Sie saßen voll angespannt im Auto, hörten Musik, starrten still auf das Haus Nummer 49, bis Ullrich tatsächlich durch die Tür trat und in sicherer Entfernung von ihnen die Straße überquerte.
Die beiden Droogs zogen sich Skimützen auf und die Kapuzen ihrer Jacken drüber – sahen aus wie zwei dieser finsteren Gestalten aus dem Herrn der Ringe, fehlten nur die Pferde – stiegen aus dem Auto und gingen ihm vorsichtig nach. Sie wollten ihn in einen verlassenen Schuppen neben einer Reihe von Garagen manövrieren und dann ordentlich tollschocken.
»He Cheffe, sie ham’s aber eilig. Momentchen ma.«
Ullrich drehte sich um, sah die vermummten Gesichter und schreckte zurück. Er fühlte sich ertappt und war sofort in Scham befangen.
»Woll’n wir ma’ zusammen in der Schuppen gehn? Hast du keine Angst, is’ sonst niemand da, genauso wie oben bei der Nutte im dritten Stock?« so sprach Toni seinen eingeübten Text und zeigte ihm sein Messer.
»Keine Zicken Alter, ok!?« meinte Patrick und ging zwei Schritte voraus.
Ullrich bekam weiche Knie und war nicht in der Lage sich zu wehren. »Was wollt ihr von mir? Wollt ihr mein Geld? Ich habe fast alles ausgegeben.«
»Ja los, gib schon her!«, sagte Toni und nahm ihm das Portemonnaie ab, wo tatsächlich so gut wie nix mehr drin war.
Dann waren sie am Schuppen. Ullrich blieb stehen und wandte hektisch den Blick zur Straße.
»Hey, keine Chance Alter. Bloß vorsichtig, sonst wirds ernst! Hastu kapiert?!« Toni wurde laut und verlor fast den Akzent. Er stieß ihn kurz gegen die Schulter und gab ihm das leere Portemonnaie zurück.
Die Droogs öffneten die Tür, schubsten Ullrich rein und zogen sie hinter sich gleich wieder zu. Ein paar Lichtstrahlen der Straßenlaternen schienen durch die Spalten der geschlossenen Fensterläden. Man konnte kaum mehr als die Silhouetten erkennen. In einer Ecke stand ein klappriger Stahlschrank.
Ullrich bekam richtig Angst, Scheißangst sogar. Was sollte er tun? Und vor allem: Was haben die vor? Irgendwas stimmte hier nicht, ums Geld schiens nicht zu gehen, soviel war klar. – Das mussten Schüler von ihm sein, ehemalige wahrscheinlich. Mein Gott, aber wer? Dieser Akzent – er konnte sich beim besten Willen nicht an diese Stimme erinnern. Es sprach auch fast nur der Größere.
Nicht erst jetzt wurde Ullrich klar, dass es ein Fehler ist, regelmäßig zu ihr zu gehen. Da war so ein Desaster wie das hier natürlich nur eine Frage der Zeit. »Woher wissen die überhaupt davon? Das Studio ist im dritten Stock. Das ist von der Straße nie und nimmer einzusehen?!«
»Los, runter auf die Knie, du Hammel. Leck meine Schuh.«
»Was? Für wen haltet ihr mich?«
»Los, mach schon, ich kann mit Messer umgehen. Runter aufs Knie, haste nich’ kapiert?!«
Ullrich ging auf die Knie und machte, was von ihm verlangt wurde.
»Und jetzt seine. Einfach lecken... He, was ist, mach schon.« Red ich arabisch. »Umarim yakında tekrar görüşürüz.« Die Jungs lachten höhnisch.
»Und wenns dir gefällt, können wir gerne das öfter machen. Mach ja kein’ Mucks!... Gefällts dir bei der Nutte? Na, was is’? Ich hab dich was gefragt... Besser du lässt das mal. Hast du verstanden? He, hab dich was gefragt.«
»Ja ja, ihr habt Recht, ich höre auf damit.«
Ullrich zitterte am ganzen Körper, weil er ernsthaft befürchtete, er würde vielleicht doch noch erstochen.
Aber dann war der Spuk endlich vorbei. »Los abhauen jetzt«, sagte Toni. Sie schoben von außen den rostigen Türriegel vor, gingen an Ullrichs Auto vorbei und zogen mit dem Messer und fiesem Grinsen einen Kratzer über die Beifahrerseite. Danach liefen sie zu Muttis Premiumlimo und verschwanden.
»Und wenns dir gefällt, können wir gerne das öfter machen«, spottete Patrick im Auto und sie brachen in Gelächter aus.
