»Könntest du dir vorstellen, mit mir … ?« Marks Gesicht wird ernst, und Rita ist es schon wieder unheimlich.
»Ja?« Das ist keine Antwort. Das ist eher eine Frage, eine gutgemeinte Aufforderung zum Weiterreden über das, was Mark offenbar bedrückt.
»Ja?«, sagt auch er, und es klingt ungläubig. Erst als seine wunderbar weißen Zähne besonders viel Platz in seinem Gesicht einnehmen, schwant ihr etwas: »Nein. Ich weiß nicht was du meinst, verdammt.«
»Du weißt nicht, was ich meine? Ich meine immer dasselbe, Rita. Schon mehr als zwei Jahre lang. Und das weißt du ganz genau.«
Anstatt auf Ritas Mahnung zu hören, weil doch zu Hause die Familie auf ihn warte und auch Jens warte mit Timi auf sie, redet Mark Hellmann über die Unterschiede zwischen seiner Frau Susan und Rita, die ihm immer bewusster würden. Immer mehr schmerze es ihn, dass er früher nicht klarer seine Wünsche formuliert habe. In seinem Inneren knistere es noch immer, sobald er Rita auch nur für einen Moment vor die Augen bekomme. Rita sei Rita und eben nicht Susan. Susan sei eine heiße Braut gewesen, sexy, wie kaum jemand. Das habe ihn geblendet. Jetzt sei er soweit zu bemerken, dass Blendwerk keine Bedeutung im Leben habe. Sie weiß nicht, ob es eine Freude ist, oder ob sie sich zur Vorsicht mahnt. Mark lobt mit blumigen Worten die reife, auf Achtung und Toleranz begründeten Beziehung von Rita zu jedermann. Aber Rita spürt, dass Mark niemand anders als Jens meint, es aber nicht über die Lippen bringt. Und dann weiß sie, wie recht sie hat, als er bekennt, seine Beziehung mit Susan könne nicht annähernd mithalten. Susan habe sich zwar verändert, könne aber das Format von Rita niemals erreichen. Und eines begreife er immer mehr: Susan passe ganz einfach nicht in dieses konservative Dorf. Sie ruiniere sogar seine Position. Und dann flüstert er beinahe. Überdies sei sie in ihrer Abgeschiedenheit furchtbar eifersüchtig geworden, beinahe krankhaft. In ihrer Eifersucht hetze sie sogar schon Jens gegen sie beide auf, wie er gehört habe.
Während Rita in sich zusammenzuckt, scheint Mark seine letzten Worte geradewegs zu genießen. Es ist schlimm, wenn man sich anderer Menschen bedient, die keine Chance haben, sich zu rechtfertigen. Das Schlimmste aber, was sie sich jetzt vorstellen kann, ist, dass Mark ihr körperlich noch näher kommt. Sie mochte Mark einmal sehr, zu sehr vielleicht, um ihn konsequent in die Schranken zu weisen; und es gab eine Zeit, da hätte es keinen noch so winzigen Grund dafür gegeben, außer ihrer begründeten Furcht vor jeglicher Bindung. Aber jetzt ist die Lage eine völlig andere.
Sie hat keine Ahnung, wie viel Zeit verstrichen ist, ehe sie das erste vernünftige Wort zustande bringt. Sie merkt nur, wie eine unerklärliche Kälte an ihr empor kriecht, über die Beine, den Rücken und die Arme, und wie sie Mark auf sicherer Distanz hält, ihn immer weiter zum Ausgang drängt und es tatsächlich schafft, die Räume abzuschließen. Aber noch ist sie nicht durch den dusteren Hausflur hindurch.
In der Dunkelheit greift Mark nach ihr, und es ist Rita, als brauche er diese Dunkelheit, um ihr nicht mehr ins Gesicht schauen zu müssen. Ohne Respekt vor ihr zu haben, hätte er schon drinnen bei Licht schamlos getestet, wie weit er gehen kann. Seine Art intimer Annäherung kennt sie aus dem Verlagshaus. Nur hat er sie dort im Einklang mit Susan praktiziert.
Im Augenblick ist sie nicht sicher, ob sie ihm wie einem Kind ein wenig auf die Finger klopfen oder ihre Hand schwungvoll in seinem schönen Gesicht platzieren sollte. Er verdiente letzteres, keine Frage. Sie wehrt Mark lächelnd ab und versucht, ihre Uhr am Handgelenk zu erkennen.
Jens hat kein Problem, Timi zu betreuen und dennoch ein bisschen von seiner Arbeit nebenher zu erledigen. Manchmal, wenn er am Nachmittag noch einmal in den Laden zu Milena Kieschnick geht, dann nimmt er Timi mit, und das bedeutet, dass auch er sobald nicht nach Hause findet. Milena ist die Schwester von Lubina, der liebreizenden, wie ihr Name jedem verrät, der das Wendisch beherrscht. Und das trifft im Gegensatz zu Milena ziemlich gut.
