns um 7 Uhr zum Abendessen. Die Auftaktveranstaltung findet im Anschluss daran statt. Nur eine kurze Begrüßung und ein zwangloses Zusammensein, morgen Vormittag geht es dann richtig los.“
Befana nickte. „Sind denn schon alle da?“, erkundigte sie sich.
Father Christmas schüttelte den Kopf.
„Fast alle. Nur das kleine Kamel aus Syrien fehlt noch. Aber es hat ja auch einen weiten Weg. Und in seiner Heimat sind die Straßen zurzeit sehr unsicher. An vielen Stellen wird noch gekämpft. Ich hoffe, es kommt gesund hier an“, sagte Father Christmas und sah besorgt auf die Uhr. „Eigentlich wollte es schon lange hier sein.“
Melchior drehte sich noch einmal um, bevor er ins Hotel ging. „Mach dir keine Sorgen. Das Kamel ist wie Befana. Es kommt immer zu spät.“
Befanas wurde bleich. Ihr Arm zuckte so, als wolle sie ihren Besen nach Melchior werfen. Oder noch schlimmer, ihm einen Fluch entgegenschleudern. Father Christmas trat schnell zwischen die Weihnachtshexe und die drei Könige – und er hoffte inständig, dass sie sich zurückhalten würde, um ihn nicht zu treffen.
Nikolaus hatte ihn vor Befanas Flüchen gewarnt. Der Heilige kannte sie schon von früher, aus einer Zeit, als es Father Christmas und seine Weihnachtsmannkollegen noch gar nicht gegeben hatte. Nikolaus schien sich ein wenig vor Befana zu fürchten, sie aber gleichzeitig zu bewundern. „Sie ist eine sehr begabte Hexe. Und sehr temperamentvoll.“ Und dann hatte Nikolaus ihm erzählt, wie sie einmal einem Mann, der ihre Freundin beleidigt hatte, ein Schloss an den Mund gehext hatte.
Inzwischen war Befana ruhiger geworden – oder vorsichtiger. Zwar gab es Gerüchte, dass sie zuweilen rigoros gegen Leute vorging, die ihre Kinder misshandelten. Doch offiziell hatte sich noch niemand beschwert. Zum Glück, denn die drei Könige hätten die Gelegenheit sicher genutzt, um ein Ausschlussverfahren gegen die Weihnachtshexe zu beantragen.
Zwischen ihnen und Befana hatte es einen heftigen Streit gegeben. Befana behauptete, dass die Geschichte vom Besuch der drei Könige im Stall bei Bethlehem so, wie sie erzählt wurde und in den Büchern stand, nicht stimmte. Es sei die Version von Caspar, Balthasar und Melchior – und die drei hatten dafür gesorgt, dass sie als offizielle Version in die Geschichtsbücher einging. Alle Jahre wieder wärmten die Medien die alte Geschichte auf. Vor allem in Italien, wo Befana lebte und als Weihnachtshexe arbeitete. Verständlicherweise. Denn in der Weihnachtszeit interessierten sich die Menschen natürlich für die, die den Kindern die Geschenke brachten. Aber über Befana gab es nur wenig Neues zu berichten: Sie lebte sehr zurückgezogen und mied die Öffentlichkeit, wenn es möglich war. Das war bei Caspar, Balthasar und Melchior anders.
Die drei hatten zwar ihre Länder verloren und lebten schon lange im Exil in Spanien. Aber es war Caspar und Melchior gelungen, einen Großteil ihres Vermögens ins Ausland zu schaffen. Balthasar war im Vergleich zu den beiden ein armer Schlucker. Doch er hatte den Stern über dem Stall von Bethlehem entdeckt, seine Kollegen zu Jesus geführt und ihnen zu ihrem Ruhm verholfen. Deshalb unterstützten sie ihn und ließen ihn bei sich wohnen – auch wenn sie manchmal über den König-ohne-Land lästerten. Dass sie selbst nichts anderes waren, hatten sie offenbar völlig vergessen.
Die drei lebten immer noch auf großem Fuß – in einem riesigen Palast, in dem er sich fast verlaufen hatte, als er einmal bei ihnen eingeladen gewesen war. Und sie kannten viele Reiche und Mächtige, die sich gerne mit dem alten Adel und ehemaligen Königen schmückten. So gehörte auch der ehemalige italienische Präsident zu ihrem illustren Bekanntenkreis. Es gab Fotos von gemeinsamen feuchtfröhlichen Feiern und Berlusconi war seinen berühmten Freunden gewiss gerne behilflich, wenn es darum ging, ihre Version der Weihnachtsgeschichte alle Jahre wieder über sein Medienimperium zu verbreiten.
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