Andreas Bäcker
Mein eigenes Ding
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Inhaltsverzeichnis
Titel Andreas Bäcker Mein eigenes Ding Dieses ebook wurde erstellt bei
Die innere Stimme
Neue Wege
Der Dude
LGK
Kein Sinn für das Alltägliche
Zu allem bereit
Wir können auch anders
Bloß kein Theater
Keine Modeopfer
Geisterbahn
Dilemmata
Zerlegte Barbiepuppen
Stufe 4 ½
Geschlechterkampf
Zu viele Gemeinplätze
Ikarus und Dädalus
Gegen den Wind
Der Sturz
Impressum neobooks
In jedem Fall habe ich Schuld an Stirners Tod, allein schon, weil ich der Konfrontation mit ihm immer ausgewichen bin. Vielleicht habe ich ihn sogar runtergestoßen. Wer weiß, ist durchaus möglich. Seit der Begegnung mit Jannik Blum hätte ich dafür ein Motiv. Ich sollte es tun, habe es tun müssen und fühle mich jetzt ja auch erleichtert.
Das ist bald ewig her, neun Jahre und trotzdem erinnere ich mich so gottverflucht detailliert, als wäre es gestern gewesen. Wie ich nach der Blinddarmoperation erwachte und durch das Fenster in den strahlend blauen Himmel sah, mich die gleißende Sonne blendete, und mir erst ganz allmählich klar wurde, wer und wo ich war.
So eine Narkose ist echt cool, dachte ich damals. Man verschwindet im ewigen Nichts, fühlt seinen erlösenden Atem, und findet sich unvermittelt wieder in der geordneten Welt, denke ich heute. Aber eigentlich können wir es ja in jedem Traum und auch sonst jederzeit spüren, unbestimmt in uns und uns in ihm.
Als ich mich auf den Ellbogen abstützte und meinen Bauch inspizierte, hinkte Jannik auf seinen Krücken mühsam zu mir rüber, um sich das fette Pflaster mit dem ganzen Jod drumrum genauer anzuschauen.
Er war schwer beeindruckt: »Boah, das ist ja krass«, und ich erwiderte bloß lapidar, es sähe aus wie Mozzarella in Tomatensauce.
Jannik lag schon zwei Wochen in der Klinik, weil er nicht mehr richtig laufen konnte. Mitschüler hatten ihn monatelang gedemütigt und verprügelt. Patrick Stirner war einer von ihnen.
Als sie auf dem Schulweg in seinen Ranzen urinierten und ihn so komplett ruinierten, ging bei ihm gar nichts mehr. Die Beine waren schlagartig gelähmt. Seine Mutter musste ihn dort abholen und direkt zum Arzt fahren.
An der Stelle seiner Story tropften ihm Tränen auf den blauen Pyjama und er stakste mit den Krücken zurück zu seinem Bett, wo er sich eine Weile nicht rührte und an die Decke starrte. Ich griff mir eins meiner Bücher und blätterte noch leicht benebelt darin, was ihn schnell auf andere Gedanken brachte. Jannik sprudelte mit einem Mal über vor Begeisterung für Harry Potter, weshalb ich ganz solidarisch meinen unseligen Krähenkram ausplauderte. Helfe deinem Nächsten wie dir selbst.
Ich hatte mich nach dem Tod meines Vaters in Bücherwelten geflüchtet und war dabei auf die Krabatgeschichte gestoßen. Habe sie so oft gelesen, bis ich träumte und dachte, ich wäre er oder er ich. Daran hat sich seither im Grunde nichts geändert. Wir haben damals schon miteinander gesprochen. Nur ist das heute, in meinem Alter, nicht mehr normal.
Janniks Mutter redete später bei ihrem Besuch auf ihn ein, er solle jeden Tag die Übungen machen, damit er bald wieder alleine gehen kann. Er bräuchte keine Angst zu haben, seine Mitschüler würden ihm bestimmt nichts mehr tun, nach allem was passiert war. Er fehle seiner Schwester sehr und Bird Voldemort – sein Wellensittich – vermisse ihn auch.
Als sie am frühen Abend wieder ging, folgten ihr Janniks Blicke bis sie die Zimmertür hinter sich geschlossen hatte. Danach fiel sein Kopf wie abgehackt ins Kissen.
Ich wollte ihn aufheitern und erzählte deshalb noch mehr von meinem heimlichen Freund und seiner magischen Kraft, unsichtbar den eigenen Körper zu verlassen.
