1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 Irgendwie muss Rita seinen Pulsschlag spüren, denn er hält noch immer ihr Handgelenk ganz fest.
»Susan ist mit Blaulicht in die Klinik gebracht worden. Zu dem Zeitpunkt, als man mich rief, schnappte sie so eigenartig nach Luft. Irgendwann fühlte ich keinen Puls mehr. Das Rettungsauto kam zuerst. Die Sanitäter haben Herzmassagen gemacht und sie weiter beatmet.«
»Wiederbeatmet meinst du?«
»Nein weiter. Ich hatte mich schon versucht. Der Notarzt kam etwas später. Er stabilisierte Susan mit einer Spritze und mit der Beatmungsmaschine. Ich denke, das ist alles optimal gelaufen, wenn man bedenkt, wo wir hier leben.«
»Ich konnte ja nicht wissen …«, sagt sie und greift nach seiner Hand.
»Ich dachte mir, dass du dir Sorgen machst. Aber du sollst wissen, dass das, was ich mit Mark erlebt habe, bei mir niemals geschehen würde.«
Jetzt kann er ruhig und besonnen über die Stunde reden, die er mit Mark verbracht hat. Am Ende des Abends wird er feststellen, dass er diesen einen Satz mindestens dreimal wiederholt hat, mindestens mit je einer Steigerung seiner Leidenschaft aber auch seiner inneren Abscheu gegen einen Menschen, den er nie richtig hat einschätzen können, den er trotzdem in seinem Haus hat willkommen geheißen; Rita zuliebe.
Sie lieben sich zur Mitternacht, während Timi gleichmäßige Atemstöße aus seiner kleinen Brust entlässt. Jens ist noch dicht bei ihr und hält sie fest, aber seine Muskeln sind schlaff. Er schläft. Rita kann nicht schlafen. Irgendetwas stimmt nicht, denkt sie. Nicht in ihrem Leben. Etwas stimmt nicht an den Worten von Jens und an der Schilderung über Susan und Mark.
Wann ist die Liebe der beiden aus dem Gleichgewicht geraten? War es die Zeit des Hausbaus, wo Susan ihren Mann schnöde allein gelassen hat? So etwas muss sich rächen.
Später hatte Susan kein Problem damit, in Marks schönem Haus zu wohnen. Ihr ist sogar, als betrachtete sie das Haus als mindest angemessen, als perfekte Kulisse, die ihr mit Bedacht auf den Leib gezimmert wurde.
Schon damals hatte sie das erbärmliche Gefühl, Mark sei wütend über die verfahrene Lage, in die er gekommen war, aber sein Ego erlaube ihm nicht zu klagen. Nur einmal, da soll er zu Jens gesagt haben: Es ist mir egal, was sie macht, Hauptsache sie vergeudet nicht ihre Tage und unternimmt bald etwas, um ein bisschen Geld zu verdienen. Sie kann sich einfach nicht einschränken.
Sie kann nicht einmal einschätzen, welche Dinge sich ändern könnten, damit wir uns nicht allzu sehr einschränken müssen.
Anfangs nur unmerklich, aber dann rollte etwas über Marks Wesen wie eine Lawine, das nicht vorhersehbar war. Er hat offenbar diesen gewissen Sinn, der ihm die kleinen Katastrophen ankündigt, von denen er vorher partout nichts hören wollte. Die Extravaganzen an Susan sind noch nicht verblasst, immerhin hat sie gelernt, nicht gleich in Ohnmacht zu fallen, wenn sie ihren Willen nicht bekommt. Daran wird ihr jüngstes Dilemma also nicht liegen.
Jens hält Rita noch fest umschlungen. Sie gleitet geschmeidig aus seinem Arm. Das Geräusch ihres schlafenden Kindes in der Wiege und die Wärme der Haut ihres Mannes haben etwas ungemein Beruhigendes für Rita. Für ein paar Minuten will sie diesen friedlichen Moment in sich bewahren, um mit sich selber ins Reine zu kommen. Wegen ihrer Zweifel gegen Jens fühlte sie sich am Abend miserabel, aber da war noch etwas Anderes. Etwas, was sie nicht vorhersehen konnte. Es ist auf sie geschwappt und hat alle gerade gefassten Vorsätze wieder zunichte gemacht.
Auch wenn es der denkbar schlechteste Moment für diese Art Gespräche war, so steckt auch etwas Gutes darin. Die Liebe ist auch dafür gemacht, den Ernst des Lebens gemeinsam zu bestehen und Jens hat recht.