»Gib mir fünf!« sagte Toni und sie klatschten sich ab. »Voll cool Mann, das wird der so schnell nicht vergessen. Echt, super gelaufen! Mission completed. Vielleicht sollten wir uns den in ein paar Wochen noch mal vornehmen.«
»Besser nicht. Könnte ja sein, dass der dann ’ne Knarre hat oder so. Und wozu denn noch, dem haben wir die Tour gründlich vermasselt«, meinte Patrick.
»Hast du etwa Schiss?«
»Wovor sollte ich Schiss haben? Du gehst mir langsam auf die Nerven mit dem Spruch?«
Toni zuckte mit den Schultern. »Sorry, aber die Nummer hatte der sich auf jeden Fall verdient.«
»Das stimmt.«
»Naja, vielleicht wäre jetzt auch erstmal die Henlein dran?!«
«Keine schlechte Idee, aber wirklich klein ist die nicht!?« wandte Patrick ein.
Toni brach in Lachen aus... »Ja und? Das könnte dann wie ’n Sexualdelikt aussehen!« und Patrick lachte mit.
»He Vorsicht!!« – Fast hätte er bei der ganzen Aufregung jemandem die Vorfahrt genommen. »Au Mann, das wär ja voll der Supergau geworden.« Und wieder lachten sie.
»Wollen wir noch zu mir fahren, ein Bier trinken?«
»Okay, ich bring dich schon mal nach Hause und dann grad das Auto zurück. Ich komm gleich mit dem Fahrrad zu dir.«
»Warum lässt du das Auto nicht einfach bei mir stehen?«
»Meine Mutter braucht die Kiste morgen, um meine Schwester in die Schule zu fahren.«
»Das „Chormädel“. Wieso das denn?«
»Wieso das denn?! Was weiß ich?! Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass die mir total auf die Eier geht.«
»Deine kleine Schwester?«
»Ja! Wenn ich nur die Klamotten von der sehe, krieg ich zu viel. Dagegen ist das Outfit von deiner Mutter richtig trendy.«
»Lass meine Mutter da raus.«
»Hey, ich sag ja gar nichts gegen sie.«
»Ich sag das ungern zweimal.«
»Au Mann, Alter.«
Tonis Blicke wurden plötzlich bitterernst, er verzog keine Miene mehr und Patrick war klar, dass er jetzt vorsichtig sein musste.
Ullrich zitterte unterdessen immer noch am ganzen Körper, war schockiert, nicht so sehr wegen der Demütigung, sondern vor allem aus Angst vor den Folgen seiner Entdeckung. Das ist mehr als peinlich. Jetzt kann ich sie nicht mehr besuchen. Das nächste Mal könnte schlimmer werden. – Scheiße, die würden bestimmt noch weitergehen. Wieso wissen die überhaupt von meinen Neigungen? Runter auf die Knie. Vielleicht sind die mit ihr befreundet, verwandt oder einer von denen ist in sie verliebt. – Das könnte der jüngere Bruder gewesen sein, zusammen mit einem Freund. Aber sie hat gesagt, ihre Familie wohnt in Oberhausen, sie sei wegen ihres früheren Freundes hierhergekommen? Verdammt, wie war das noch mal? Haben die in Oberhausen Wind davon gekriegt und wollten Stress machen, ohne dass sie davon wusste?
Aberwitzige Vermutungen, in seinem Kopf brach das Chaos aus, aber Ullrich setzte sich trotzdem mechanisch wie ein Roboter in Gang. Er konnte die Tür leicht aus den Angeln heben. Die ganze Hütte war morsch wie Ötzis Knochen. Er spürte und hörte nur den starken Regen. Eine Empfindung wie an der See. Das gab ihm Ruhe und Sicherheit zurück. Ullrich ging mit eiligen Schritten die Straße entlang und stieg in sein Auto, ohne den hässlichen Kratzer auf der Beifahrerseite zu bemerken.
Simon, Julian und Mike waren nach der Graffitiaktion auf dem Weg in die Oase noch voll euphorisch, obwohl es Bindfäden regnete. Denn eigentlich brachte es das doch erst richtig: eine Heldentat vollbracht, drei Kilometer zu Fuß durch Wind und Wetter, in der Heimstatt abgekämpft den Frauen imponieren. Juli gönnte sich den nächsten Joint und bewegte sich nachher so selig beschwingt wie der Dude auf der Bowlingbahn oder im Orbit auf seiner Kugel.
»Anne, ich sag dir, sei froh, dass du nicht dabei warst, der Job war kein Zuckerschlecken«, scherzte er gleich zur Begrüßung in der Oase.
»Mann Julian, merkst du überhaupt nicht, wie sehr dein Gerede nervt?« Sie verdrehte die Augen. Seine ständigen Blödeleien gingen ihr total gegen den Strich, vor allem, weil es doch um seine Interessen ging. Sie war sich sicher, dass Simon sie verstand.
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