»Was heißt aus sich hinausgehen?! Was muss man da tun?« fragte er und ich erklärte, man müsste nur genau wissen, wohin man will, eine geheime Zauberformel sprechen und ganz lange ausatmen. Demonstrierte das auch.
Ich sagte ihm nichts von den Kontakten mit meinem Vater, aber dass ich Jannik überhaupt ins Vertrauen zog, wundert mich bis heute.
Nachdem die Schwester ihre letzte Runde gemacht hatte, kamen wir endlich zur Sache. Jannik wollte sich zuerst nach Hogwarts beamen, aber letztlich landeten wir in der Schule bei seinen Peinigern und deckten sie so lange mit Exkrementen ein, bis sie vollgerotzt und angepisst am Boden krochen.
Ich wurde zwei Tage später entlassen. Jannik hingegen musste noch monatelang in der Klinik weiterbehandelt werden, ehe er wieder halbwegs laufen konnte.
»Mann, du gehst mir voll auf die Nerven!... Ich bin schon weg«, stöhnte er.
»Du bleibst, und entschuldigst dich gefälligst bei deiner Schwester! – Patrick, hast du mich verstanden!? Bea liegt in Tränen aufgelöst im Bett!« rief seine Mutter durch die offene Tür.
»Ich wüsste nicht warum. Die hat schließlich angefangen«, brüllte er beinahe. »Das Chormädel kann mich mal!«
»Du weißt ganz genau, dass das nicht stimmt«, hielt Frau Stirner dagegen.
»Hallo, ich habe gesagt, ich bin weg!«
Sie kam aus der Küche in die Diele und schaute ihn an. »Nein, das bist du nicht!«
»Oh doch, das bin ich! Hokus, Pokus, Fidibus – dreimal schwarzer Kater.« Er zog die Augenbrauen hoch. »Na und, was nun?«
»Wo willst du überhaupt hin? Schon wieder zu diesem Pichler? Ich verbiete dir, zu dem zu gehen!«
»Du hast mir gar nichts mehr zu verbieten. Ich bin achtzehn, schon vergessen?!«
Was seine Mutter darauf erwiderte, kriegte Patrick nicht mehr mit, weil er bereits in der Haustür stand.
»Halts Maul und misch dich nicht in meine Angelegenheiten, dumme Gans!« knurrte er leise und knallte die Tür zu, kam wieder auf den Gedanken auszuziehen, hatte ihn aber schon vergessen, als er durch den Garten zur Garage ging und der weiße Kies laut unter seinen Sohlen knirschte.
Patrick setzte sich in die silberne Premiumlimo seiner Mutter – den Schlüssel hatte er sich im Vorbeigehen von der Kommode gegriffen – fuhr rückwärts aus der Einfahrt und verschwand um die Hecke. Nach gerade mal zwei Kilometern parkte er das Auto halb auf dem Gehsteig und stieg aus. Er schlenderte über das Grundstück der Pichlers, vorbei an der großen Terrasse, dem Swimming-Pool mit der überdachten Bar am Beckenrand und klingelte.
Wie üblich meldete sich Frau Pichler über die Sprechanlage und öffnete sofort die Tür, als sie Patricks Namen hörte. Er mochte nicht nur ihren österreichischen Zungenschlag, sondern fand sie überhaupt ziemlich scharf. Davon durfte Toni allerdings nichts erfahren, denn ihre Freundschaft gründete auch auf totaler Antipathie gegen die eigenen Erzeuger, die ständig unanständig mit irgendwelchen Schlampen vögelten, während die Mütter wie die braven Hennen taten, was der Hahn vom Mist krähte.
Dabei war der Kontakt ursprünglich sogar über die Väter zustande gekommen. Sie hatten früher beim selben Unternehmen gearbeitet und ungefähr drei Jahre zuvor ein gemeinsames Abendessen der Familien initiiert. Die Jungs waren damals gleichermaßen genervt von der Gesellschaft und seilten sich bald nach dem Tiramisu in Tonis Zimmer ab.
»Hi Kamerad, was geht?« fragte der jetzt, als Patrick in der Zimmertür erschien, und wandte kurz den Blick von der Spielkonsole zu ihm rüber. Mettallica hämmerte aus den Boxen.
»Aja, alles okay. Was spielst du, Terminator?«
»Was sonst?« Er sah Patrick nochmal an.
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