»Wir sind befreundet«, hat er gesagt, als ihre größte Lust noch gar nicht richtig verebbt war. »Wir müssen uns ein wenig um Mark kümmern, so, wie wir uns um Lenka gekümmert haben. Schließlich hat er ein Kind und ist nicht geübt in den häuslichen Dingen.«
Die traurige Wahrheit ist nur, dass Jens nicht weiß – nicht wissen kann - wie es um Mark steht. Sie kann ihre Augen nicht einfach vor dieser Wahrheit verschließen, aber sie kann so tun, als wäre das mit Mark nicht wirklich passiert. Und wenn sie es nur für Mara tut. Irgendwann kommt Susan ja wieder.
Rita ist nach längerem Grübeln bei Tage dann doch ein wenig verärgert über die Worte von Jens. Nicht über den tiefen Sinn, womit sie ihm noch immer recht geben möchte. Sie ärgert sich darüber, dass er sie in diesem Moment gesagt hatte, in dem er sonst die wunderbarsten Sätze hinkriegt, Worte wie niemals außerhalb des Ehebettes.
Sie versucht natürlich, sich nichts von ihrer Verstimmung anmerken zu lassen, aber natürlich wird sie keinen Schritt auf Mark zugehen. Aber wenn er kommt und um Hilfe bittet, wird sie zu Mark stehen wie immer.
Für eine gewisse Zeit ist sie erleichtert, Jens nichts von Mark und seinen seltsamen Anwandlungen erzählt zu haben. Unaufrichtig fühlt sie sich nicht, aber sie fürchtet den Moment der Peinlichkeit. Irgendwann wird er auftauchen mit dem charmantesten Lächeln, bei dem die Frauen im Dorf reihenweise dahinschmelzen. Und er wird einen kühlen Spruch auf den Lippen führen, den niemand durchschauen wird außer Rita Georgi.
Timi liegt noch im Kinderwagen, der im Hof in der Sonne steht. Er war eingeschlafen, als sie mit ihm einkaufen war.
Rita durchquert mit allerlei Eingekauftem auf dem Arm das Untergeschoss, um mit einer Hand in der Küche den Spüler in Gang zu setzen. Das Telefon auf der Konsole zeigt einen Anruf in Abwesenheit. Sie tippt die Abruftaste und sieht die Nummer. Es ist Mark.
Warum hat sie das Läuten nicht gehört? Der Klingelton ist auf die schwächste Einstellung gestellt. Jens muss es gemacht haben. Er hat sich am Morgen um Timi gekümmert, damit sie noch etwas ausruhen kann. Das kommt nicht selten vor, aber zumeist nach einer Liebesnacht. Es entgeht ihr nicht, wie ärgerlich sie feststellt: Es ist ziemlich leicht, einen Mann um den Finger zu wickeln. Warum können Männer nur opfervoll sein, wenn sie vom Spermienkollaps erlöst wurden?
Sie wird Mark nicht zurückrufen, dennoch meldet sich die Stimme der Vernunft, die ihr sagt, dass es Zeit ist, über den künftigen Umgang mit Mark absolute Klarheit zu finden. Entweder sie ist konsequent abweisend, oder sie ist konsequent großzügig. Im Moment glaubt sie, sie kann es sich leisten, großzügig zu denken: Jeder hat schließlich einmal einen schwachen Moment.
Ihr eigener Wankelmut zaubert ein Lächeln auf ihre Lippen. Flüchtig, dann geht sie zur Tagesordnung über.
Ihr Blick in den Kühlschrank gilt der Sorge, ob die Steaks Hawaii, die sie für das Abendbrot vorgesehen hatte, auch für drei ausgewachsene Menschen reichen würden. Wie sie Jens kennt, bringt er aus lauter Wohltätigkeit Mark angeschleppt und würde ihr sogar glaubhaft erklären, er mache es ihr zuliebe.
Die Küche zeigt ein einziges Chaos. Der Tag endet wie vorhergesehen. Rita war den ganzen Tag über eigenartig fahrig gewesen und absolut unproduktiv. Timi hat heute aller Welt beweisen wollen, dass er nicht nur das ruhige, ausgeglichene Baby ist. Dann ist ihr Computer abgestürzt und der Heizungsbauer hat seine Rechnung für die Wartung geschickt, die es in sich hat. Natürlich klappte auch sonst nichts. Auch hat sie viel zu spät mit der Zubereitung des Abendessens begonnen.
Noch ehe sie ihren Mann in ordentlicher Kleidung an einen schön gedeckten Tisch zum Abendbrot rufen kann, schreitet auch schon Mark über den Vorderhof und platzt mitten in ihr heilloses Chaos. Er sieht wir immer umwerfend aus. Und dann ruft Jens vom Hinterhaus auch noch: »Ihr seid doch ein eingespieltes Team. Lass dir von Mark ein wenig helfen.« Das lehnt sie kategorisch ab, aber Mark könne ja Timi noch ein bisschen herumtragen, sagt sie freundlich, bis sie sich umgezogen habe oder Jens soweit sei, um Timi ins Bett zu bringen.
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