Für Rita gibt es keinen Grund, jetzt auf Marks ungenauen Bedürfnisse einzugehen. Sie könnte verstehen, wenn er einmal ungestört mit ihr reden wollte. Aber nach reden sah es nicht aus. Auch früher gab es mal die eine oder andere Situation zwischen ihnen. Sie hat sich nie geziert, aber sie hat auch nicht mehr Leidenschaft hineingelegt, als erlaubt.
Mark atmet hörbar.
»Denkst du wirklich niemals an unsere Zeit? War es nicht immer gut zwischen uns?« In bitteren Stößen kommen seine Worte über vorwurfsvoll bebende Lippen.
Recht hat er, denkt sie. Zwischen ihnen war nie etwas Böses, aber sie sagt es nicht. Ihr liegt etwas Anderes am Herzen und dennoch ist auch das die pure Ehrlichkeit.
»Ja. Es war mal ganz nett mit dir, Mark.« Sie hört ihre eigene Stimme, die in ihren Ohren wie die eines Schulmädchens klingt.
»Ganz nett also. Tolles Kompliment. Wenn das mein angeschlagenes Ego nicht hebt, dann weiß ich wirklich nicht …«
»Dein Ego meinst du?« Ihre Augen verengen sich, ihre Lippen lächeln böse: »Es gäbe nichts auf dieser Welt, das sich nicht lösen ließe, wenn sich bloß jeder nach dir richten würde.«
Mark wirft seinen blonden Kopf in den Nacken: »Das Schöne an deinem Sarkasmus ist seine Verlässlichkeit.«
Sarkasmus ist die Speerspitze berechnender Überlegenheit, das hat sie damals geschrieben, als sie Lutz Wegeners Leben erforscht und in ihrem Roman Schattenkinder verarbeitet hat. Jetzt hat sie den Beweis ihrer These in sich selbst gefunden.
»Pure Theorie«, mahnt sie nicht minder sarkastisch, »so manches verfliegt mit dem Alter.«
»Und dann ist es für immer verloren. Rita. Was hatten wir für verrückte Ideen. Sind die alle deiner verdammten Vernunft gewichen. Was sollen die Sprüche von Treue und mütterlicher Tugend. Auch ich habe ein Kind, vergiss das nicht.«
»Und genau deshalb gehst du jetzt nach Hause. Und ich gehe auch meiner Wege.«
Eigentlich wollte sie auf direktem Wege zum Körberhof gehen, was aber bedeutet, dass sie noch ein Stück des Weges mit Mark gehen müsste. Sie deutet an, in die andere Richtung zu laufen, wo Jens sich im Laden aufhalte, was theoretisch möglich wäre. Sie kann diese Art Gespräche mit Mark keine einzige Minute länger ertragen.
Ihr Handy klingelt. Niemals kam ein Anruf so gelegen. Jens fragt ein wenig aufgeregt, wo sie stecke und ob alles in Ordnung sei.
»Wir sind schon auf dem Weg, Schatz«, sagt sie so locker es ihr gelingt.
»Ist wirklich alles in Ordnung?«
»Ja. Ich schwatze gerade mit Mark. Wir stehen noch am Denkmal.«
Das war es dann also mit der Kehrtwendung, die ihr jetzt besser gefallen hätte. Aber die hundert Meter muss sie Mark einfach noch ertragen.
»Weiß Jens eigentlich, was damals mit dem Nils Hegau und dir war? Der war auch verheiratet und es hat dich nicht gestört. Warum stört es dich jetzt, wenn ich es bin. Ich bin nicht von ungefähr hierher gezogen, Rita. Ich dachte, du bist nicht so prüde und ich könnte … wir könnten. Glaub mir, du wärst mein Glück. Und das versichere ich dir, bei allem, was mir heilig ist …«
Na, das kann nicht viel sein, denkt sie. Und so denkt sie wirklich erst seit heute über Mark Hellmann. Ihre Worte klingen noch ein wenig anders.
»Kannst du nicht respektieren, dass auch andere Menschen eine Meinung über die Dinge des Lebens haben? Musst du mit deiner Meinung immer das Maß der Dinge sein?«
»Das ist keine Frage von Respekt. Das ist eine Frage von Kreativität. Mir fällt eben immer noch etwas ein. Und weißt du, was mir gerade einfällt. Man kann den Spaß am Leben verdoppeln, ohne sein Leben teilen zu müssen.«
Das war dann wohl genug des Schmutzes, aus dem das Leben besteht, denkt sie. Vor seinem Haus, das rundum hell erleuchtet ist, gibt sie Mark Hellmann die Hand.
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